Bischof Ackermann besucht vom Hochwasser betroffene Pfarreiengemeinschaft Irrel:„Die Hilfsbereitschaft ist enorm“
Birtlingen/Minden/Prümzurlay – „Es hilft ja nichts“, sagt Tim Schmitt. „Wir verlieren nicht den Mut.“ Er steht mit seinem Bruder im Erdgeschoss seines Hauses in Prümzurlay. 7,20 Meter hoch stand die Prüm hier in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli. Der gesamte untere Teil des Hauses muss renoviert werden. 42 Häuser sind schwer beschädigt in dem 580-Seelen-Dorf, erzählt Moritz Petry, Bürgermeister der Verbandsgemeinde (VG) Südeifel. Gegenüber von Schmitts Haus steht ein Rohbau, der in Teilen wieder abgerissen werden muss. Der Straßenbelag ist weggerissen, die Brücke hat gottseidank gehalten. Aber am gesamten Ufer der Prüm bietet sich ein Bild der Verwüstung: umgestürzte Bäume, Müll, abgerutschte Uferwege. Am 26. Juli hat Bischof Stephan Ackermann gemeinsam mit den Pfarrern Frank-Oliver Hahn und Monsignore Michael Becker sowie Pater Bijeesh Matthew Pallath MSJ die Pfarreiengemeinschaft Irrel, zu der Prümzurlay gehört, besucht und mit Betroffenen, Helferinnen und Helfern gesprochen und sich ein Bild von der Situation gemacht.
Der Höchststand der Prüm sei bisher bei 4,90 Meter gewesen, angekündigt waren 5 Meter. Nachts um 2 Uhr, beim Höchststand, hätten dann auch die Sandsäcke nichts mehr geholfen, die die Feuerwehr tags zuvor noch gefüllt hatte, erzählt Schmitt, während das Trockengerät im Wohnzimmer brummt. Vor einigen Jahren erst ist er mit seiner Familie hier eingezogen, jetzt wohnen sie zu siebt bei seinen Eltern. Sein Vater und sein Bruder helfen beim Aufräumen und Renovieren. Auch Hubert Schackmann ist vom Hochwasser betroffen – aber zuerst einmal war er auch Helfer. „Als Bootsführer der Feuerwehr war ich nachts im Einsatz, bis ich irgendwann gesagt habe: Jetzt muss mich einer ablösen, ich muss mich um mein Haus kümmern.“ Er bezeichnet sich selbst als „hochwasser-erfahren“, aber so etwas habe er sich nicht vorstellen können. Er bleibt in seinem Haus, auch wenn es in einigen Teilen derzeit nicht bewohnbar ist. Schackmann betreibt neben seiner Arbeit als Betriebshelfer für landwirtschaftliche Höfe einen Kartoffelanbau, den will er nicht allein lassen. Und vielleicht, weil er nicht nur die eigene Not sieht, sondern auch die von vielen Landwirten kennt, ist die Frage nach struktureller und finanzieller Unterstützung Thema des Gesprächs mit Bischof und VG-Bürgermeister Petry. Auch die bekannten Irreler Wasserfälle habe das Hochwasser getroffen, erzählt Petry: „Man erkennt sie nicht wieder.“ Er denke in diesen Tagen auch viel an die Menschen in den anderen Hochwasser-Gebieten, etwa an der Ahr. Man dürfe nicht vergessen, dass die Regionen unterschiedlich stark betroffen seien. In der Südeifel gingen die Aufbauarbeiten bereits voran, „samstags war das THW bei uns schon durch“. Ihm ist wichtig: „Die persönlichen Schicksale müssen wir im Blick halten.“
„Die Hilfsbereitschaft ist enorm“
„In 31 Jahren Ehe haben wir uns hier so viel aufgebaut – innerhalb kürzester Zeit war das meiste weg“, sagt Renate Fisch. So viele Erinnerungen, die damit verbunden seien, sagt sie traurig, etwa die Tischdecken, die ihre Mutter bestickt hat. An einer Seite des Hofes, auf dem sie mit ihrem Mann Martin in Birtlingen lebt, ist eine ganze Mauerwand weggerissen worden von dem eigentlich kleinen Flüsschen Nims. „Wir haben ja hier immer mal wieder mit Hochwasser zu tun, aber sowas haben wir noch nie erlebt“, sagt Martin Fisch, der auch Ortsbürgermeister ist. In der Nacht musste er mit seinem Sohn über das Dach des benachbarten Hauses klettern und es öffnen, um sein Enkelkind zu retten, das auf eine strombetriebene Beatmung angewiesen ist. „Der Strom war ja weg.“ Bis 5 Zentimeter unter der Decke stand das Wasser im Erdgeschoss. Und nicht nur, dass das Haus beschädigt ist. „Wir wissen noch nicht, ob unsere landwirtschaftlichen Maschinen noch funktionieren, die mit dem öligen, schlammigen Wasser überschwemmt wurden.“ Wie so viele in der Gegend haben die Fischs keine entsprechende Versicherung. Und auch ein Silo wurde beschädigt – wo er sein Getreide nach der anstehenden Ernte lagern soll, weiß Martin Fisch noch nicht.
Gegenüber des Hofes gibt es eine kleine Privatkapelle; sie gehört zum Hof von Erwin Elsen. In die ist ein 5 Meter dicker Baumstamm hineingekracht und hat den Eingang beschädigt, der jetzt gestützt wird. Die Bänke sind rausgeräumt, nur in einer Ecke steht noch das Bild des Bischofs. Das sei ihm entgegengeschwommen, sagt Elsen, doch er habe es noch retten können. „Wenn hier wieder Gottesdienst gefeiert werden kann, komme ich“, verspricht Bischof Ackermann spontan. Donnerstagsnachmittags hatte sich das Wasser schon an vielen Stellen zurückgezogen – Unterstützung war schon unterwegs. Die Töchter der benachbarten Familien, die in Berlin und in Oberschwaben leben, Freunde, aber auch Fremde, die einfach mit anpacken wollten. „Die Hilfsbereitschaft ist enorm“, sagt Renate Fisch.
„Um 5 Uhr dachten wir noch, wir kriegen es in den Griff“
Diese Hilfsbereitschaft hat sich auch in Minden gezeigt. Ortsbürgermeister Franz-Josef Ferring steht mit einer Gruppe von Frauen und Männern in der leeren Kirche St. Silvester. 1918 habe es das letztes Mal ein so starkes Hochwasser von Sauer und Prüm gegeben, „dass die Bänke schwammen“. 2012 erst wurde nach einer Außen- und Innenrenovierung der Altar geweiht. „Normalerweise kommen fünf bis zehn Pilger pro Tag hier vorbei“, berichtet Ferring. Jetzt ist die Kirche leer, man sieht noch den Schlamm am Boden. Morgens um 5 sei das Wasser gekommen, „da dachten wir noch, wir kriegen es in den Griff“. Um 7 Uhr sei klar gewesen: „Wir verlieren.“ Immerhin konnten sie noch an der Brücke über die Prüm das Geländer mit einem Bagger abreißen, damit es nicht unkontrolliert wegschwimmt, die Brücke beschädigt und schlimmere Schäden anrichtet. Die Kirchenbänke seien schon wieder sauber, er hoffe sehr, dass man sie sanieren könne.
Bischof Ackermann dankt allen, die in Minden und andernorts geholfen haben. Er erinnert daran, dass derzeit die Öffentlichkeit vor allem an die Ahr schaue, „wo Menschenleben zu beklagen sind“, und berichtet den Mindenern von seinen Eindrücken und Erfahrungen dort. Weil es aber auch weitere Gebiete im Bistum gibt, die sehr vom schrecklichen Hochwasser betroffen sind, sei es ihm wichtig gewesen herzukommen. Und er gibt zu: „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass wir im Bistum Trier mal Hilfe von Caritas International benötigen oder uns Unterstützung aus anderen Bistümern angeboten wird.“ Es sei gut zu sehen, wie sehr die Menschen einander helfen. Das stimme ihn zuversichtlich, dass auch die kleine Kirche wieder hergerichtet werde. Gerne wolle er dann kommen und mit den Mindenern Gottesdienst feiern. Eine, die sicher mithelfen wird, ist Küsterin Marianne Steinbach. Auch wenn es anstrengender werde und die Kraft nachlasse, gerade nach einer solchen Katastrophe. Aber auch sie lässt sich nicht entmutigen: Es hilft ja nix – aber so viele helfen. Gottseidank.
(JR)