Krieg in der Ukraine:Unglaublicher Durchhaltewillen im Kampf um die Freiheit
Ivano-Frankivsk/Saarbrücken – Nach zweieinhalb Jahren ist der Krieg Teil des Alltags geworden, doch der Durchhaltewillen und der Wunsch nach einem Frieden, der ihre Freiheit garantiert, ist bei den Ukrainerinnen und Ukrainern in Ivano-Frankivsk ungebrochen: Das ist der Eindruck, den Bischofskaplan Florian Dienhart und der Saarbrücker Jugendpfarrer Thomas Hufschmidt bei einer Begegnungsreise in der Westukraine gewonnen haben. Vom 5. bis 12. November haben die beiden verschiedene Hilfseinrichtungen der Malteser sowie eine Kirchengemeinde, ein Mutter-Kind-Heim und eine Schule besucht. Seit Ende der Sowjetunion sind zwischen dem Bistum Trier langjährige Partnerschaften mit den Maltesern, der Caritas und dem Erzbistum Ivano-Frankivsk entstanden. „Wir wollen den Brückenschlag zwischen dem Bistum und den Menschen in Ivano-Frankivsk stärken“, nennen sie ein Ziel der Reise. Vor der Abreise hatten sie Sorge, mit ihrem Besuch für die Gastgebenden eine zusätzliche Belastung zu sein. „Aber wir haben überall große Dankbarkeit gespürt und dazu den Wunsch, gemeinsam mit den Freunden in Deutschland nach vorne zu schauen“, sagen Hufschmidt und Dienhart.
Ältere wissen noch, was Unterdrückung bedeutet
Auf den ersten, oberflächlichen Blick herrscht in Ivano-Frankivsk Alltag: Die Menschen gehen in die Schule oder zur Arbeit, in der schmucken Altstadt, die architektonisch den Charme der ausgehenden Monarchie Österreich-Ungarns ausstrahlt, gibt es keine zerstörten Häuser. Doch beim genaueren Hinsehen fällt die Präsenz des Militärs in den Straßen auf. Regelmäßig kommt es zu Stromabschaltungen. Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 sind über 600 Männer allein aus Ivano-Frankivsk im Krieg gefallen – ihre Fotos hängen in der Innenstadt. Mehrmals in der Woche gibt es Luftalarm und die Bewohnerinnen und Bewohner – seit Kriegsbeginn sind viele Binnenflüchtlinge hinzugezogen – sind aufgerufen, sich in Schutzräume zu begeben. „Für die Menschen dort sind die Sirenen Teil einer neuen Normalität, der Alarm hat niemanden irritiert. Aber niemand hält fast drei Jahre im Ausnahmezustand aus“, sagt Hufschmidt. Während ihrer Reise erleben auch Hufschmidt und Dienhart zweimal Luftalarm. Dennoch sagen sie: „Wir haben uns nie unsicher gefühlt.“ Die Front ist rund 1000 Kilometer entfernt. Nahe gingen ihnen Beobachtungen am Hauptbahnhof der Stadt, wo die Züge Richtung Osten abfahren. „Wir haben gesehen, wie sich Soldaten von ihren Frauen verabschieden. Hoffentlich sehen sie sich wieder.“
„Woher kommt dieser unglaubliche Durchhaltewillen?“, fragt sich Thomas Hufschmidt. In Gesprächen mit älteren Gemeindemitgliedern der ukrainisch griechisch-katholischen Kirche, die mit Rom uniert ist, wird klar: „Sie haben während der Sowjetunion erlebt, was Unterdrückung bedeutet und wissen, wie es ist, wenn man nicht sagen kann, was man will. Das wollen sie nie wieder. Sie wollen ihre Freiheit verteidigen.“ Bis 1991 war die katholische Kirche eine Untergrundkirche – Katholiken durften ihren Glauben nicht offen leben.
Aber auch bei jungen Menschen haben Hufschmidt und Dienhart diese Entschlossenheit gespürt, etwa bei dem 17-jährigen Vitali, der sich seit Jahren bei den Maltesern in Ivano-Frankivsk engagiert. Nach Kriegsausbruch sind seine Eltern nach Spanien ausgewandert. „Er hätte als Minderjähriger problemlos mitkommen können. Doch er will in der Stadt bleiben und helfen. Er sagt, hier ist sein Zuhause, und seine Freunde. Mit allen Konsequenzen, die das bedeuten kann“, sagt Dienhart, der bereits im Februar 2023 mit einer Bistums-Delegation in Ivano-Frankivsk war. Mit der Volljährigkeit droht ukrainischen Männern die Einberufung in die Armee und somit auch der Einsatz an der Front. „Das ist ein Thema, das viele Abiturienten hier beschäftigt“, sagt Dienhart, „sie haben die gleichen Hoffnungen und Sehnsüchte wie junge Menschen in Deutschland. Doch die Voraussetzungen für ihr Leben unterscheiden sich stark.“ Manche gehen zum Studium ins Ausland, erzählt ihnen Pfarrer Markian Bukatchuk, Schulleiter des katholischen Gymnasiums Hl. Basilius der Große in Trägerschaft des Erzbistums. Dennoch seien auch viele Familien wieder in die Westukraine zurückgekehrt.
Hoffnung auf Europa
„Die ukrainischen Jugendlichen setzen ihre Hoffnung auf Europa, das für sie Freiheit bedeutet“, sagt Dienhart. Dass Menschen einfach so die Grenze passieren könnten – und sei es nur für etwas Alltägliches wie für ein Baguette aus Frankreich oder Benzin aus Luxemburg zu kaufen – sei für sie faszinierend. „Diese Begeisterung für das Projekt Europa wollen wir auch bei den Jugendlichen in Deutschland neubeleben“, so Dienhart und Hufschmidt. Europa und die EU würden zunehmend von jungen Leuten kritisch betrachtet, etwa wegen überbordender Bürokratie. „Das europäische Friedensprojekt und die Freiheit stehen leider nicht mehr bei vielen an erster Stelle“, bedauert Dienhart.
Von Deutschland aus via Fernsehen und Zeitung das Geschehen in der Ukraine zu verfolgen, ersetze nicht den persönlichen Kontakt. „Der direkte Blick auf die Situation ist ein ganz anderer“, fasst Jugendpfarrer Hufschmidt seine Eindrücke zusammen. Auch in Zukunft müsse Kirche solidarisch mit den Menschen in der Ukraine sein. Durch neu gewonnene Kontakte ließen sich künftig konkrete Hilfsprojekte planen. Kontakte zu Ukrainerinnen und Ukrainern im Saarland und der Jugendkirche eli.ja gebe es schon seit längerem. „Für die Zukunft kann ich mir viel an Austausch vorstellen im Bereich des kulturellen Miteinanders wie etwa Brieffreundschaften“, meint Hufschmidt. Angesichts des Krieges könne derzeit zwar noch keine deutsche Jugendgruppe in die Ukraine reisen, aber umgekehrt seien schon jetzt Besuche denkbar.