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Das FSJ als gesetzlich geregeltes Bürgerschaftsengagement wird 60:Altes Geburtstagskind mit vielen jungen Gesichtern

Was der Freiwilligendienst für sie bedeutet hat und wie er ihren Lebensweg geprägt hat, erzählen uns ehemalige FSJler*innen in unserem Beitrag zum Jubiläum des FSJ in diesem Jahr. Gratulation zum 60sten!
Matthias Soot beim Weltjugendtag in dem Alter, in dem er nach der Schule den Freiwilligendienst absolvierte und heute als Dozent an der TU Dresden.
Datum:
6. Sept. 2024
Von:
Simone Bastreri
Viele junge Leute engagieren sich immer noch gerne freiwillig - wie hier BFDlerin Eva im Mergener Hof Trier

Trier/Bistum – An unzähligen Orten begegnet man ihnen – beim Krankenhausaufenthalt, in der örtlichen Kita, beim Theaterbesuch, in Tourismusinformationen, im Pflegeheim oder einem Naturschutzzentrum: FSJler. Merkmale? Jung, sozial eingestellt und ehrenamtlich für die Gesellschaft engagiert. Hinter der Abkürzung stehen Zehntausende junge Menschen, die jedes Jahr ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) absolvieren. Dieses besondere, in ein Gesetz gefasste bürgerschaftliche Engagement feiert in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag. Die Wurzeln des FSJ liegen indessen bei der evangelischen und katholischen Kirche. 1954 rief das diakonische Werk unter dem Motto „Gib‘ ein Jahr“ junge Menschen dazu auf, einen Dienst an Kranken und Pflegebedürftigen zu leisten. Wenig später folgte die katholische Kirche mit einem „Jahr für die Kirche“. Immer mehr Leute fanden sich bereit für einen solchen Dienst, sodass 1964 ein Bundesgesetz beschlossen wurde. Seitdem engagieren sich junge Menschen für karitative Einrichtungen, seit Ende der 1980er auch im ökologischen Jahr für die Umwelt. Sie werden pädagogisch begleitet und fachlich angeleitet.

Angelika Elsen 1983 als FSJlerin und 2024 als selbstständige Seelsorgerin

Das FSJ zeigte ihr den Weg zum Herzensberuf

Menschen wie Michelle Becker. Die heute 26-Jährige aus Bettenfeld bei Manderscheid entschied sich nach dem Realschulabschluss für ein Fachabitur im Bereich Handel und E-Commerce. Nach einem halben Jahr war ihr klar: „Das ist genau das, was ich nicht beruflich machen möchte. Der soziale Bereich liegt mir viel mehr.“ Schon seit ihrer Kindheit in einer katholischen Jugendgruppe und als Leiterin verschiedener Bastel- und Tanzgruppen engagiert, habe sie immer gern Verantwortung übernommen und die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen spannend gefunden. Also wechselte sie an die Fachoberschule für Gesundheit und Soziales und absolvierte dort ihr Fachabitur. Mit einem Studienplatz funktionierte es jedoch nicht sofort und so sah die junge Eifelerin sich nach einer sinnstiftenden Arbeit um. „Da war eine Stelle ausgeschrieben beim Haus der Jugend in Wittlich. Das kannte ich, das lag bei der Schlossgalerie und die hatte eher einen schlechten Ruf. Aber gerade das hat mich dann gepackt: Ich wollte in die Jugendarbeit, wollte lernen, auch mit jungen Leuten aus anderen Milieus zu arbeiten.“ Gesagt – getan – Becker wurde die erste FSJlerin im Team, suchte sich einen Träger und wurde bei den Sozialen Lerndiensten des Bistums Trier fündig. Noch heute hat sie Kontakt zu „ihren Mädels“, mit denen sie damals die fünf übergreifenden Seminare des katholischen Trägers in Kyllburg absolvierte. Nach dem FSJ (2017 bis 2018) studierte sie Kindheitspädagogik in Darmstadt und blieb währenddessen ihrer alten FSJ-Stelle treu, half ehrenamtlich bei Konzerten oder Partys aus. „Ich hatte so ein nettes kleines Team, herzlich und professionell, das mich gut begleitet hat und von dem ich viel lernen durfte“, erinnert sich Becker. Und heute? Inzwischen arbeitet sie hauptamtlich in eben jenem Team. „Für mich persönlich war das FSJ eine große Bereicherung. Ich habe so viel gelernt im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, mit denen ich vorher keinen Kontakt hatte, mit vielen Kulturen, unterschiedlichen Menschen, mit Beeinträchtigungen, freundlichen und nicht so freundlichen Leuten. Es war ein Grundstock, auf dem ich meinen beruflichen Weg aufgebaut habe.“

Die FSJ Einsatzstellen sind so unterschiedlich wie die sozialen Bereiche

Die Finanzierung des FSJ steht auf wackeligen Beinen – Träger fordern Verbesserungen

Aus vielen Einrichtungen sind die FSJler kaum wegzudenken. Umso größer waren die Sorgen vieler Wohlfahrtsverbände im Jubiläumsjahr, als in den ursprünglichen Haushaltsplänen der Bundesregierung für 2025 deutliche Kürzungen drohten. Bis zu 30 Prozent weniger Geld – das hätte einen massiven Abbau von Plätzen bedeutet. Zwar hieß es Ende Juli vorerst Aufatmen – der Entwurf sah gleichbleibende Ausgaben vor – auch für die Jahre bis 2028. Doch Susanne Kiefer, Leiterin der katholischen Sozialen Lerndienste im Bistum Trier, betont, de facto seien es trotzdem Kürzungen. Denn die Ausgaben der Träger stiegen seit Jahren, ohne dass die Fördergelder an ökonomische Realitäten wie die Inflation angepasst würden. Außerdem sei die Planungssicherheit nicht gegeben: „Wenn wir jedes Jahr um die Zusage von Fördergeldern bangen müssen, ist das systematisch langfristig nicht tragbar. Wir sind in der Landschaft ein mittelgroßer Träger. Andere Träger haben schon aufgegeben.“ Ein weiterer Kritikpunkt: Die Einsatzstellen müssen die Kosten für das Taschengeld, das FSJler und andere Freiwillige erhalten, selbst zahlen. „Wir sind da aber nicht konkurrenzfähig, moniert Kiefer. „Aktuell ist es finanziell teils attraktiver als ungelernte Kraft zu kellern oder einer anderen Tätigkeit nachzugehen als einen Freiwilligendienst zu machen.“ Irgendwie müssten die jungen Menschen aber auch leben, selbst wenn ihr Dienst freiwillig geschehe. „Daher fordern wir, das Taschengeld im Sinne eines staatlich finanzierten Freiwilligengeldes auf Bafög-Niveau anzuheben.“ Die Freiwilligkeit solle aber grundsätzlich bestehen bleiben. Sie schlagen als Gegenentwurf zum Wiedereinsetzen der Wehrpflicht einen Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst vor, der gefördert wird.

Chance auf ein Jahr Orientierung nutzen

Für viele junge Leute, die sich nach der Schule noch beruflich orientieren möchten, ist ein FSJ eine gute Option, findet auch der ehemalige FSJler Matthias Soot. Heute lebt der 35-Jährige bei Hamburg und lehrt an der Technischen Universität Dresden an der Professur für Landmanagement. In der Eifel aufgewachsen machte er 2008 sein Abitur am Technischen Gymnasium in Trier. Über Klassenkameraden erfuhr er von den Sozialen Lerndiensten und entschied sich nach einer Informationsveranstaltung: „Das ist was für mich, ich gehe für einen Tag Probearbeiten in der Dom-Information.“ Der Dienst gefiel ihm und wurde für ein Jahr seine tägliche Routine: Neun Uhr Beginn, Stühle aufstellen, Gottesdienstbesucher empfangen und der imposanten Orgelmusik lauschen, im Verkauf mitarbeiten oder im Dom und der Schatzkammer als Ansprechpartner bereitstehen. Soot ist ehrlich: „Ein FSJ in der Pflege zum Beispiel wäre nichts für mich gewesen. Das ist ja das Schöne, es gibt in allen möglichen Bereichen Einsatzstellen. Die Touristen und Besucher waren in der Regel gut gelaunt, die Arbeit meistens sehr angenehm. Ich habe meine Fremdsprachen verbessert und gelernt, auf Leute zuzugehen.“ Heute selbst Lehrender, sieht er das immer frühere Eintrittsalter ins Studium nicht nur positiv. Vielen unter 18-Jährigen fehle noch eine gewisse Reife, was sich auch in einer höheren Abbrecherquote widerspiegele. „Ich empfehle einfach, diese Auszeit zwischen Schule und Studium oder Beruf zu nutzen, ein Jahr nochmal entspannter und entschleunigter zu erleben. Ich bin jedenfalls dankbar dafür und hab’ es nie bereut.“

FSJler Lasse hat sich für ein FSj in der Integrativen Kita am Bach in Trier entschieden

FSJ in den 80ern und heute: Seelsorgerin

Angelika Elsen-Heck fand durch das FSJ in den 1980er Jahren sogar ihre Berufung: 1984 war sie bei der Lebenshilfe in Bernkastel-Kues und später in der Jugendzentrale Wittlich eingesetzt. Dort kümmerte sie sich vor allem in der Organisation von Freizeiten für Menschen mit geistiger Behinderung. Die Erfahrungen regten sie dazu an, sich während des Studiums in München weiter in der offenen Behindertenarbeit der evangelischen Jugend zu engagieren. „Das hat mir dann das nötige Know-How und den Mut gegeben, als Gemeindereferentin in meiner ersten Stelle bzw. Pfarrei zusammen mit einer Studentin der Sonderpädagogik eine Jugendgruppe mit behinderten und nichtbehinderten Jugendlichen zu gründen. Dieses lebensstärkende Wirken war nur durch mein FSJ möglich“, schaut sie zurück.  Jungen Menschen kann sie das FSJ uneingeschränkt empfehlen, denn auch die Persönlichkeitsentwicklung sei während der Kurswochen nicht zu kurz gekommen und habe ihr „stärkende Anregungen für ihr ganzes Leben“ gegeben.

Auch aus den Krankenhäusern sind die FSJler kaum wegzudenken

Wie sieht die Zukunft des FSJ aus?

Wie das FSJ künftig organisiert wird, wird Politik und Träger weiterhin beschäftigen. Susanne Kiefer sagt, der Dienst habe sich schon weiterentwickelt, könne heute beispielsweise auch in Teilzeit absolviert werden.  Leider sei der Dienst aber noch immer abhängig von der finanziellen Situation der Familie. „Wo es keine Möglichkeit gibt, noch zu Hause zu wohnen oder bei der Miete unterstützt zu werden, für den ist der Dienst quasi nicht umsetzbar“ bedauert sie. Ein Erfolg sei immerhin, dass mittlerweile – anders als noch vor zwei, drei Jahren – das Taschengeld der Freiwilligen nicht mehr auf die Sozialleistungen der Eltern angerechnet werde. Für die Zukunft wünscht Kiefer sich vor allem finanzielle Sicherheit von Seiten des Bundes, aber auch eine andere Wertschätzungskultur. „Generell auch die Anerkennung von Arbeit im sozialen Bereich. Da hapert es in unserer Gesellschaft noch gewaltig. Dabei ist sie ein hohes Gut für alle Beteiligten, wird aber im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen oft ignoriert.“

Mehr Informationen gibt es bei den Sozialen Lerndiensten.