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Landesjugendring Saar stellt bei KAB neue Erinnerungsprojekte über NS-Gräuel in Region vor:Neuer Film über Gestapo-Lager „Neue Bremm“ in Saarbrücken vorgestellt

Wie kann die Erinnerung und das Gedenken an die Oper von NS-Verbrechen wachgehalten werden, wenn die letzten Zeitzeugen sterben? Dieser Aufgabe widmet sich das Projekt "Damit kein Gras drüber wächst" des Landesjugendrings Saar. Bei der KAB in Saarbrücken gab es Einblicke in diese Arbeit.
Auf dem Gelände des ehemaligen Gestapo-Lagers Neue Bremm in Saarbrücken ist heute eine Gedenkstätte. Foto: Landesjugendring Saar/Denneler
Datum:
5. Nov. 2020
Von:
Bischöfliche Pressestelle

Saarbrücken - Mehrere Wochen Folter und Verhöre musste die 17-jährige Polina Bortkova in der Gestapo-Zelle im Schlosskeller in Saarbrücken ertragen, weil sie sich als Zwangsarbeiterin aus der Ukraine dem Widerstand angeschlossen und Informationen nach Frankreich geschmuggelt hatte. Nachdem sie im August 1944 aufgeflogen war, hatten sie die Nazis zunächst ins Gestapo-Lager an der Neuen Bremm gesteckt. Doch weil die junge Frau eisern schwieg, wurde sie in verschiedene Konzentrationslager deportiert. Polina Bortkova überlebte und konnte so der Welt ihre Geschichte erzählen. Die Orte – Zelle und Lager – an denen Bortkova inhaftiert war, belegen eindrucksvoll, dass NS-Verbrechen nicht nur in Konzentrationslagern weit weg, sondern auch in unserer Region begangen wurden.

Wie die Erinnerung an Polina Bortkova und die geschätzt 20.000 Menschen, die im Gestapo-Lager Neue Bremm in Saarbrücken inhaftiert waren, für junge Menschen wachgehalten und begreifbar gemacht werden kann, ist Aufgabe des Projekts „Damit kein Gras drüber wächst“ des Landesjugendrings Saar. Bei einer digitalen Gesprächsrunde des Teams der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) im Saarbrücker Kirchenladen welt:raum hat Projektleiterin Lisa Denneler diese Arbeit vorgestellt. So sollen zielgruppengerechte Formate für die Gedenkstätte Neue Bremm sowie das Historische Museum Saar entwickelt werden, etwa Workcamps auf der Gedenkstätte, alternative Fahrradtouren oder Filmprojekte. „Es soll keine Erinnerungsarbeit von oben sein, sondern die aktiven Fragen der Jugendlichen stehen im Mittelpunkt“, sagt Denneler. Die Vorkenntnisse der Jugendlichen seien zudem sehr unterschiedlich. „Manche wissen nicht, was der Nationalsozialismus war, andere sagen: ,Wir wussten dass es Konzentrationslager gab, aber nicht, dass es auch bei uns passiert ist.‘“

Ein erstes Filmprojekt wurde in diesem Sommer in Kooperation von Landesjugendring und Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Saarbrücken verwirklicht. Der Filmemacher Kilian Friedrich drehte einen 20-minütigen Film auf dem Gelände der Gedenkstätte mit Horst Bernard. Der 88-Jährige war einer der ersten, der sich Anfang der 1970er Jahre mit der Geschichte des Lagers auseinandergesetzt hat. Die Publikation, die er 1984 gemeinsam mit seiner Tochter und ihrem damaligen Lebensgefährten herausgebracht hat, sorgte für Wirbel. Doch die Resonanz war enorm: Viele ehemalige Häftlinge meldeten sich, um ihm ihre Geschichte zu erzählen. Bernard führt noch heute Schulklassen über die Gedenkstätte und schult Scouts, die dann wiederum Führungen anbieten. Er weiß von Augenzeugen aus erster Hand von ihrem Martyrium. Von 1940 bis 1943 wurde das Lager Neue Bremm zunächst als Lager für Kriegsgefangene genutzt, danach als erweitertes Polizeigefängnis für Fremd- und Zwangsarbeiter. Im Dezember 1943 wurde zusätzlich zum Männerlager ein Frauenlager eröffnet. Die meisten wurden anschließend in Konzentrationslager deportiert. Die Zahl der in Saarbrücken verstorbenen Gefangenen wird auf mehrere hundert geschätzt. Im Dezember 1944 befreiten die Alliierten bei ihrem Einmarsch die Gefangenen.

Auf dem Gelände des ehemaligen Gestapo-Lagers Neue Bremm in Saarbrücken ist heute eine Gedenkstätte. Foto: Landesjugendring Saar/Denneler

Die Erlebnisse der Augenzeugen schildert Bernard im Film eindrucksvoll: „Die Männer mussten in Fünferreihen im Entengang um das Löschwasserbecken gehen – stundenlang, tagelang, bis zur Erschöpfung.“ Wer zusammenbrach wurde ins Becken geworfen – aus eigener Kraft die schrägen, bemoosten Wände hochzuklettern war für viele unmöglich und somit ihr Todesurteil. Besonders perfide: Die Wächter, die die Gefangenen schikanierten und folterten, waren in der Regel keine SS-Leute, sondern – von drei Berufssoldaten abgesehen – Bürger aus Saarbrücken und Umgebung, die vom Arbeitsamt zum Wachdienst abgeordnet worden waren. Dass die Erinnerung an die NS-Verbrechen wach gehalten werden, ist für Bernard eine Lebensaufgabe: „Ich glaube, dass es möglich ist, etwas Ähnliches heute zu verhindern, wenn man die Menschen mit dem konfrontiert, was damals passiert ist.“

Hintergrund:

Dass Gestapo-Zelle und Gedenkstätte heute noch Auskunft über die Schreckenszeit geben können, sei auch dem gewandelten Umgang mit der NS-Vergangenheit zu verdanken, berichtet Denneler. So sei die Zelle 1975 bei Renovierungsarbeiten im Schloss hinter Aktenbergen entdeckt worden. Die Tür, auf der viele Gefangene Inschriften geritzt hatten, verschwand kurze Zeit später bis heute spurlos. Dank einer Fotografie konnte jedoch eine Rekonstruktion hergestellt werden. Nach der Feier eines Karnevalsvereins im Kellerraum waren weitere Inschriften in der Zelle unkenntlich. Heute ist die Gestapo-Zelle Teil der ständigen Ausstellung zur NS-Zeit des Historischen Museums Saar. Auf dem Gelände des Frauenlagers Neue Bremm wurde ein Hotel errichtet – heute erinnern neben dem 1947 errichteten Obelisken mit Gedenktafel aufgestellt, ein weiteres Denkmal ab 1998 geplant und eingeweiht, die Gedenkstätte 2004 neu gestaltet. 2018 wurden Fundamente der ehemaligen Häftlingsbaracken gekennzeichnet. 

Mehr Information:

Der filmische Rundgang mit Horst Bernard über die Gedenkstätte Neue Bremm gibt es auf YouTube unter: https://www.youtube.com/watch?v=WTPJp9P2wk4

(uk)