Leben, Liebe, Trauer, Tod: Wie bunte Stoffbänder ein heilsamen Ort schaffen:„Lieber Gott…“
Trier – Mina Havlova schlendert über den Domfreihof in Trier, dann fällt ihr Blick auf bunte Bänder, die wild im Wind tanzen. „Was bedeutet das?“, fragt sie. Nun, es ist der Fürbittort vor der hohen Domkirche, seit vielen Jahren beliebte „Institution“ während der Heilig-Rock-Tage. Wer will, kann hier zu Stoffband bringen, was ihn oder sie gerade bewegt: Wünsche, Hoffnungen, Gedanken, Gebete. Kaum ist ihre Frage beantwortet, kullern der Frau dicke Tränen übers Gesicht. Doch getröstet werden muss sie nicht. „Happyness. Glück“, erklärt die gebürtige Pragerin, die jetzt in Trier lebt. Es seien Tränen der Freude, dass es ihrer Familie gut gehe. Dann greift sie nach einem gelben Stoffstreifen, beschriftet ihn Millimeter um Millimeter mit guten Wünschen für ihre Familie. Fest verknotet flattert er nun neben den anderen. Viele Geschichten sind mittlerweile mit dem einfachen Absperrgitter verbunden, das sich dank der bunten Bänder in ein farbenfrohes Kunstwerk verwandelt hat.
Doch nicht alle Geschichten erzählen vom Glück. Es braucht wenig Phantasie, um aus den kurzen Sätzen Schicksalsschläge herauszulesen. „Ich wünsche mir, dass mein Papa gesund wird“, heißt es da schwarz auf rot. Auf einem anderen Band stehen nur drei Worte: „Gesundheit für Peter*!“ Das nächste erzählt von verzweifelten Gebeten, „dass Katarina* von der Magersucht geheilt wird“ oder „dass das Baby von Eva* doch gesund sein wird“. Ein Kind hat seinen innigsten Wunsch so aufgeschrieben: „Lieber Gott, ich wünsche mir, dass es meine Oma bei dir im Himmel gut hat.“ Manche nutzen die Plattform, um Danke zu sagen: für 50 Ehejahre; für die Liebe; für unsere coole Band; für den tollen Weg von Euskirchen durch die Eifel. Der fünfjährige Ben* hat anderes im Blick: „Lieber Gott. Danke für die Tiere.“ Der „liebe Gott“ ist für viele Lebenslagen Ansprechpartner: Er soll „den Menschen die Achtsamkeit für sich selbst und die Natur“ geben; er soll „bitte immer auf alle aufpassen“; er soll „meine Kinder, meinen Mann und meine Freunde beschützen“; er soll „meinen beiden Töchtern Kraft und Stärke geben“ und er „soll mir die Kraft geben, meinen Kindern stets ein gutes Vorbild zu sein“.
Im Programmheft ist der Fürbittort als heilsamer Ort bezeichnet, an dem Menschen mit Gott und miteinander ins Gespräch kommen. Intention ist aber auch, dass Christen Flagge zeigen sollen und solidarisch für die einstehen, denen es nicht so gut geht. So ist Gerechtigkeit ein Thema, das immer wieder auftaucht. Genauso wie Armut und Arbeitslosigkeit. Im Fokus auch die bevorstehende Europawahl: „Ich wünsche mir, dass kein Streit mehr zwischen den Politikern ist“, ist zu lesen. Oder: „Wählt demokratisch.“ Doch sollte es ein Ranking geben, würde mit Sicherheit ein Thema auf Platz eins landen – das hat schon die kleine Stichprobe ergeben. Denn auf unzähligen Bändern steht dieser Satz: „Ich wünsche mir Frieden auf dieser Welt.“ Dieser Wunsch scheint grenzenlos, denn er ist in vielen Sprachen zu finden: Shalom, Frieden, Pax, Peace, Paix.
Der Fürbittort legt buntes Zeugnis ab, wie unterschiedlich die Anliegen der großen Gebetsgemeinschaft sind. Damit die Botschaften der Bänder nicht einfach vom Regen ausgewaschen oder vom Wind verweht werden, sondern Beachtung und Gehör finden, werden sie in die verschiedenen Gottesdienste integriert. Neu in diesem Jahr: Zu bestimmten Zeiten gibt es eine Prozession zur Heilig-Rock-Kapelle. Dorthin also, wo der Heilige Rock in einem Schrein aufbewahrt wird. Exemplarisch werden einige Fürbitten vorgelesen. „Das ist wunderbar“, sagt Mina Havlova. Und hofft, dass auch ihr gelbes Band so vor Gott getragen wird. (*Namen von der Redaktion geändert)
(red)