Gesprächsabend zur Zusammenarbeit von Jugendhilfe und kirchlicher Jugendarbeit:„Aktivitäten sind wichtiger als Reden“
Dillingen – Die Kinder- und Jugendseelsorge im Bistum Trier soll im Sinne einer „diakonischen Jugendarbeit“ stärker mit der freien und öffentlichen Jugendhilfe zusammenarbeiten. Das ist eines der Ergebnisse der Synode im Bistum Trier. Doch wie soll das funktionieren? Was kann diakonische Jugendarbeit aus Sicht der Jugendhilfe bedeuten? Wie könnte eine Kooperation aussehen? Um diese und viele Fragen mehr ging es am 26. April bei einem digitalen Gesprächsabend, zu dem die Dillinger Fachstelle Jugend eingeladen hatte. Rund ein Dutzend Engagierte aus der kirchlichen Jugendarbeit trafen sich dazu virtuell mit Referentin Dagmar Scherer, Direktorin für die Jugendhilfeeinrichtungen der Caritas Trägergesellschaft Saarbrücken mbH (cts).
„Wir organisieren Notfallhilfen“ beschrieb Dagmar Scherer die Arbeit der Jugendhilfeeinrichtungen. Erzieherische Hilfen gebe es immer nur dann, „wenn der Notfall im Zusammenleben von Eltern und ihren Kindern eintritt“. Für das Saarland betreffe das 2000 bis 2100 Kinder und Jugendliche, illustrierte Schrer die Dimension der Arbeit. Die Tendenz sei „etwa gleichbleibend“ und die Zahlen seit Jahren „demografieresistent“. Über 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen stammten aus alleinerziehenden und armutsgefährdeten Elternhäusern. Erzieherische Hilfen in Heimen oder in Wohngruppen seien ein „starker Eingriff in die Biografie der Eltern, Kinder und Jugendlichen“. Niemand komme freiwillig. Über die Inobhutnahme entscheide das Jugendamt. Die Aufgabe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Jugendhilfe sei es, diese jungen Leute nicht als „Defizitwesen“ zu sehen, sondern sie zu begleiten und dabei die Eltern einzubeziehen. Ohne eine gute Elternarbeit werde eine Rückführung in die Familie fast unmöglich. Deshalb müsse immer das gesamte System beachtet und in seinen Kompetenzen gestärkt werden. Weil die Problemlagen sehr vielfältig sind, brauche es in der Jugendhilfe auch entsprechend vielfältige Angebote.
„Wir leben in einer innerkirchlichen Blase“, beschrieb die Dillinger Gemeindereferentin Susanne Zengerly ihre Erfahrungen. Man komme in der kirchlichen Jugendarbeit – trotz Bemühens – wenig in Kontakt mit diesen Situationen. Wie könnten kirchliche Jugendarbeit und Jugendhilfe zusammen kommen?
Für Psychologin Scherer ist für eine Zusammenarbeit klar, dass die Fachleute der Jugendhilfe für die Notfälle zuständig bleiben. Kirchliche Jugendarbeit sei hier „nicht unterwegs“. Sie könne aber viel zur Normalisierung des Arbeitsfeldes leisten, etwa in der Zusammenarbeit mit den Familien. Hilfreich sei ein „gutes Netz für die Arbeit insgesamt“. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen sollten spüren können, dass sie willkommen sind. „Dass wir in ihnen ihre heilige Würde und das Antlitz Gottes sehen“, sagte Scherer. Es komme darauf an, in einem solchen Netz auf diese Menschen anders zuzugehen als auf „Defizit- und Symptomträger.“ Jede und jeder der Betroffenen habe einen persönlichen Karfreitag erlebt, und sie könnten „durch die Arbeit, die wir mit ihnen erfinden müssen, wieder auferstehen“, sagte Scherer. Dazu sei die Bibel ein „wunderbares Qualitätshandbuch für die Jugendhilfe“. „Was willst Du, das ich Dir tue?“, laute die Schlüsselfrage. Denn wir seien nicht die Expertinnen oder Experten für das Leben der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Ihnen Räume zur eigenen Entfaltung zu öffnen, sei die Aufgabe: „Nicht mit billigen Sprüchen sondern mit Handlungen“. Kinder und Jugendliche müssten das erleben können. Dabei könne die kirchliche Jugendarbeit helfen. Etwa indem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Jugendarbeit das System der Jugendhilfe kennen lernen. Das sei wichtig, wenn man ein Netzwerk bilden wolle. Eine konkrete Möglichkeit sei es, bei Projekten in der Jugendhilfe, etwa einer Ferienmaßnahme mitzuarbeiten. „Aktivitäten sind wichtiger als Reden“, sagte Scherer. Beim gemeinsamen Bauen eines Bootes komme man ins Gespräch, auch über die „Untiefen des Lebens“. So könne diese Begegnung vielleicht wichtig werden für die Kinder und Jugendlichen, aber auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Jugendarbeit. Es könne insgesamt darum gehen, den Alltag der Jugendhilfe zu bereichern. Formate dazu müssten gemeinsam entwickelt werden. Wichtig sei es, dass solche Aktivitäten in den Alltag der jungen Leute einfließen und nicht Sonderaktionen bleiben. So werde auch gemeinsam erlebt, dass es in der Jugendhilfe viel mehr gibt als „Leid und Notfall“.
Erste Schritte zu solchen Begegnungen kündigte Jörg Ries von der Fachstelle Jugend an. So lade man für Oktober Mitarbeitende der kirchlichen Jugendhilfe und Jugendarbeit zu einer „Auszeit“ zum gemeinsamen Austausch ein. Für Gemeindereferentin Zengerly war der Gesprächsabend der Anstoß, eine Wohngruppe in der Gemeinde zu besuchen. „Einfach mal mitfahren bei einer Freizeit“, nannte Elisabeth Einig vom Dekanat Dillingen eine Konsequenz des Abends. Es komme darauf an „mitzuerleben und mitzumachen“, um zu schauen, „wo unser Platz sein kann“. „Kirche muss in die Fremde gehen, dorthin, wo sie mit ihrer Botschaft nicht ankommt“, war das Signal des Abends für Carsten Matlok, Lehrer an der Katholischen Fachschule für Sozialpädagogik in Saarbrücken. Es gehe darum, Jugendliche darin zu bestärken, dass sie Teil der christlichen Botschaft sind, ohne perfekt zu sein.
Referentin Scherer sagte zu, mit den Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeitern in Verbindung zu bleiben. Sie wolle bestehende Gelegenheiten in nächster Zeit nutzen, um für das Anliegen zu werben. Es gehe darum, dass sich die Akteure im Feld der Kinder- und Jugendarbeit und der Jugendhilfe verbinden, um die Lebenschancen von jungen Leuten und ihren Familien zu stärken. Die Türen der Einrichtungen der cts sollen dafür offen stehen.
(hgs)