„Archivarbeit lohnt sich immer noch“

Trier – Welche Folgen hatte das kollektive Trauma der Weltkriegserfahrung für die Kirche in Deutschland? Die 71. Jahrestagung der Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte „Zeitenwende 1919 – Krisen und Aufbrüche nach dem Ersten Weltkrieg“ versammelte Experten aus sechs Bistümern, die sich mit dieser Frage beschäftigten. Die Tagung fand vom 25. bis 27. April im Robert-Schuman-Haus in Trier statt. Höhepunkte waren der öffentliche Vortrag von Prof. Dr. Hubert Wolf (Münster) und die Verleihung der Ehrengabe der Gesellschaft an Prof. Dr. Winfried Weber (Trier).
„Politik für die Kirche, Politik in der Kirche“ betitelte Wolf seinen Vortrag, der vor einem Publikum aus rund 90 Frauen und Männern die von tiefer Freundschaft geprägte Zusammenarbeit zwischen dem Trierer Kirchenrechtler, Prälat und Politiker Ludwig Kaas und dem Apostolischen Nuntius Eugenio Pacelli beleuchtete. Letzterer ging später als Papst Pius XII. in die Geschichtsbücher ein. Ihre Kooperation begann bereits kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Der Codex Iuris Canonici (Gesetzbuch des Kirchenrechts der römisch-katholischen Kirche) strebte damals eine „Trennung zwischen den Sphären von Religion und Politik“ an. Seelsorger sollten ohne ausdrückliche Erlaubnis des Ortsbischofs kein Abgeordnetenmandat mehr annehmen dürfen. Man befürchtete, dass Gläubige mit anderer politischer Einstellung abgestoßen würden, erläuterte Wolf. Für den Kleriker Kaas, der als Abgeordneter der Zentrumspartei Mitglied des preußischen Staatsrates war, bedeutete dies eine permanente Gratwanderung.

Minutiös wie kurzweilig beleuchtete der Historiker Wolf brisante Aspekte der Trierer Bischofswahl von 1922: Kaas befürwortete den Regens des Trierer Priesterseminars, Nikolaus Bares, als Nachfolger von Bischof Michael Felix Korum. „Pacelli unterstütze seinen Personalvorschlag vorbehaltlos“, sagte Wolf. Die Trierer Domherren hingegen erklärten, „dass sie seinen Kandidaten Bares nicht einmal unter Zwang wählen würden.“ Die „Trierer Angelegenheit“ ruhte daraufhin bis nach der Papstwahl. Der neue Papst Pius XI., Pacellis Vorgänger, gestattete dann dem Domkapitel das freie Wahlrecht. Dieses wählte Franz Rudolf Bornewasser zum Bischof – die Pläne des „Tandems“ Pacelli/Kaas waren gescheitert. Anhand von vatikanischen Akten belegte Wolf darüber hinaus, dass Kaas selbst nie als Kandidat für die Nachfolge Korums vorgesehen war. Dies war innerhalb der Forschung diskutiert worden. „Archivarbeit lohnt sich immer noch. Es kommt in Rom doch manchmal noch was Neues raus“, kommentierte der Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte den Fund.
Am selben Abend übergab Prof. Dr. Bernhard Schneider (Trier) die Ehrengabe der Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte an den Trierer Archäologen Prof. Dr. Winfried Weber. Von 1995 bis 2010 leitete dieser das Bischöfliche Diözesanmuseum. Die Auszeichnung wurde dem „Trierer Indiana Jones“, so Schneider, für hervorragende Forschungsleistungen und zahlreiche Verdienste im Kulturbetrieb verliehen. Die Gesellschaft ist ein Gemeinschaftswerk der Kirchenhistorikerinnen und -historiker sowie kirchengeschichtlich Interessierter in den Bistümern Fulda, Erfurt, Limburg, Mainz, Speyer und Trier zur Erforschung der regionalen Kirchengeschichte. Sie wurde 1948 in Mainz gegründet.
Neben mehreren Vorträgen beinhaltete das Programm auch eine Exkursion und eine Eucharistiefeier mit Weihbischof Franz Josef Gebert in der Saarbrücker Christkönig-Kirche. Verantwortet wurde die dreitägige Zusammenkunft von den sechs Trägerbistümern der Gesellschaft. Die inhaltliche Konzeption und Organisation oblagen dem Präsidenten der Gesellschaft, Prof. Dr. Bernhard Schneider, und dem Vizepräsidenten, Dompropst Werner Rössel (beide Trier).
(ih)