Corona-Krise: Pfarrer Stefan Hippler berichtet über die Situation in Südafrika
Der aus Bitburg stammende Priester Stefan Hippler arbeitet seit vielen Jahren in Südafrika. Von 1997 bis 2009 war er Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in Kapstadt und hat dort die Hilfsorganisation „HOPE Cape Town“ aufgebaut, die sich im Kampf gegen Aids und für die armen Menschen in den Townships engagiert.
Herr Hippler, in Deutschland gibt es Ausgangsbeschränkungen, die meisten Menschen arbeiten vom Homeoffice aus. Wie sieht das in Kapstadt in Südafrika aus, wo Sie arbeiten und leben?
Ich sitze momentan hier auch im home office in einem Vorort von Kapstadt, Parklands, zwei Kilometer entfernt vom berühmten Bloubergstrandm, weil hier momentan der lockdown herrscht. Die Menschen müssen in ihren Häusern und Wohnungen oder Hütten bleiben und dürfen diese nur zu bestimmten Zwecken verlassen. Militär und Polizei kontrollieren hier wirklich an jeder Ecke.
Wie hat sich die Lage in den letzten Tagen entwickelt?
Ich war vor zweieinhalb Wochen noch in Deutschland und musste ganz schnell zurück hierher. Montagabend bin ich geflogen, ab Mittwoch wurden die Grenzen Südafrikas zugemacht. Der Präsident hat dann abends in einem Fernsehinterview den Lockdown für Freitag angekündigt. Für 21 Tage bis zum 16. April darf keiner mehr raus. Ich selbst bin negativ getestet worden, habe mich aber in Selbstquarantäne begeben.
Gestern Abend (1. April) gab es 1.386 Infektionen, fünf Tote, 51 Genesene. Noch sind die Zahlen gering, aber das Problem ist, dass bei uns kaum getestet werden kann, weil sie Stellen überfordert sind und nicht genug Material und Schutzkleidung da ist. Sollte sich das so entwickeln wie in Italien, Spanien oder den USA, wird das Gesundheitssystem einfach kollabieren. Das schaffen wir nicht. Wir haben hier eine der höchsten Tuberkulose-Raten der Welt. Und Covid19 ist ja gerade was die Lunge angeht sehr aktiv. Bei der HIV-Rate ist es etwas anders, denn wenn die Menschen antivirale Medikamente einnehmen, scheinen sie einen gewissen Schutz zu haben. Dass Südafrika eine sehr junge Bevölkerung hat, sehe ich als Chance, da die Krankheit bei vielen jüngeren Menschen ja harmlos verläuft. Von daher gibt es eine gewisse Balance.
Welche Maßnahmen wurden getroffen und wie wirken die sich auf die Bevölkerung aus?
Die Regularien sind schon sehr taff. Der Staat schreibt vor, was in den Geschäften verkauft werden darf. Zigaretten und Alkohol sind beispielsweise verboten. Man darf Hunde nicht mehr ausführen. Es gab Beschränkungen, wann welches Taxi wohin fahren soll. Die Masse an Einschränkungen ist gerade in den Townships nur schwer umzusetzen. Wir hatten zum Beispiel am Freitag den ersten lockdown- Tag – ausgerechnet dann bekommen aber die meisten Menschen hier ihren Wochenlohn. Also blieb keiner zuhause, weil alle einkaufen gehen mussten. Das hat zu unschönen Szenen geführt mit Soldaten, die nicht darin trainiert sind, Mengen zu dirigieren. Da geht es direkt ans Eingemachte und das war relativ brutal. Inzwischen hat sich die Lage etwas beruhigt.
Trotzdem – stellen Sie sich vor, wenn man mit zwölf Leuten auf einer kleinen 3 mal 6 Meter Hütte wohnen und bleiben muss, 24 Stunden an sieben Tagen die Woche, mit Hunger, Armut – das funktioniert nur ganz bedingt. Man muss die Menschen mitnehmen und ihnen das Gefühl geben, dass sie noch ein bisschen Herr der Lage sind. Da ist das deutsche Modell glaube ich besser. Sonst gibt es irgendwann Rebellion.
Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?
Wir arbeiten in ca. zwanzig verschiedenen township communities, zum Beispiel im „Blechhüttendorf“, einem kleinen township am Rande des Flughafens. Hier leben rund 20.000 Menschen aus 30 Nationen. Zwischen fünf und 15 Personen in einer Blechhütte von 3 mal 6 Metern; vier solcher Hütten haben eine Toilette und einen Wasserhahn. Also teilen sich bis zu 50 Personen eine Toilette. Die meisten hier sind arbeitslos. Wir haben in Südafrika 18 Millionen Menschen, die Sozialhilfe empfangen. In den letzten drei Tagen mussten diese Leute auf die Straße, um ihren Lohn abzuholen. Wir haben dort ein Containerdorf, engagieren uns in frühkindlicher Entwicklung, bieten Schulungen für Erwachsene, wir haben medizinische Versorgung. Für die meisten Kinder ist das Schulessen die einzige warme Mahlzeit am Tag. Wir haben eine Mitarbeiterin, die in dem township wohnt und die derzeit Nahrungsmittel hineinschmuggelt. Die Regierung will zwar, dass NGOs sich registrieren, damit sie das auch tun dürfen, aber zwischen Bekanntgabe und Umsetzung geht hierzulande mal eine Woche ins Land. Unsere Sozialarbeiterin versucht, durch die Hintertür Dinge zu organisieren. Unsere Ärzte und Gesundheitsmitarbeiter arbeiten ganz normal in der Klinik und zusätzlich versuchen die Gesundheitsmitarbeiter, bei Covid19-positiv getesteten Leuten das Umfeld abzuchecken.
Sie engagieren sich ja seit Jahren im Kampf gegen HIV. Kann man daraus auch etwas für diese Pandemie lernen?
Wir haben ungefähr 7,3 Millionen HIV Positive Menschen. Jede Woche infizieren sich 1.300 junge Menschen im Alter zwischen 14 und 24 an HIV. Wir selbst sehen ca. 200.000 Patienten. Die Durchseuchung ist recht groß. Ich habe diese Pandemie im Jahr 2000 relativ nah mitbekommen, mit dem Sterben von Kindern, von Müttern und so weiter. Ich merke einfach, wenn man so etwas schon mal mitgemacht hat, dass man etwas gelassener dem Ganzen ins Auge blickt. Man ist relaxter, realistischer, schaut, was man tun kann. Letztendlich sind die Ratschläge ähnlich, dass man sich nicht zu nahe kommen soll.
Wie organisieren Sie sich im home office und wie geht es weiter?
Jeden Tag habe ich mit dem senior staff um elf Uhr eine Videokonferenz. Ich bin konstant über whats app oder andere Dienste mit meinen Mitarbeitern verbunden – mir ist noch nicht einen Tag langweilig gewesen, weil es einfach so viele Dinge zu besprechen und zu regeln gibt. Wir wissen nicht, wie lange der lockdown noch dauern wird, aber wir schauen von Tag zu Tag, wie wir helfen können. Und natürlich hoffen wir, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesund bleiben.
Ich glaube, es ist eine riesige Lektion, die die Menschheit gerade lernt, nicht nur Staaten, sondern auch Gesellschaften. Im Prinzip ist das hier wie so ein riesiger Wakeup-Call (Ein Weckruf).Wir sind nicht Herren der Dinge, sondern Teil eines größeren Ganzen und müssen uns auch entsprechend benehmen. Es ist auch eine Lektion für Demut und Bescheidenheit. Ich hoffe, dass am Ende nicht nur die technischen Fragen gelöst werden – wie viele Krankenhausbetten und Beatmungsgeräte haben wir? – Sondern, dass speziell auch die Kirche das aufgreift und schaut: Was bedeutet das für das Vertrauen ins Leben, für den Glauben, für das Miteinander.
Wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch, Herr Hippler, weiterhin alles Gute für Ihre wichtige Arbeit.
Danke auch und alles erdenklich Gute und Gottes Segen nach Trier ins Bistum, es ist schön, verbunden zu sein und die Solidarität zu spüren.
(sb)