50 Jahre Lebensberatung St. Wendel:„Anforderungen an Familien sind komplexer geworden“
St. Wendel – Vieles hat sich seit dem Start vor fünf Jahrzehnten in der Gesellschaft gewandelt, doch der Auftrag der Lebensberatungsstelle in Trägerschaft des Bistums Trier in St. Wendel ist der gleiche geblieben: Menschen auf ihrem individuellen Weg begleiten und stärken, sodass ihr Leben gelingt. Seit 1973 bekommen Menschen hier kostenlos und kompetent Rat und Hilfe in Erziehungs-, Ehe-, Familien und Lebensfragen. Am Mittwoch, 28. Juni, wurde das 50-jährige Bestehen der Lebensberatungsstelle mit einem Festakt gefeiert, bei dem neben Vertretern des Bistums auch zahlreiche Kooperationspartner von Landkreis, Stadt St. Wendel, Jugendamt, Notfallseelsorge und anderen Einrichtungen ins Pfarrheim St. Anna in St. Wendel-Alsfassen gekommen waren.
Ölkrise, hohe Arbeitslosigkeit, gesellschaftliche Veränderungen infolge der 68er-Jahre – die positive Aufbruchsstimmung der Nachkriegsjahre war zur Zeit der Gründung der Lebensberatungsstelle 1973 verflogen. Auch das Beratungsangebot war damals dünn gesät, sodass die Menschen in der ersten Zeit teils über ein Jahr auf den ersten Termin warten mussten, berichtete Beratungsstellenleiterin Theresia Wagner. „Gewalt in der Familie“, „Kind hört nicht“, „Verhaltensprobleme“ oder auch „die Naschhaftigkeit des Kindes“ seien die Beratungsanlässe der ersten Zeit gewesen. Von Anfang an bis heute ist die Unterstützung von Kindern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche Teil des Angebots.
Trennungs-Problematiken haben stark zugenommen
„Die Themen der Ratsuchenden haben sich verändert und sind doch auch gleich geblieben: Es geht darum, das Leben gelingend zu gestalten“, sagte Wagner. Vor allem das Thema Trennung und Scheidung der Eltern und die dadurch entstehenden Belastungen für Kinder habe mit der Zeit zugenommen. Dies belegten auch offizielle Zahlen: So zeige eine aktuelle Studie des Deutschen Jugendinstituts (dji) zu Partnerschaft und Trennung, dass in den Jahren 2018 bis 2020 der Anteil der Scheidungen im Vergleich zu den Eheschließungen deutschlandweit angestiegen ist. Am deutlichsten trat dies in Hamburg, Berlin und im Saarland zutage, wo fast jede zweite Ehe geschieden wurde. So wurden im Saarland im Jahr 2021 4154 Ehen geschlossen und 1925 geschieden (Quelle Statistische Ämter des Bundes und der Länder). Im vergangenen Jahr waren die emotionale Belastung aufgrund von Trennung der Eltern, Umgangs- und Sorgerechtsstreitigkeiten, Partnerschaftskonflikte der Eltern die häufigsten Beratungsgründe bei Kindern und Jugendlichen, die zur Lebensberatung St. Wendel kamen.
Anforderungen an Familien sind komplexer geworden
„Das Tempo unseres Lebensalltags hat sich gesteigert. Wir haben heute den Anspruch, dass alles schneller, effizienter gehen muss. (….) Dazu kommt, dass die Anforderungen an die Menschen und Familien von heute komplexer geworden sind. Das bildet sich auch in den Beratungsgesprächen ab“, sagte Wagner. Aktuell sei die Zahl der Ratsuchenden, die sich an die Lebensberatung St. Wendel wenden, sehr hoch. „Es verlangt von uns auch die Verwaltung des Mangels, wir haben nicht genügend Personal, um alle Anfragen zeitnah zu bedienen“, sagte Wagner.
„In den 50 Jahren stecken die Schicksale und Lebensgeschichten ganzer Generationen: Kinder und Jugendliche, Paare, die an ihrer Beziehung arbeiten wollen, getrennte Eltern, die vom Familiengericht geschickt wurden oder Familien, die ein Unglück erlebt haben“, nannte Pfarrer Dr. Gerd Fösges, Leiter der Fachgruppe Supervision und Coaching im Bischöflichen Generalvikariat und selbst Lebensberater, in der Dankandacht einige Anlässe, Rat zu suchen. Es zeichne die Beraterinnen und Berater aus, dass sie in den Gesprächen aufmerksame Zuhörer seien und dem Anderen Raum geben, ohne zu werten. Dies vermittle den Ratsuchenden: Ihr werdet verstanden und angenommen.
Landkreis verspricht stärkere Unterstützung
Ein besonderes Geschenk hatte der St. Wendeler Landrat Udo Recktenwald dabei: „Wir schätzen Ihre wertvolle Arbeit mit den Menschen sehr und sehen, wie schwierig die Aufgaben sind. Der Jugendhilfeausschuss hat daher beschlossen, die Lebensberatung künftig zu 65 Prozent finanziell zu unterstützen. Das ist gut angelegtes Geld. Danke für die gute Zusammenarbeit.“ Im Jahr 2022 entstanden für die Lebensberatungsstelle in St. Wendel Gesamtkosten von rund 310.450 Euro. Davon trug das Bistum 39,5 Prozent, der Landkreis St. Wendel 60,5 Prozent. Im vergangenen Jahr haben in St. Wendel 883 Kinder, Jugendliche und Erwachsene Rat und Hilfe gesucht. Darüber hinaus haben 314 weitere Personen an Elternkursen, offenen Sprechstunden und Weiterbildungen teilgenommen.
„Vieles gelingt nur mit guten Kooperationen“, gab Dr. Andreas Zimmer, Leiter der Abteilung „Beratung und Prävention“ im Bischöflichen Generalvikariat Trier, den Dank zurück. Als Vertreter des Bistums Trier sprach er allen Beteiligten einen herzlichen Dank auch im Namen des Bischofs und des Generalvikars aus. „Es hat in den 50 Jahren nicht an Herausforderungen gemangelt“, resümierte er. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie habe die Lebensberatungsstellen vor neue Aufgaben gestellt, den Einrichtungen zugleich aber auch einen unerwarteten Digitalisierungsschub verpasst. Inzwischen gehört das Angebot der Videoberatung zum Regelangebot.
Verbunden mit dem Festakt waren ein Fachvortrag und ein Workshop zum Thema „Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder, deren Eltern sich in Trennungsprozessen befinden“. Darin zeigten Annegret Weiß und Sebastian Funke vom FamThera-Institut in Leipzig, wie sie mit Kindergruppen über die Trennung der Eltern sprechen – und parallel dazu den Eltern die Nöte ihrer Kinder näherbringen.
Die Beratungsstelle St. Wendel ist für jeden zugänglich und hat ihren Sitz in der Werschweilerstr.23, 66606 St. Wendel und ist erreichbar unter Tel. (06851) 4927 und per E-Mail unter sekretariat.lb.st.wendel@bistum-trier.de