Koblenz – Es ist das bekannteste Gebet der Christenheit, die meisten Gläubigen kennen es auswendig: Das Vaterunser. Aber könnte es sein, dass eine Bitte im Vaterunser in ihrer Bedeutung auch anders verstanden werden könnte? Dieser Vermutung ist der Gießener Professor Dr. Eckhard Nordhofen in einem Vortrag im Katholischen Forum Koblenz nachgegangen. Es gebe zahlreiche Bitten in den Gebeten der Menschen, die nicht erhört würden, eröffnete Nordhofen seinen Vortrag – ob da ein Kind sich ein Pony wünsche, ein Angehöriger darum bitte, dass ein lieber Verwandter von seiner Krankheit geheilt werde, und vieles mehr. Was man selbst wolle und wünsche, sei das eine; Gottes Wille sei anscheinend oft etwas anderes. Wie aber stehe es dann mit den Bitten im Vaterunser – dem Gebet, das Jesus die Menschen selbst lehrte und das ja sozusagen von Gott gegeben sei, fragte Nordhofen. Dieses Gebet müsse eigentlich recht nahe an Gottes Willen herankommen; dafür spreche ja auch die zweite Zeile „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.“ Gott wisse, was die Menschen brauchen, noch bevor sie ihn um etwas bitten. Wie aber passe das mit der Bitte um das „tägliche Brot“ in Zeile vier zusammen; die gehe ja für Millionen von Menschen nicht in Erfüllung: „Wie kann eine Bitte, die Hunger leidende Menschen weltweit jeden Tag aussprechen, nicht erhört werden, wenn Jesus uns dieses Gebet sozusagen selbst in den Mund legt?", fragte Nordhofen. Eine mögliche Deutung sei: an dieser Stelle ist gar nicht das „physische Brot“ oder Nahrung überhaupt gemeint, sondern vielmehr das „himmlische Brot“. Darauf lasse das Wort schließen, das sich an dieser Stelle in den ersten griechischen Übersetzungen des Gebets aus der Sprache Jesus finde. Es sei weniger mit „täglich“ zu übersetzen, sondern eher mit der Wortneuschöpfung „überwesentlich“. Jesus habe zwar häufig in Gleichnissen gesprochen, habe sich jedoch der Überlieferung nach meist recht präzise und klar ausgedrückt. „Er hätte das Brot nicht mit einem neuen Wort kennzeichnen müssen, wenn er 'täglich' gemeint hätte“, so Nordhofen. Jesus könnte also das „Manna“ gemeint haben – das Brot, das vom Himmel fällt. Das Manna stand im Alten Testament symbolisch für das Vertrauen der Israeliten auf Gott, darauf, dass er täglich für sie sorge. Und es stehe als Schlüssel dafür, dass der Mensch täglich sich selbst fragen und prüfen solle, wie er nach Gottes Willen ganz konkret leben könne. Brot also nicht verstanden als physische sondern vielmehr als geistige Nahrung; nämlich als die Frage, wie man den eigenen Glauben leben kann. Es sei ihm klar, dass es einer kleinen Revolution gleichkäme, würde von nun an im Vaterunser statt das „tägliche Brot“, das „himmlische Brot“ erbetet, sagte Nordhofen. Aber er plädiere zumindest dafür, sich mit dieser Deutung zu beschäftigen, da sie sprachhistorisch belegt werden könne und den Sinnzusammenhang des Gebetes eigentlich besser treffe.