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Mendiger Pfadfinder und Beeinträchtigte im Inklusionscamp bei „Rock am Ring“:„Sich von den Barrieren im Kopf frei machen“

Sie zelten und feiern, trotzen Regen und Gewitter gemeinsam: Die Georgspfadfinder Mendig sowie die Beeinträchtigten und Fachkräfte aus den Caritas Werkstätten St. Elisabeth in Sinzig sind zusammen beim Festival "Rock am Ring" in Mendig. Das Unwetter gestern Abend haben sie heil überstanden. Ein Blick in das Inklusionscamp. (Mit Bildergalerie & Audio-Reportage).
Datum:
4. Juni 2016
Von:
Bischöfliche Pressestelle

Mendig – „Mensch, ist das geil hier“, sagt Mehmet Aliucman, als er zum Lied „Speeding Cars“ der irischen Band Walking on Cars vor die Bühne „Beck´s Crater Stage“ geschoben wird. Es regnet in Strömen, der Boden ist inzwischen völlig aufgeweicht, die Wiese einem sumpfähnlichen Gelände gewichen, die Räder seines Rollstuhls drehen zeitweise durch. Doch ein Pfadfinder bringt ihn sicher ans Ziel. Für den 28-Jährigen „geht ein Traum in Erfüllung“, wie er sagt. Zum ersten Mal erlebt er das Festival „Rock am Ring“ nicht vor dem Fernseher, sondern hautnah, live, unmittelbar vor der Bühne. Mehmet Aliucman aus Grafschaft Ringen ist einer von elf Beeinträchtigten, die zusammen mit zwölf Georgspfadfindern aus Mendig und fünf Fachkräften der Caritas Werkstätten St. Elisabeth in Sinzig vom 1. bis 6. Juni bei „Rock am Ring“ zelten und feiern. „Inklusion bedeutet, dass Beeinträchtigte in die Gesellschaft integriert werden“, sagt Sascha Müller, betreuender Heilerzieher und Organisator des Inklusionscamps. „Aber es bedeutet auch die Möglichkeit, dass nicht-beeinträchtigte Menschen Kontakt mit Beeinträchtigten haben und sie kennenlernen.“

Platz neun auf dem Campinggelände: Die Zufahrtswege sind durch das Hin und Her der Camper und den starken Regen matschig. Immerhin gibt es hier noch mehr Gras als auf den übrigen Zeltplätzen und überhaupt sind die Wege breiter. Zwei Großjurten fallen auf: Schwarz, stabil, geräumig, mit einer blauen Pfadfinderfahne an der Spitze. Darin hat es sich die Gruppe gemütlich gemacht. Bunt gemischt sitzen sie an den Bierzeltgarnituren, plaudern, trinken ein erstes Dosenbier, unterhalten sich über die Red Hot Chili Peppers, deren Song „Can't Stop“ im Hintergrund läuft. Die Feuerstelle in der Mitte des Zeltes ist aus, kalt ist es trotzdem nicht. Rund 20 Grad sind es draußen, der Regen prasselt auf die Zeltplane, schwüle Luft macht sich breit. Drinnen duftet es nach Reis und Geschnetzeltem. Zwei Betreuerinnen bereiten in riesigen Töpfen das Mittagessen vor. Die Camper klappern schon mit Tellern und Besteck. „Mendig rockt“ steht auf einigen der T-Shirts.“ Auch Mehmet Aliucman rockt. „Ohne dieses Camp wäre ich wahrscheinlich nie zu Rock am Ring gekommen“, sagt er und lächelt zufrieden.

Der jüngste Betreuer im Team ist 15, der älteste Rockfan im Rollstuhl ist 72 Jahre alt. Für fünf Tage schlafen sie auf Feldbetten und Luftmatratzen. Unter den Beeinträchtigten sind auch vier Mehrfachbehinderte. „Wir wollen zeigen: Es ist möglich – und es macht großen Spaß“, sagt Sascha Müller, der seit Ende letzten Jahres den Besuch beim Rockfestival vorbereitet hat. Mit Grillgut, zwölf Paletten Dosenbier und Softgetränken, 300 Portionen Rührei und weiteren Festivalschmankerln versorgen sie sich selbst. „Jeder hat das Recht, an so einer Großveranstaltung teilzunehmen“, sagt Müller. „Ich bin wirklich sehr zufrieden, dass das in dieser Konstellation so gut klappt. Mein Ziel ist es, dass wir das wieder machen und vielleicht sogar ausweiten.“ 2015 bei der Premiere des Festivals in Mendig begeisterten den 40-Jährigen die vielen feiernden Menschen mit Beeinträchtigung. Sein Chef, der Werkstättenleiter Frank Zenzen, hatte dann die Idee, Pfadfinder und Beeinträchtigte zusammenzuführen.

„Ich hatte vorher etwas Bedenken, weil ich auch ein kleiner Schisser bin“, sagt die 17-jährige Pfadfinderin Vanessa aus Mendig. „Aber die Erfahrungen helfen, Barrieren im Kopf frei zu machen. Es macht so viel Spaß mit den Leuten hier.“ Im letzten Jahr noch war sie mit ihren Freunden auf dem Generalzeltplatz des Festivals. „Das war auch schön, aber das hier ist etwas Besonderes. Wann hat man schon die Chance, so etwas zu machen?“ Diese Chance nutzt auch der 16-jährige Justin aus Kruft, der ebenfalls als betreuender Pfadfinder dabei ist. „Ich lerne viele neue Leute kennen“, sagt er. „Und die sind so lustig.“ Das Festivalgelände erkunden sie gemeinsam. „Mehmet habe ich schon durch den Schlamm gezogen. Einmal vor, zurück, wieder vor – kurz sind wir steckengeblieben, aber auch das ging“, sagt er. Die Wege zum Festivalgelände sind zwar schlammig und uneben, Rampen machen es jedoch auch den Rollstuhlfahrern möglich, nah an die Bühnen heran zu fahren. Einer wartet auf den anderen, man hilft sich gegenseitig. Mit Gummistiefeln und Regenjacken trotzen sie dem Wetter und durch die Fähnchen an den Rollis heben sie sich aus der Masse hervor. „Es ist ein Miteinander – es gibt keine „Pfadis“ und keine Caritas mehr. Wir sind eine Gruppe“, sagt Vanessa. Das sieht auch Mehmet Aliucman so: „Ich bin so froh, hier sein zu dürfen“, sagt er, lacht, und rollt Justin hinterher. Er freut sich bereits auf die Red Hot Chili Peppers.