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Projekttage der Marienschule Saarbrücken:Einblicke in das Leben der anderen

Unter dem Motto „Jetzt ist die Zeit…“ standen die Projekttage der Marienschule. Die Schülerinnen und Schüler setzten sich dabei mit der NS-Geschichte und Rassismus auseinander und besuchten das Bruder-Konrad-Haus.
Eine Gruppe der Marienschule besuchte das Bruder-Konrad-Haus in Saarbrücken.
Datum:
5. Juli 2024
Von:
Ute Kirch
Führung durch das Gestapo-Lager Neue Bremm in Saarbrücken.

Saarbrücken – Schule kann durchaus Spaß machen – diese Erfahrung haben die rund 600 Schülerinnen und Schüler der Saarbrücker Marienschule, einem Gymnasium in Trägerschaft des Bistums Trier, in diesen Tagen gemacht. Während der Projekttage unter dem Motto „Jetzt ist die Zeit…“ konnten sie vom 1. bis 4. Juli ihren Interessen folgen und aus über 30 Angeboten aus den Bereichen Sport, Musik, Kunst, Geschichte, Stadtentwicklung, Caritas, Naturwissenschaften und Religiosität frei wählen. Federführend organisiert wurden die Projekttage vom Team der Schulpastoral.

Während es in Sporthalle, Kunstraum, Schulküche und Pausenhof lebhaft zugeht, ist die Stimmung im Workshop „Graphic Novel“ ernster. Hier setzen sich die Siebt- bis Zehntklässler mit dem Gestapo-Lager „Neue Bremm“ auseinander und erarbeiten anhand der Biografie der Überlebenden Clémence Jacques gemeinsam mit Mitarbeiterinnen des Landesjugendrings und einer Grafikerin eine „Graphic Novel“, eine ernsthaftere Form des Comics, die am Ende auch gedruckt erscheint. Um einen Eindruck zu gewinnen, besichtigt die Gruppe am ersten Tag das Lager im Rahmen einer Führung. „Ich wohne dort in der Nähe, war aber noch nie dort und wusste nicht, dass es dort eine Gedenkstätte gibt“, sagt David. Mitschülerin Malina ergänzt: „Mich interessiert Geschichte sehr und da ich sehr gerne zeichne, habe ich mich bewusst für diesen Kurs entschieden.“ Anhand eines Interviews, das Jacques Jahrzehnte nach ihrer Befreiung im April 1945 durch die Alliierten gab, erschließen sie sich ihr Leben. „Häftlingsbiografien sind meistens Verfolgungsgeschichten. Man weiß oft nicht, wer die Person war, welche Eigenschaften oder Hobbys sie hatte“, sagt Projektleiterin Lisa Denneler vom Landesjugendring. Es sei ein großes Anliegen, die Geschichte sichtbar zu machen und auf diese Weise weiterzutragen.

 

 

Fake News im Netz erkennen

Im Workshop Graphic Novel beschäftigt sich die Gruppe mit dem Gestapo-Lager Neue Bremm zusammen mit Grafikerin Manon Scharstein und Teamerin Nele Schäfer-Liedtke und Lisa Denneler.

Wie sich Rassismus anfühlt, konnte ein Teil der Gruppe „Rassismus – Wir gegen Fake und Hass“ für einen kurzen Moment selbst erfahren. Mitarbeiterinnen des Projekts des Jugendrotkreuz im DRK Saarland trennten in einem zehnminütigen Experiment die Schülerinnen und Schüler nach Augenfarbe. Während die einen bei der anschließenden Gruppenaufgabe zusammenarbeiten und auch das Handy zur Hilfe nehmen durften, wurden die anderen einzeln platziert und gemaßregelt. „Das fühlte sich scheiße an“, fasste es ein Schüler am Ende zusammen. Seine Gruppe reagierte sichtlich irritiert auf die ungerechte Behandlung. Die Schüler*innen der privilegierten Gruppe räumten ein, dass es durchaus ein angenehmes Gefühl gewesen sei, von den Referentinnen zuvorkommend, als etwas Besonderes, behandelt worden zu sein. „Für das Thema zu sensibilisieren, ist uns gerade nach dem Rechtsruck in den kürzlichen Wahlen ein besonderes Anliegen“, betonen die Lehrerinnen Andrea Schneider und Marie Meiser-Saß. Die Gruppe nutzte die Projekttage auch für ein Online-Interview mit einem Mitarbeiter von Volksverpetzer, einem Webblog, das sich als Faktenchecker mit Falschmeldungen auseinandersetzt. Dabei lernten sie, wie sie selbst Fake News erkennen können und wie diese Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen können. Als praktische Aufgabe nahmen sie an der Challenge „Zeichen setzen“ der Landesmedienzentrale Baden-Württemberg teil und nahmen dafür einen Podcast auf.

Muffins für wohnungslose Männer

Moritz verteilt Muffins an Bewohner Holger Decker.

Ihre Komfortzone verließen rund zehn Schülerinnen und Schüler, die in Kooperation mit der Jugendkirche eli.ja das Bruder-Konrad-Haus, eine Einrichtung für wohnungslose Männer der Caritas in Saarbrücken, besichtigten. Sie brachten den Männern selbstgebackene Muffins mit, kamen so ins Gespräch und erfuhren von Schicksalsschlägen, krimineller Vergangenheit und Spiel- und Drogensucht. „Viele der Männer standen mitten im Leben, andere hatten von Klein auf soziale Probleme, wieder andere sind Sexualstraftäter oder Mörder und haben ihre Haft abgesessen und dann keinen Ort, an den sie kommen können. Wer will solche Menschen in der Gesellschaft haben? Sie haben ihre zweite Chance verdient“, sagt Einrichtungsleiter Fabian Zeimet. Zusätzlich zur Wohnungslosigkeit kämen andere Probleme, vor allem Suchtprobleme, die ein erhöhtes Aggressionspotenzial mit sich bringen. „Ein Mann lebte zuvor zwölf Jahre ohne Strom in seiner Wohnung, viele vermüllen. Das geht dann bei uns im Haus weiter. Nicht alle Zimmer sehen schön aus“, gibt Zeimet einen ehrlichen Einblick in den Alltag. Besonders berührt die Gruppe das Schicksal eines Arztes, der scheinbar alles hatte – Familie und Geld – und nach der Scheidung mit 70, bei der seiner Ex-Frau alles zugesprochen bekam – vor dem Nichts stand und keinen anderen Weg als ins Bruder-Konrad-Haus sah. „Wer hierherkommt, muss sich zunächst eingestehen, gescheitert zu sein.“ Einen guten Job bei ZF und ein Zuhause hatte auch Angelo Diliberto. Doch die Spielsucht ruinierte ihn: 50.000, 70.000 Euro oder doch 90.000 Euro Schulden? So genau weiß er es nicht mehr. Die Beziehung zerbrach, Post öffnete er nicht mehr und ging irgendwann auch nicht mehr zur Arbeit. Zwei Jahre lebte er auf der Straße. Im Bruder Konrad Haus bekam er die Hilfe, um wieder Fuß zu fassen. Inzwischen arbeitet er im Bruder-Konrad-Haus. Geholfen habe ihm dabei auch der Fußball. Inzwischen engagiert er sich schon viele Jahre als Schiedsrichter auf saarländischen Fußballplätzen und pfeift auch bei internationalen Straßenfußballturnieren für Obdachlose. „Es braucht auch die Eigeninitiative. Wenn ich das schaffen kann, können das andere auch“, will Diliberto anderen Betroffenen Mut machen. Doch vielen fehle der eigene Antrieb und die Bereitschaft, an der Veränderung mitzuarbeiten, bedauert Zeimet. Ihre Prognose, nach den 2,5 Jahren, die sie im Bruder-Konrad-Haus bleiben dürfen, sei dann wenig hoffnungsvoll. „Der Bedarf ist enorm. Die Wohnungslosigkeit wird immer schlimmer, die Mieten werden teurer, die Renten reichen nicht. Hinzu kommt die Schuldenfalle. Auch psychische Erkrankungen nähmen zu. „Viele Bewohner bräuchten mehr Unterstützung, als wir hier anbieten können“, sagt Zeimet.