Über 140 Menschen nehmen an Fachtagung „Lernen ohne Grenzen“ teil:Teilhabe statt Parallelgesellschaften
Trier – Mehr Teilhabe an der Gesellschaft – weniger Abschottung und Parallelwelten für Menschen mit Behinderung: Das hat Prof. Dr. Elisabeth Wacker von der Technischen Universität in ihrem Vortrag auf einer Fachtagung des Bistums Trier zum Thema Inklusion gefordert. Unter dem Motto „Lernen ohne Grenzen“ hatten sich über 140 Teilnehmende vom 21. bis 22. Oktober mit der Frage beschäftigt, wie die Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen und am kirchlichen Leben gefördert werden kann. In verschiedenen Foren tauschten sie sich zu Aspekten wie der Inklusion am Arbeitsmarkt, den politischen Rahmenbedingungen und praktischen Beispielen aus Schulen und Kindertageseinrichtungen aus. Dabei ging es beim Thema Inklusion nicht nur um Menschen mit Behinderung, sondern um alle Menschen, die in der Gesellschaft benachteiligt werden.
Zwischen dem rechtlichen Anspruch der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle und der Lebenswirklichkeit vieler Menschen mit Behinderung klaffe derzeit noch ein großer Graben, erklärte Wacker in ihrem Impulsvortrag. Dabei sei hier von rund 20 Millionen Deutschen die Rede. Momentan existierten häufig „Parallelwelten“, also Orte, wo Menschen mit Behinderung in einer „passenden Umwelt lebten“. Das fördere aber Abgrenzungsprozesse und werde den Menschen nicht gerecht. „Denn um wirklich eine ganz persönliche Teilhabe zu ermöglichen, müssen wir auch auf Dinge wie Alter, Geschlecht, Religionszugehörigkeit und kulturelle Hintergründe achten. Es gibt nicht die homogene Gruppe von behinderten Menschen.“ Bei einer wirklich inklusiven Gesellschaft müsse jeder die Option haben, sich nach seinen Möglichkeiten zu entwickeln. Das sei natürlich schwierig, denn dies werfe Fragen auf: „Wenn alles für jeden möglich sein soll – wo gibt es Grenzen? Und wer zieht sie?“ Wacker sieht dabei große Chancen im kommunalen und kirchlichen Raum – Vereine, Pfarreien und andere Gruppen könnten verstärkt dazu beitragen, Menschen mit Behinderung in ihrem Alltag und ihrer Umgebung Teilhabe zu ermöglichen. Dennoch bleibe es die große Aufgabe des Staates, dafür entsprechende Infrastrukturen herzustellen und fachliche und materielle Ressourcen zugänglich zu machen. Dabei gehe es nicht darum, die sehr guten existierenden fachlichen Strukturen abzubauen, sondern das System zu ändern.
Im zweiten Fachvortrag des Tages ging Prof. Dr. Ulrich Heimlich von der Ludwig-Maximilians-Universität auf die Situation in Schulen und Kindertageseinrichtungen ein, zu denen er schon lange in Bayern forscht. „Wir sollten Verschiedenheit nicht immer als Belastung, sondern auch als Bereicherung ansehen und nicht nur von Teilhabe, sondern auch von Teilgabe reden – denn jeder Mensch bringt etwas ein in eine Gruppe“, betonte Heimlich. Von ihren Erfahrungen, wie ein solches „Lernen ohne Grenzen“ konkret im Schulalltag umgesetzt wird, berichtete die Schulleiterin Andrea Schulz von der Maximilian-Kolbe-Grundschule in Neunkirchen. Vor drei Jahren sei im Saarland der Schulbesuch aller Kinder an den Regelschulen verpflichtend eingeführt worden – seither versuche die Schule, die nach und nach erlassenen Verordnungen des Landes etwa zu Zeugnissen und Klassenarbeiten umzusetzen. „Gerade als katholische Schule ist es wichtig, dass wir unserem Leitbild und Konzept auch gerecht werden – dazu gehört selbstverständlich die Inklusion.“
Die Schule stehe noch am Anfang, aber die Zukunftsvision sei klar: „Wir möchten räumlich und unterrichtlich in der Lage sein, wirklich alle Kinder mit unterschiedlichsten Förderbedarfen zu unterrichten.“ Während die Schule schon weitestgehend barrierefrei ist, seien räumliche aber auch personelle Veränderungen trotzdem notwendig. Schulz wünscht sich eine eigens angestellte Förderlehrerin und einen Integrationshelfer, der fest an der Schule arbeitet. Denn bisher sind die vom Land bestellten Integrationshelfer nur an ein bestimmtes Kind gekoppelt, das sie betreuen. „Mit mehr Personal wären wir natürlich flexibler.“ Dieser Wunsch verbindet sie auch mit Irmtrud Lauer vom Diözesancaritasverband Trier, Leiterin des Referates Fachberattung für die katholischen Kindertageseinrichtungen im Bistum. „Die Kindertageseinrichtungen sind auf einem guten Weg, inklusiv zu werden – das entspricht auch dem Rahmenleitbild für die Kitas im Bistum. Unsere Kitas stehen demnach allen Kindern und ihren Familien offen, und jedes Kind wird in seiner Individualität gefordert und wertgeschätzt, wozu auch sein religiöser und kultureller Hintergrund gehören.“ Konzepte allein genügten dabei nicht, so Lauer. Inklusion sei zum einen eine Frage der Haltung – die Fachkräfte müssten sich mit dem Thema auseinandersetzen und schauen, was schon geleistet werden könne. Aber es müsse auch Geld in die Hand genommen werden. „Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif. Wir sind Interessensvertreter gegenüber der Politik und fordern, dass die notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden. Dies gilt z. B. für den Personalschlüssel, wie auch für die räumlichen Bedingungen“, betont Lauer.
Die Tagung sollte vor allem ein Ort sein, an dem Inklusion schon konkret erfahrbar ist – und das sei gelungen, resümiert Organisator Christoph Morgen vom Arbeitsfeld Inklusion im Bistum Trier. Die Rückmeldungen der Teilnehmenden, unter denen auch etliche Menschen mit Behinderung waren, seien durchweg positiv gewesen. „Wir wollen zeigen: Für die Gesellschaft ist es ein Fortschritt, die Vielfalt im Blick zu haben. Auf der Tagung wollten wir Begegnung zwischen unterschiedlichsten Menschen ermöglichen. Ein Teilnehmer sagte mir, er sei mit dem Gefühl gegangen: „Ich bin nicht allein, sondern wir möchten das gleiche Ziel erreichen.“ Die Fachtagung wurde veranstaltet vom Bistum Trier, dem Caritasverband, dem Institut für Lehrerfort- und Weiterbildung, der Katholischen Erwachsenenbildung Trier, der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe für Behinderte und gefördert durch die Aktion Mensch.
(sb)