Vallendar – „Über Jahrhunderte hinweg haben Menschen Schmerzen immer verschiedenartig definiert“, erklärte Professor Dr. Erika Sirsch von der Pflegewissenschaftlichen Fakultät an der Hochschule der Pallottiner (PTHV) am Anfang ihre Referats anlässlich der Akademietage. Aristoteles habe Schmerz für eine Gefühlsregung gehalten, im Mittelalter seien Abweichungen von moralischem und gottgefälligem Leben und Sünde mit Schmerz verbunden gewesen. Der französische Philosoph Descartes habe Schmerz als „sinnliche Wahrnehmung“ betrachtet. Die Weltschmerzorganisation IASP beschreibe den Schmerz als „ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebeschädigung verknüpft ist“. Wichtig sei aber, zu unterscheiden, ob es sich um einen „akuten“ oder einen „chronischen“ Schmerz handle. „Wir reden zu oft darüber, wie stark der Schmerz ist“, kritisierte die Professorin. Besser sei es, sich zu fragen, wie ich meinen Schmerz beurteile. Schmerz gehöre zum Leben dazu. In einem zweiten Schritt stellte Erika Sirsch Überlegungen dazu an, was „Schmerz“ für Pflegekräfte und Angehörige bedeute. Dass die sich „in den anderen hineindenken, zuhören, ihn ernst nehmen sollen, und nicht auf Schmerzmittel vertrösten und dann absichtlich oder unabsichtlich ‚vergessen‘.“ Kritisch betrachtete Erika Sirsch, wie Menschen mit schmerzhaften Ereignissen umgingen. So habe der Fußball-Nationalspieler Max Meyer in einem Zeitungsinterview zugegeben, vorbeugend Schmerztabletten zu nehmen. Dasselbe sei auch von Marathonläufern berichtet worden. Prominente Frauen in High-Heels hätten sich vor ihrem Gang über den roten Teppich das Nervengift Botox in die Füße spritzen lassen, um das Schmerzgefühl auszuschalten. Dabei vergäßen Menschen oft, dass jeder ein „Schmerzgedächtnis“ entwickle. „Wir erfahren den Schmerz so, wie wir ihn deuten.“ Deshalb bleibe die Frage, ob der Schmerz „wirklich weg muss - oder ob es das Ziel ist, ihn in einen individuell akzeptablen Zustand zu bringen.“ Der Koblenzer Psychologe und Schmerztherapeut Josef Thümmel bestätigte: „Der Schmerz ist ein unabdingbarer Bestandteil menschlicher Existenz.“ Andererseits seien Schmerzen aber „unsere beste Schutzeinrichtung“. Ähnlich wie Erika Sirsch war es Thümmel wichtig, zwischen akutem und chronischem Schmerz zu unterscheiden. „Chronisch“- wenn der Schmerz nicht mehr beseitigt, sondern lediglich „gemindert“ werden könne, „akut“- wenn Heilungschancen bestünden. Als schwierig bewertete Thümmel die Behandlungserwartungen der Patienten: Etwa wenn sie erwartetet, dass die Ursache für den Schmerz doch gefunden werden müsse oder zumindest eine Therapie verordnet werden könne. Gelinge das nicht, entstehe daraus oft ein Gefühl der Hilflosigkeit oder eine emotionale Krise beim Patienten. „Soll denn die Krankheit bewältigt oder akzeptiert werden?“, fragte Thümmel. Bei der Krankheitsbewältigung gebe es Grenzen, etwa bei chronischen Rückenleiden. Deshalb empfehle er, das zu akzeptieren und mit Schmerzen umgehen zu lernen. Das eröffne Alternativen, neue Lebensthemen zu erforschen und sich wieder stärker Bezugspersonen wie Familie und Freunden zuzuwenden; das fördere auch eine bewusstere Selbstwahrnehmung. Schmerz lasse sich nicht immer lindern, oft aber die Verzweiflung daran, wenn Begleiter einfühlsam, verlässlich, wertschätzend und voller Mitgefühl mit dem Leidenden umgingen.