Michael Hüther thematisiert ökonomische Herausforderungen der Corona-Krise:„Es geht um die ‚Wirksamkeit‘ von Staat in der Krise“
Trier – Vor einer weiteren „Spaltung“ der Wirtschaft mit negativen Folgen für Beschäftigte gerade aus den Bereichen Einzelhandel, Gastronomie, Hotellerie und der Kulturbranche hat der Wirtschaftswissenschaftler Professor Michael Hüther in der Vortragsreihe „DomWort“ gewarnt. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft thematisierte die ökonomischen Herausforderungen und Folgen der Corona-Pandemie am 19. Februar im Trierer Dom. Das Video ist unter diesem Link abrufbar.
Vor fast genau sechs Monaten habe er schon einmal als Gast einer Veranstaltungsreihe im Dom zu Münster über die Corona-Pandemie gesprochen: „Damals glaubte man sich weiter, als man war“, so Hüther. Seit August habe sich indessen viel verändert: Die zweite Infektionswelle sei über das Land hinweggerollt und es sei leider nicht gelungen, für die besonders gefährdeten Gruppen in Alten- und Pflegeheimen einen ausreichenden Schutz zu etablieren. Zudem fehle es immer noch an einer gut durchdachten Teststrategie. „Etwas anderes hat sich ebenfalls verändert: Die Qualität der öffentlichen Debatte. Im Herbst waren wir eher mit Randphänomenen wie Corona-Leugnern konfrontiert, die mit diffuser Kritik bis hin zu Systemfragen schwer nachvollziehbare Positionen vertraten. Jetzt, mit der zweiten Welle, mit dem Erleben, dass die gewählten Strategien nicht wirklich überzeugen und keine richtige Perspektive öffnen, hat sich die Diskussion gewandelt.“ Initiativen wie „Zero Covid“, die ein europaweit koordiniertes und solidarisches Herunterfahren des öffentlichen Lebens samt Wirtschaft für kurze Zeit fordere, oder „No Covid“, die auf geringe Inzidenzzahlen und lokale grüne und rote Zonen setze, seien hinzugekommen. „Die Frage ist also heute: Können wir mit dem Virus leben, oder können wir beanspruchen, es auszurotten und zu besiegen?“ Schaue man in die Vergangenheit, sei das Ausrotten selten gelungen – mit Ausnahmen wie Polio oder den Pocken. Das Grippevirus habe man trotz Impfstoffen nicht verdrängen können. Hüthers Einschätzung sei deshalb: „Wir müssen uns darauf einstellen, mit der Pandemie zu leben.“
Ein symmetrischer Schock
Aus ökonomischer Sicht habe der Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 einen für die Wirtschaft ungewöhnlichen Zustand herbeigeführt: „Sowohl Angebot als auch Nachfrage standen gleichermaßen still, über fast alle Branchen und über nationale Grenzen hinweg – ein symmetrischer Schock also. Einen solchen Stillstand sehen wir historisch nur während Pandemien oder Kriegen.“ Der Staat habe aus seiner Sicht zunächst auch angemessen reagiert. Als Antwort habe er die Liquidität der Volkswirtschaft gesichert und Hilfen für Selbstständige, Zuschüsse für kleine Unternehmen, Kreditprogramme und Kurzarbeitergeld (22 Milliarden Euro) auf den Weg gebracht. In einer zweiten Phase sei es um Konjunkturpolitik gegangen. „Als Öffnungen möglich wurden, musste man Anreize geben und hat das beispielsweise durch Mehrwertsteuersenkung, Kinderbonus, Stabilisierung bei EEG-Umlagen und Sozialgarantie getan. Studien haben gezeigt, dass das auch einigermaßen funktioniert hat“, so Hüther. Die Industrie sei weiterhin recht stabil in ihrer Produktion geblieben – ein Glück für Deutschland mit seiner stark exportorientierten Wirtschaft. Daher sei auch der Einbruch des Bruttoinlandsprodukts mit 5 Prozent hierzulande glimpflicher ausgefallen als in anderen EU-Staaten.
Versäumnisse habe es indessen ab dem Herbst in der zweiten Infektionswelle gegeben. Es sei nicht gelungen, die Auszahlung der Unternehmenshilfen schnell auf den Weg zu bringen. „Was mir am meisten Sorge bereitet, ist so etwas wie eine Spaltung der Volkswirtschaft: Die Industrie trägt zwar weiterhin im globalen Rahmen. Aber die Binnensektoren wie Gaststätten und Hotels, der Einzelhandel und der Kulturbereich konnten seit langem nicht mehr richtig wirtschaften. Gerade dort haben wir aber Jobs mit geringeren Löhnen oder Jobs mit Einstiegs- oder Wiedereinstiegsmöglichkeiten. Wenn sich diese Sektoren weiter auseinander entwickeln, sehe ich da nachhaltig große Probleme auf uns zukommen – auch in der gesellschaftlichen Verteilungsfrage“, prognostiziert Hüther.
Große Defizite nicht erst seit Corona-Krise
Vor allem hake es an administrativer Stelle: „Es geht um Wirksamkeit von Staat – die endet eben nicht bei der Verkündigung von Zielen, sondern bei der verlässlichen Umsetzung selbiger. Im letzten Jahr funktionierte das noch ganz gut, doch ab dem Herbst war man kaum in der Lage, die Dinge auf den Weg zu bringen. Dabei geht es aber um Existenzen, um verlässliche Perspektiven und um enttäuschte Erwartungen.“ Große Defizite zeigten sich nicht erst seit der Corona-Krise. Schon 2015, als die großen Fluchtbewegungen aufgrund des syrischen Bürgerkriegs stattfanden, seien die Ausländerbehörden schlecht vernetzt gewesen. Nun seien es die völlig unzureichend digital ausgestatteten Gesundheitsämter und Schulen – ebenso herrsche Chaos bei der Vergabe von Impfterminen. „Wir haben ein Problem in der verwaltungsmäßigen Kooperation zwischen Bund, Land und Kommune. Die digitalen Schnittstellen funktionieren nicht richtig. Uns fehlt offenkundig die Kraft, in einer Krise eine Projektverantwortlichkeit zu definieren, die auch mal neben den bekannten Strukturen steht, wie man es in einem Unternehmen tun würde.“ So werde etwa zwischen Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsminister die Verantwortung für die Novemberhilfen hin und hergeschoben, monierte Hüther.
Natürlich sei der Staat in einer schwierigen Lage, es gelte immer, zwischen der aktuellen Gefahrenlage und dem Aussetzen von Grundrechten abzuwägen. Er wolle ein „Gegeneinander-Aufrechnen“ vermeiden, jedoch müsse man auch die „Kosten der Pandemie“ im Blick behalten, die sich etwa durch psychische Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Familien ergeben. Existenzängste und wirtschaftliche Sorgen sowie Arbeitslosigkeit könnten sogar zur Verkürzung der Lebenszeit führen. „Es gibt keine einfachen Antworten. Das Virus ist eine absolute Bedrohung, dennoch müssen wir realistisch mit ihr umgehen. Keine Gesellschaft kann einen absoluten Gesundheitsschutz bieten. Wir als Christen wissen, dass das Sterben zum Leben dazugehört. Wir sind in einem ethischen Dilemma – so gut es geht den Schutz organisieren, aber auch akzeptieren, dass das Virus nicht verschwinden wird und wir auch in Zukunft mit Infektionswellen und erhöhten Sterblichkeiten rechnen müssen.“ Dabei plädierte Hüther dafür, mehr auf die bereits vorhandenen Möglichkeiten zu setzen: „Selbsttests und moderne Apps mit verbessertem digitalen Tracking stehen schon zur Verfügung. Wir könnten ein Jahr nach der Pandemie eigentlich schon weiter sein.“
(sb)