Willi-Graf-Empfang 2023:Kirche und Staat tragen gemeinsam Verantwortung zum Erhalt der Demokratie
Saarbrücken/Trier/Speyer – Welche Einflüsse hat die Kirche auf das Leben der Menschen im 21. Jahrhundert und wie sollte das Zusammenspiel zwischen Staat und Kirche in der aktuellen Zeit mit ihren Herausforderungen gestaltet werden? Diese Fragen haben im Mittelpunkt des Willi-Graf-Empfangs am 12. September gestanden, zu dem das Katholische Büro Saarland seit 2003 alljährlich Menschen aus Politik, Gesellschaft, Kirchen, Wirtschaft und Medien einlädt. Musikalisch gestaltet wurde der Abend von der Musical-Kreativ-Klasse der Maximilian-Kolbe-Gemeinschaftsschule in Neunkirchen-Wiebelskirchen. Das Katholische Büro im Saarland mit Sitz in Saarbrücken vertritt die Bistümer Speyer und Trier bei der saarländischen Landesregierung, dem Landtag, Gewerkschaften, Verbänden und anderen Institutionen.
Appell an Dialogbereitschaft
Politik und Kirche trügen gemeinsam Verantwortung, wenn es um die Bewahrung der Werte wie Toleranz, Mitmenschlichkeit, Akzeptanz des Andersseins und Fragen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in unserer Gesellschaft gehe, sagte die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger in ihrem Grußwort: „Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft nicht auseinanderentwickelt. Nur gemeinsam werden wir die herausfordernden Zeiten meistern. Jeder an seiner Stelle und Verantwortung.“ Dies sei ganz im Sinne Willi Grafs, der gesagt hat: “Jeder einzelne trägt die ganze Verantwortung". In diesem Jahr jährt sich der Todestag des Widerstandskämpfers zum 80. Mal. Rehlinger warb dafür, auch mit den Menschen im Dialog zu bleiben, deren Äußerungen nicht auf eigene Zustimmung stießen, sondern herauszufinden, warum diese Dinge gesagt würden.
Auch die Leiterin des Katholischen Büros Saarland, Ordinariatsdirektorin Katja Göbel, appellierte an die Gesprächsbereitschaft: „Bleiben wir im Dialog, betrachten wir die Fakten und achten wir darauf, dass wir uns nicht in unserer Blase bewegen, sondern aufeinander zugehen. Reden wir miteinander statt übereinander.“ Nur so könne die Welt in Zukunft gerechter, friedlicher und menschlicher werden. Dies sei in der heutigen Zeit von Fake News und Verschwörungstheorien eine anspruchsvolle Aufgabe. Egal ob es um das Leugnen des Klimawandels, die falschen Zahlen und Angaben über Flüchtlinge und deren Kriminalitätsräte bis hin zu Verschwörungstheorien bei Missgeschicken gehe: Sei die Ideologie einfach und verständlich, glaube man ihr eher als den Fakten.
Sterbende Strukturen und neue Aufbrüche in der Kirche
In einer Podiumsdiskussion sprachen die Landtagsabgeordneten Kira Braun (SPD) und Jutta Schmitt-Lang (CDU) sowie Marieke Reimers, die stark in der Jugendkirche eli.ja engagiert ist, mit den Bischöfe Dr. Karl-Heinz Wiesemann (Speyer) und Dr. Stephan Ackermann (Trier) über die Rolle der Kirche in unserer Zeit. Grundlage für die Diskussion, moderiert von SR-Journalistin Sarah Sassou, war ein Projekt der Bischöflichen Marienschule in Saarbrücken. Gemeinsam mit ihrem Religionslehrer, Jugendpfarrer Thomas Hufschmidt, hatten die Schülerinnen und Schüler Passanten in der Saarbrücker Innenstadt nach ihrer Haltung zu Kirche und konfessionellem Religionsunterricht an staatlichen Schulen, ihrem Engagement in der Kirche und ihren Wünschen an die Kirche befragt. Bischof Ackermann zeigte sich beeindruckt von der Offenheit der Menschen und ihren differenzierten Aussagen: „Dies frei zu äußern ist ein Zeichen einer offenen Gesellschaft.“
Die Kirche befinde sich in einem „massiven Wandlungsprozess“, sagte Bischof Wiesemann. Diesen Prozess müsse sie gestalten und dabei Raum für Kreativität lassen. „Kirche ist immer da stark, wo sie vor Ort lebendig ist, wo soziales Engagement und Gemeinschaft erfahrbar werden“, sagte der Bischof. Aufgrund von massiver Überalterung könnte viele Initiativen nicht weitergeführt werden.“ Doch parallel zu sterbenden Strukturen entstehe auch neues kirchliches Leben.
Von neuen Aufbrüchen in der Kirche konnte Marieke Reimers berichten: „Wir in der Jugendkirche haben viele Ideen, die wir alle umsetzen können. Uns wird Raum gegeben, Neues wie gemeinsames Kochen oder Bibelkreise auszuprobieren – dafür braucht es auch nicht immer Hauptamtliche“, sagte sie. Diese Möglichkeit fehle oft andernorts. „Ich sehe viel Reformbedarf, aber nur wenig Bereitschaft der Kirche zu Veränderung“, sagte Kira Braune. Gerade junge Frauen seien nicht einverstanden, keine den Männern gleichberechtigte Positionen einnehmen zu dürfen. „Meine Befürchtung ist, dass vor allem die in der Kirche zurückbleiben, die am Status Quo festhalten wollen.“ Kirche sei dort stark, wo sie Zusammenhalt organisiere. Kirche könne und müsse Populismus entgegentreten. „Da bin ich dankbar, dass Kirche da ist, dass sie für Werte einsteht, die gerade in der heutigen Zeit des Umbruchs sehr wichtig sind.“
Deutliches Bekenntnis für bekenntnisorientierten Religionsunterricht
Viele Menschen, die die Marienschülerinnen und -schüler befragt hatten, befürworteten einen konfessionellen Religionsunterricht an Schulen, vereinzelt wurde der Wunsch nach ökumenischem Religionsunterricht oder Ethik benannt. Das Podium befürwortete einstimmig den bekenntnisorientierten Religionsunterricht. „Im Religionsunterricht beschäftigt man sich mit seinen eigenen Wurzeln, das gibt einem Vergewisserung und macht es leichter, sich mit anderem auseinander zusetzen“, sagte Jutta Schmitt-Lang. Sie sprach sich gegen einen konfessionsübergreifenden Unterricht aus: „Ich bin kein Freund davon, alles einfach zusammen zu tun. Dann wird man keiner Sache gerecht. Man kann so viel von anderen Religionen lernen, aber sich seiner eigenen Wurzeln bewusst zu werden, und zu schauen, worauf man fußt, kann Kraft geben.“ Bischof Ackermann zitierte eine Studie im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, wonach die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler es schätzten, wenn ihre Lehrer im Fach Religion ihre eigene Überzeugung erkennbar machten. Dies sei eine Hilfe bei der Entscheidungsfindung, wie man sich selbst positioniere.
Viele Befragte der Straßenumfrage wünschten sich eine offenere Kirche, die Platz für alle Menschen biete. Eine Aussage, die Stefan Mörsdorf in seinem abschließenden Impuls unterstrich. „Kirche ist für mich Heimat und Weite“, sagte der ehemalige saarländische Umweltminister, der sich nach einer schweren Krankheit ins Leben zurückgekämpft hat. Er wünschte sich eine allumfassende Kirche, die niemanden ausschließe, sondern mehr Weite zulasse.