Bistum stellt Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs und Präventionsarbeit vor :„Die Betroffenen müssen im Vordergrund stehen"
Trier – „Wir stehen erschüttert vor dem verbrecherischen Missbrauch von Klerikern an Kindern und Jugendlichen, vor der Verharmlosung und Vertuschung vieler dieser Verfehlungen seitens der Bistumsverantwortlichen, vor dem oft unangemessenen Umgang mit den Betroffenen und ihrem Leid.“ Das hat Generalvikar Dr. Ulrich Graf von Plettenberg bei einer Pressekonferenz am 25. September zur Vorstellung der Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs und der Prävention im Bistum Trier gesagt. Anlass war die kurz zuvor in Fulda im Rahmen der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz von Forschern vorgestellte Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“. (alle Informationen bei www.dbk.de) Neben von Plettenberg gaben Dr. Andreas Zimmer, Präventionsbeauftragter des Bistums, und die psychologische Psychotherapeutin Dorothee Lappehsen-Lengler, eine Übersicht über aktuelle Zahlen und Maßnahmen im Bistum Trier.
Die Ergebnisse der in Fulda vorgestellten Studie, insbesondere die hohe Zahl der von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche Betroffenen, sei schockierend, so der Generalvikar. „Für die meisten von Klerikern begangenen Verbrechen tragen wir als katholische Kirche insgesamt und wir als Leitungsverantwortliche im Besonderen mit die Verantwortung.“ Die Zahlen für das Bistum Trier stellte von Plettenberg aus zwei Perspektiven vor: Die in die Studie eingeflossenen Zahlen auf Grundlage aller Personalakten von katholischen Priestern, Diakonen und Ordensangehörigen aus dem Bistum von 1946 bis 2015, und zum anderen die Aufarbeitung der Fälle von Betroffenen, die sich seit 2010 gemeldet hatten. So wurden für die Studie 4.680 Akten kontrolliert, aus denen sich 148 Hinweise auf Beschuldigte ergaben, also rund drei Prozent, von denen alle Priester waren. Die Taten und Vorwürfe bezogen sich dabei auf einen Zeitraum ab 1918. Es gab 442 Betroffene, von denen 252 männlich und 190 weiblich waren.
Kirchenrechtliche Voruntersuchungen gegen noch lebende Beschuldigte abgeschlossen
Seit 2010 meldeten sich 140 Personen beim Bistum Trier, die 75 Priester beschuldigten, davon 42 bereits verstorbene und 33 noch lebende Priester. Bei den Fällen verstorbener Priester sind Ermittlungen nicht mehr möglich, jedoch wurden Plausibilitätsprüfungen durchgeführt und finanzielle Leistungen in Anerkennung des Leids bewilligt. Auf Ebene des Bistums sind alle kirchenrechtlichen Voruntersuchungen gegen noch lebende Beschuldigte abgeschlossen. Ein Priester wurde laisiert, zwei Priester wurden aus dem Klerikerstand entlassen und ein weiterer auf eigenen Antrag entlassen, sieben Priester mit einem öffentlichen Zelebrationsverbot belegt und in einem Fall hat die römische Glaubenskongregation ein gerichtliches Strafverfahren angeordnet. In weiteren Fällen wurden zeitliche Zelebrationsverbote oder Disziplinarmaßnahmen verhängt; in acht Fällen ließ sich der Missbrauchsvorwurf nicht bestätigen. Von 104 Anträgen auf finanzielle Anerkennung des Leids wurden 96 bewilligt, insgesamt zahlte das Bistum aus Mitteln des Bischöflichen Stuhls 475.500 Euro an die Betroffenen. Darüber hinaus können auch Therapiekosten übernommen werden, erklärte von Plettenberg; hier hat das Bistum bislang bei 12 Betroffenen rund 69.000 Euro gezahlt. Wo möglich, fordert das Bistum die finanziellen Leistungen von den Tätern zurück.
Der Generalvikar betonte, es gebe angesichts dieser Zahlen kirchlicherseits nichts zu beschönigen oder zu beschwichtigen: „Wir müssen uns zu Recht fragen lassen, warum Bistumsverantwortliche dem Schutz der Täter und der Institution Kirche Vorrang eingeräumt haben vor dem Schutz der Betroffenen und vor der Fürsorge für die Betroffenen des Missbrauchs.“ Priester, die des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurden, seien häufig einfach versetzt worden – die Kirche habe den Mantel des Schweigens über ihre Taten gedeckt und Betroffene vernachlässigt. „ Die Interessen und Bedürfnisse der Betroffenen müssen im Vordergrund stehen – ohne falsche Rücksichtnahme gegenüber dem Täter oder dem Ansehen der Kirche.“ Die Aufarbeitung der Verbrechen bleibe eine Herausforderung, auch wenn erste Schritte bereits getan worden seien: Die seit 2002 existierenden Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz zum Umgang mit sexuellem Missbrauch wurden weiter entwickelt; in Trier hat Bischof Ackermann eine Rahmenordnung Prävention verbindlich erlassen. „Wir wollen uns dafür einsetzen, dass weder Missbrauch noch Vertuschung wieder passieren.“ Dabei sei man auch darauf angewiesen, dass Betroffene sich melden – für den Erstkontakt gebe es unabhängige, psychologisch geschulte Gesprächspartner, die auch eine Brücke zur Bistumsleitung schlagen könnten.
Telefonisches und Online-Beratungsangebot
Dorothee Lappehsen-Lengler, die 2010 bis 2012 die Hotline der Deutschen Bischofskonferenz für Opfer sexuellen Missbrauchs geleitet hatte, wies auf das aktuell wieder geschaltete telefonische und Online-Beratungsangebot der Deutschen Bischofskonferenz hin. Dort können Menschen mit Beratungsbedarf Experten erreichen. Im Internet sind unter: www.hilfe-nach-missbrauch.de Beratungsangebote gelistet. Die Hotline ist unter Tel.: 0800-0005640 von 14 bis 20 Uhr täglich bis voraussichtlich Freitag, 28. September, zu erreichen. Die Psychotherapeutin gab ebenfalls Einblick in die Arbeit mit traumatisierten Minderjährigen und Erwachsenen. Sie berichtete unter anderem von den Folgen sexuellen Missbrauchs für die Betroffenen. Die katholische Kirche brauche eine opferorientierte Haltung: Man müsse realisieren, dass sexueller Missbrauch ein Verbrechen an Minderjährigen und eine Kindeswohlgefährdung sei und Täter für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ungeeignet seien. Zweitens müsse „ein Hilfssystem von Schutz, Erholung und Heilung greifen“.
Es muss eine Kultur der Achtsamkeit geben
Von Plettenberg erklärte, man müsse nun prüfen, wie die Herausforderungen angegangen werden können, die die Studie klar aufzeige. Es müsse „an der Kultur der Achtsamkeit gearbeitet werden“, der Weg der Aufarbeitung glaubhafter und transparenter gestaltet werden, in der Priesterausbildung die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität intensiviert werden und der Umgang mit Macht infrage gestellt werden. Dr. Andreas Zimmer, Präventionsbeauftragter im Bistum Trier, gab einen Überblick über die im Bistum Trier in den letzten Jahren schon implementierte Präventionsarbeit. 18.000 hauptamtliche Mitarbeitende und Kleriker seien bereits geschult worden, darunter pastorale Mitarbeitende, Lehrer, Beratungsfachkräfte der Lebensberatungen, Personal der katholischen Jugendverbände und im Caritasbereich, den Einrichtungen des Gesundheitswesens, und in der Jugend- und Altenhilfe. Davon waren 389 Priester, 127 Diakone und 461 pastorale Mitarbeitende. Hinzu komme die Schulung von Ehrenamtlichen in der Jugendarbeit, spezielle Schulungen für leitende Angestellte und Pfarrer.
Inhalt der Schulungen ist es, das Feld sexualisierter Gewalt besser zu verstehen, Täterstrategien zu erkennen und Folgen für Betroffene einzuschätzen und Reaktionsweisen kennenzulernen. Eine neue Kultur der Achtsamkeit zu etablieren – das sei Ziel der Präventionsarbeit. Dazu entwickle man für die Einrichtungen möglichst maßgeschneiderte institutionelle Schutzkonzepte. Das beginne schon bei der Personalauswahl und der Einstellung, bei der ein erweitertes Führungszeugnis Pflicht sei. In den Bereichen Schule, Beratung und Jugend seien verbindliche Verhaltenscodizes partizipativ erarbeitet und in Kraft gesetzt worden. Wichtig sei auch die Vernetzung mit kriminalpräventiven Projekten der Polizei und Fachberatungsstellen sowie Betroffenen. „Alles dies ist nicht zentralistisch zu erreichen, sondern erfordert viel Engagement in jeder Einrichtung und bei den unterschiedlichen katholischen Trägern“, stellte Zimmer fest. Die Ergebnisse der Studie würden nun umfassend analysiert und die bisherigen Konzepte überprüft und weiterentwickelt. „Schon jetzt kann ich sagen, dass wir die Zusammenarbeit mit den Betroffenen gerne intensivieren würden.“ In den letzten Jahren seien Wissen, Austausch und Sensibilität für das Thema gestiegen: So würden Grenzverletzungen unterhalb der der Straffälligkeit häufiger gemeldet, sodass Schlimmeres verhindert werden könne. „Aber die Arbeit kommt nie an ein Ende“, fasste Zimmer zusammen. Die Idee der Prävention müsse im Handeln der Mitarbeiter in den Einrichtungen konkretisiert und so die dahinterstehende Haltung erlebbar werden.
(sb)