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SkF-Geschäftsführerin spricht über aktuelle Herausforderungen in der Sozialberatung:Gesellschaft darf Armut nicht hinnehmen

Der Beratungsbedarf in sozialen Notlagen wird immer größer. SkF Trier-Geschäftsführerin Regina Bergmann spricht über die Herausforderungen, die sich daraus ergeben.
Essensausgabe der Trierer Tafel. Foto: SkF
Datum:
3. Sept. 2022
Von:
Bischöfliche Pressestelle

Trier – Lebensmittel, Strom und Gas werden immer teurer. Das betrifft vor allem jene, die ohnehin schon mit kleinstem Budget über die Runden kommen müssen: Geringverdienende, Hartz-IV-Empfänger, Wohnungslose oder Senioren, die nur eine schmale Rente beziehen. Je größer die Armut, desto länger die Schlangen vor den Tafeln, die gespendete Lebensmittel verteilen. Auch für die Trierer Tafel in Trägerschaft des Sozialdienstes katholischer Frauen Trier (SkF) wird es zunehmend zum Kraftakt, die konstant steigende Nachfrage zu stemmen, berichtet SkF-Geschäftsführerin Regina Bergmann. Doch die Warteschlangen vor der Essensausgabe sind nur ein Symptom tiefergreifender Probleme, mit denen sich der SkF, der eine umfassende Sozialberatung leistet, in seiner täglichen Arbeit konfrontiert sieht.

„Die Beratung in sozialen Notlagen nimmt seit Corona immer mehr Raum ein – fast 80 Prozent der Beratungen sind mittlerweile im Kontext finanzieller Not. Derzeit sind Energieschulden ein Riesenthema – aber auch psychische Belastungen und finanzielle Einbußen infolge der Corona-Maßnahmen“, erklärt Bergmann die momentanen Umstände. Seit dem Krieg gegen die Ukraine habe sich die Lage abermals verschärft. Teils seien die Anfragen so zahlreich, dass Menschen mit Beratungsbedarf bis zu sechs Wochen auf einen Termin warten müssten. „Das macht sowohl unsere Hauptamtlichen als auch die Ehrenamtlichen betroffen, weil wir sehen, dass wir eigentlich nicht mehr so weiterhelfen können, wie wir es gern täten.“

SkF-Geschäftsführerin Regina Bergmann. Foto: SkF

Immer mehr Menschen kämen zur Tafel, weil das Geld, das sie monatlich zur Verfügung haben, nicht mehr für den Lebensunterhalt reicht. Das deutsche Sozialsystem greift nicht an allen Stellen: So weist Bergmann beispielsweise auf die Hürden hin, die es bei der Antragsstellung für staatliche Transferleistungen zu überwinden gilt. Viele Frauen und Männer, die durch den SkF Unterstützung erfahren, seien oftmals gar nicht imstande, sich im Behördendschungel zurechtzufinden, hätten nicht alle nötigen Unterlagen zur Hand oder seien schlicht mit der Digitalisierung überfordert. „Obdachlose Menschen oder Senioren können das oft gar nicht leisten.“ Hinzu komme, dass viele gar nicht wüssten, dass sie antragsberechtigt sind. Diese Beobachtung wird von führenden Armutsforschern wie dem Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge bestätigt. Laut Presseberichten geht er davon aus, dass sogar nur jeder zweite Antragsberechtigte überhaupt einen Antrag auf Transferleistungen stellt. Diese Armut im Verborgenen „sehen wir eigentlich tagtäglich – und zwar in allen unseren Arbeitsbereichen“, sagt Bergmann, und gibt ein konkretes Beispiel: In der vom SkF betriebenen Notschlafstelle für obdachlose Frauen gibt es vier Plätze, die für gewöhnlich im Sommer nicht ausgelastet sind. In den vergangenen Monaten war die Unterkunft allerdings permanent überbelegt. Dorthin kommen etwa Frauen, die suchtkrank sind oder eine psychische Erkrankung haben, Gewalt und traumatische Beziehungsabbrüche erfahren haben.

Die SkF-Geschäftsführerin befürchtet, dass im kommenden Herbst und Winter noch mehr Alleinstehende, aber auch ganze Familien, von Stromabschaltungen betroffen sein werden, weil sie schlicht die hohen Kosten nicht mehr tragen können. Zudem werde es immer schwerer, eine bezahlbare Wohnung zu finden. „Das wird ziemlich viel Verzweiflung auslösen.“ Dass die geplante Einführung des Bürgergeldes oder die Energiepreispauschale Abhilfe schaffe könne, bezweifelt Bergmann. „Wir müssen an den grundlegenden Mechanismen der Geldverteilung arbeiten. Und wir müssen wieder in ein Zusammenleben kommen, in dem wir keine Subsysteme schaffen.“ So richtig und wichtig die Arbeit der Tafeln auch sei: Die Gesellschaft laufe Gefahr, Armut gelassen hinzunehmen. „Denn es gibt sie ja, die Tafeln. Da können ‚die‘ ja hingehen. Aber wer sind denn ‚die‘? Es werden immer mehr. Und die Not geht in die bürgerliche Mitte“, sagt Bergmann und fordert: „Diese romantische Verklärung der Tafelarbeit muss aufgehoben werden. Tafeln können, dürfen und sollen nicht die Lücken schließen, die Sozialpolitik hinterlässt.“

Der SkF ist ein Frauen- und Fachverband in der Kirche, und dem Caritasverband der Diözese Trier zugeordnet. Er ist anerkannter Träger der Kinder- und Jugendhilfe, der Gefährdetenhilfe und der Hilfe für Frauen und Familien in Not. Neben der Trierer Tafel, die derzeit rund 900 Menschen wöchentlich mit Lebensmitteln unterstützt, betreibt der Verband weitere Einrichtungen wie das Annastift (Haus für Mutter und Kind), ein Beratungs- und Familienzentrum, Ehe-, Familien- und Lebensberatung, eine Schwangerschaftberatungsstelle, einen Betreuungsverein, vier Kindertagesstätten, das Café „Haltepunkt“ und das Haus Maria Goretti (Wohnheim für wohnungslose und psychisch kranke Frauen). Zudem können sich Frauen in kritischen Lebenssituationen rund um die Uhr an den Frauennotruf wenden Tel.: 0651-9496100.

Der SkF hat knapp 360 ehrenamtliche und 190 hauptamtliche Mitarbeitende. Wer sich hier ehrenamtlich engagieren möchte, findet weitere Informationen auf: www.skf-trier.de.

Ein ausführliches Interview mit Regina Bergmann zum Thema gibt es auf https://audioboom.com/posts/8145669-trierer-tafel-wir-kommen-an-unsere-grenzen.

(ih)