Dekanate zum dritten Mal mit Kirchenzelt bei Rock am Ring:"Kirche soll da sein, wo Menschen sind"
Nürburg – Tobi aus Aachen ist auf dem Weg vom Bierholen am Zelt vorbeigekommen. Ilka und Sam fragen nach der Glitzerschminke. Thomas, Marvin und Martin aus dem Ruhrgebiet sind schon Stammgäste – alle kommen im Kirchenzelt von „Gott am Ring“ zusammen. „Kirche soll da sein, wo Menschen sind und bei ‚Rock am Ring‘ sind Menschen“, lautet die Antwort des Gemeindereferenten Philipp Hein auf die Frage, warum er, fünf weitere Hauptamtliche und rund 25 Ehrenamtliche als Vertreter der katholischen Dekanate Vulkaneifel und Ahr-Eifel, aus den Pfarreiengemeinschaften Kelberg, Niederehe und Adenauer Land beim Rockfestival am Nürburgring dabei sind.
„Zum ersten Mal wurde die Idee eines Kirchenzeltes bei ‚Rock am Ring‘ in Mendig von den dortigen Kollegen umgesetzt. Wir haben die Idee übernommen, als das Festival wieder an den Ring zurückgekehrt ist“, schaut die Gemeindereferentin Anita Nohner zurück.
Im Kirchenzelt kümmert man sich um Menschen, die auf diesem Festival keinen passenden Ansprechpartner finden, weil sie nicht in das Behandlungsspektrum von Polizei, Sanitäter, Notfallseelsorger oder Ordnerdienst fallen oder ganz einfach ein wenig Ruhe brauchen und sich über ein offenes Ohr freuen. „Wir sind eine Rettungsinsel bei Unwetter“, erklärt Michael Lanser; das professionelle Zelt kommt von dem befreundeten Pfadfinderstamm „Balu“ aus Hillesheim. „Eine Tasse Tee oder Kaffee zum Aufwärmen und auch Wasser zum Abkühlen gibt es bei uns ebenso wie aktive Hilfe beim Wiederfinden des eigenen Zeltplatzes“, erläutern Lanser und Hein ihr breites Aufgabengebiet. Die Suchenden werden dann auch schon mal mit dem Auto von Platz zu Platz gefahren, bis der richtige gefunden ist. Liebeskummer sei ebenfalls ein großes Thema. „Die Sanitäter schicken die betreffenden Personen dann zu uns“, erklärt die 19-jährige Annika aus Loogh (Vulkaneifel), die ehrenamtlich im Team hilft. Von einem intensiven Erlebnis berichtet Lanser: „In diesem Jahr hatten wir einen Jugendlichen, der gerade erfahren hat, dass sein Opa gestorben ist; dann haben wir ganz lange mit ihm gesprochen.“
Einige treibt auch einfach die Neugierde um, weiß der 18-jährige Marcel, der zum ersten Mal als Ehrenamtlicher dabei ist: „Viele fragen, warum wir als Kirche hier sind“. Der Rockfan Vincent wollte auch mal schauen, was da in dem schwarzen Zelt passiert. „Ich bin nicht gläubig, daher habe ich mich umso mehr gefragt, was ihr für Leute seid“, sagt der 20-Jährige aus der Nähe von Mönchengladbach geradeheraus. „Es gefällt mir besser als erwartet“, lautet sein Fazit. Es kämen auch immer wieder Menschen, die diskutieren möchten. „Manche glauben auch, dass wir hier missionieren wollen. Die sind dann positiv überrascht, dass wir ganz normal sind“, lacht Anita Nohner.
Im vergangenen Jahr wurden Thomas, Marvin und Martin von Mitarbeitern des Kirchenzeltes auf einen Kaffee eingeladen. „Und dann sind wir irgendwie hier versackt“, lacht der 27-jährige Martin. „Von da an sind wir jeden Tag gekommen und dieses Mal verbringen wir auch viel Zeit hier“, ergänzt Marvin (29 Jahre). Die Stunden bis zum nächsten Konzert verbringen sie im und vor dem schwarzen Kirchenzelt. „Man spricht über alle möglichen Themen. Hier ist es gemütlich und man findet ein offenes Ohr“, beschreibt der 40-jährige Thomas die Atmosphäre. Obwohl keiner von ihnen ein typischer Kirchgänger sei, sind sie froh, dass es das Angebot gibt. „Das hören wir öfter“, sagt das Team.
Immer wieder werde das Getränkeangebot dankbar angenommen: „Auch die Ordner kommen zu uns und holen sich einen heißen Kaffee“, berichtet Hein von der „Nachbarschaftshilfe“ auf dem Park- und Campingplatz A2. „Nirgends bekommt man sonst Kaffee“, moniert Tim und beißt in ein Stück Kuchen, „und dabei ist das braunes Gold“, betont er. Der Hamburger wartet auf seinen Kumpel. Dieser ist ins Krankenhaus gekommen und der 24-Jährige hofft, dass er zurück zum Sanitätszelt gebracht wird – das steht direkt neben der Jurte des Kirchenteams.
„Wir bieten den Festivalbesuchern einen Gesprächsort an“, erklärt Hein. „Eine Wand gibt mit dem Satzanfang ‚Bevor ich sterbe, …‘ den Anstoß, über das eigene Leben nachzudenken und mit den Mitarbeitenden ins Gespräch zu kommen“, beschreibt er ein Angebot. „Außerdem gibt es die Möglichkeit, Fürbitten oder persönliche Wünsche zu formulieren oder mit der Fotobox Selfies zu schießen.“ Doch auch an Menschen, denen es nicht gut geht, wird gedacht: Gegen Ende des Festivals haben viele Besucherinnen und Besucher noch haltbare Lebensmittel übrig. „Wir gehen über die Zeltplätze und fragen, ob sie diese für die Tafel spenden möchten“, erklärt Benedikt Welter, pädagogischer Referent für Ministranten-Arbeit im Bistum Trier. „Hier kommt es zu kurzen Gesprächen. Viele glauben zwar nicht an Gott, geben aber trotzdem ihr Essen für die Tafel“, weiß Welter.
„Auch in diesem Jahr hat sich wieder gezeigt, dass es gut ist, da zu sein: Für Menschen aus dem kirchlichen Milieu, die uns bewusst suchen, für Menschen, die im Kirchenzelt ihre ersten oder eine ganz andere Erfahrungen mit Kirche gemacht haben, und für Menschen in mehr oder weniger großen Notlagen, die einfach mal reden oder auch nur in Ruhe durchatmen wollten“, erklärt Hein.
Finanzielle Unterstützung erhält das Projekt von der Bischof-Stein- und von der Monsignore Gammel-Stiftung sowie von den beteiligten Dekanaten und den Fachstellen Plus für Kinder- und Jugendpastoral.
Bilder gibt es bei Instagram und Facebook (@jugendimbistumtrier und @gottamring).
(jf)