Telefonseelsorge im Bistum Trier als niederschwelliges Gesprächs- und Beratungsangebot:„Unsere Hilfe ist das Gespräch“

Trier – „Unsere Hilfe ist das Gespräch.“ Das sagt Stephanie Schneider, um dann zu präzisieren: „Das mündliche, aber auch das schreibende in der Mail- und Chatberatung.“ Stephanie Schneider ist seit 2022 Leiterin der TelefonSeelsorge Trier. Sie ist studierte Heilpädagogin, Ehe,- Familien- und Lebensberaterin (BAG) und systemische Supervisorin. Sie koordiniert die rund 70 ehrenamtlichen und zwei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die an 24 Stunden und an sieben Tagen, eben dafür bereitstehen: für ein helfendes Gespräch.
Ursprünglich als Suizid-Prävention aus der Taufe gehoben ist die Telefonseelsorge fester Bestandteil der Beratungsangebote des Bistums Trier. Insgesamt 104 Telefonseelsorgestellen, die unter dem Dachverband ‚TelefonSeelsorge Deutschland‘ (TSD e. V.) bundesweit zusammenarbeiten, stellen den Dienst sicher. 2023 wurden 1.275.000 Anrufe entgegengenommen. Zu 83 Prozent entstanden daraus Seelsorge- und Beratungskontakte. 45.003 Mails wurden beantwortet und 36.699 Chats geführt. In acht Beratungsstellen gab es 2.749 Präsenz-Kontakte. Im Bistum Trier gibt es fünf Dienststellen: in Ahrweiler, Koblenz, Bad Kreuznach, Saarbrücken und Trier.
„Die Telefonseelsorge ist ein niedrigschwelliges Gesprächs-, Beratungs- und Seelsorgeangebot für Menschen in akuten oder chronischen Lebenskrisen – unabhängig von Nationalität oder Weltanschauung, ohne Wartezeit im Hier und Jetzt“, erklärt Schneider. Das Angebot bestehe im Zuhören und im Klären, im Ermutigen und Mittragen, im Begleiten, im Hinführen zur eigenen Entscheidung, aber auch im Hinweis auf geeignete Fachleute, Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen. „Das Gelingen hängt davon ab, ob der Anrufende sich in kurzer Zeit akzeptiert und angenommen fühlt.“ Anrufende blieben anonym, wie auch das Gegenüber anonym bleibe. „Dazwischen spannt sich ein Gesprächsbogen, in dem trotz der medialen Distanz Nähe und Begegnung möglich werden kann.“
Anfragende der Mailberatung sind im Schnitt zehn Jahre jünger als Ratsuchende am Telefon
„Lebenssituationen und Lebensthemen unterscheiden sich, je nach gewähltem Medium“, erklärt Schneider. Im Telefonkontakt seien zwei Drittel der Anrufenden Frauen. Sie seien überwiegend 50 Jahre alt und älter, wie auch die anrufenden Männer. „Die Anfragenden der Mailberatung sind im Schnitt zehn Jahre jünger, und nochmal jünger sind die Ratsuchenden in der Chat-Seelsorge.“ 61 Prozent der Anrufenden lebten allein, wohingegen in der Mail- und Chatberatung die Schreibenden meist familiär eingebunden seien. Auffällig sei, dass in Mail- und Chatberatung das Thema Suizid häufiger auftrete als am Telefon. Dazu gehörten Suizidgedanken oder -absichten, aber auch frühere Suizidversuche, „beim Ratsuchenden oder einem nahestehenden Menschen“, wie Schneider berichtet. „Einsamkeit als Thema ist seit Corona auf gleichbleibendem Niveau hoch und wird vor körperlichem Befinden und depressiver Verstimmung am Telefon am häufigsten genannt.“
Viele nutzten das Angebot häufiger, manche mehrmals am Tag. „Wir sind auch dann da, wenn andere Dienste geschlossen sind“, erklärt Schneider. Für die Ratsuchenden und die Gesellschaft biete man einen verlässlichen, rund um die Uhr erreichbaren, fachlich immer auf der Höhe der Zeit befindlichen Dienst. „Er basiert auf dem Glauben der bedingungslosen Annahme aller Menschen.“ Immer vorausgesetzt, dass die Anrufenden dieses Gespräch annehmen. „Es ist ein solidarisches Angebot von Menschen für Menschen und macht gesellschaftlichen Zusammenhalt in ökumenischer Verbundenheit sichtbar.“
Das kann bedeuten, eine vielleicht nicht lösbare Situation gemeinsam am Telefon auszuhalten
Schneider nimmt an, dass ein Großteil der Ratsuchenden keine stabilen Beziehungen erlebt. „Dadurch wird es schwieriger, Krisen, Belastungen, Kränkungen, Verluste in das eigene Selbstbild zu integrieren.“ Das Gefühl in einer Sackgasse zu stecken, überladen und entkräftet zu sein, brauche ein Beziehungsangebot, welches oft nicht vorhanden ist oder aus Scham nicht angefragt wird. „Der Schutzraum der Anonymität und das Fehlen der physischen Begegnung ermöglicht es, über Verletzungen, Ängste und schambesetzte Themen zu sprechen oder zu schreiben, auch über Scheitern und das Gefühl der Sinnlosigkeit.“ Für die Beratenden kann das bedeuten, eine vielleicht nicht lösbare Situation gemeinsam am Telefon auszuhalten, sich einem Menschen mit suizidalen Gedanken zuzuwenden, aber auch mit jemandem zu sprechen, der sich langweilt, der einsam ist und am heutigen Tag noch mit niemandem gesprochen hat.
Die TelefonSeelsorge baut auf das Ehrenamt. „Die Vielfalt der Lebenskompetenzen und Qualifizierung ist der Grund für die Wirksamkeit. Gerade weil sie kein psychotherapeutischer Fachdienst ist und weder Anamnese, Diagnose oder Therapiepläne- und ziele eine Rolle spielen, wird der Dienst von Ehrenamtlichen am besten getan“, erklärt Schneider. Gut ausgebildete, ehrenamtliche Laien übernehmen für eine begrenzte Zeit, im Schnitt 20 Stunden pro Monat, diese intensive Arbeit. Auch ihnen gewährleistet die Anonymität Schutz, um offen auf die individuelle Situation der Ratsuchenden eingehen zu können. Sie müssen nicht sofort handeln, sondern können Raum schaffen, so dass der Anrufende über seine belastenden Gedanken und Gefühle sprechen kann. (siehe eigener Bericht)
Mut spüren für den nächsten Schritt
Mit der wertschätzenden und empathischen Grundhaltung und einer dialogischen Zuhörkompetenz können Beratende das Gespräch weitgehend leistungsfrei und ohne Hierarchie führen. Letzteres auch, weil das Angebot nicht in einem beraterisch und therapeutisch-ärztlichen Setting geführt wird, das auf vorgegebenen Rollenstrukturen beruht. Ziel ist es, dass Menschen ihr Gefühl von Hoffnung wiederfinden, Mut spüren für den nächsten Schritt und sich verbunden fühlen. Ein durchschnittliches Gespräch dauert 22 Minuten. Es kann in akuten Krisen zwei Stunden dauern, eben so lange wie es braucht, um gegebenenfalls einen kleinen nächsten Schritt gehen zu können.
„Neben dem Thema Einsamkeit fällt auf, dass um die Themen Betreuung, Pflegen, Therapie seit 2019 kontinuierlich mehr Gespräche geführt werden“, betont Schneider. Sei es, dass Ratsuchende lange auf Therapieplätze warten, in Pflegeeinrichtungen kaum noch Zeit für ein Gespräch mit Pfleger*innen möglich ist, Menschen im Altersheim keine Ansprache haben und mit ihren Ängsten vor Verfall, Sterben und Tod allein bleiben. Die strukturelle Versorgungslücke im Gesundheits- und Pflegesystem lässt Menschen in Krisen allein. Mit dem Altwerden der Boomer-Generation, wo zu Viele auf zu Wenige treffen werden, wird das Thema des würdigen Sterbens nochmals viel deutlicher in die Gesellschaft hineingetragen und „damit auch Fragen zur Suizidprävention, denn als Risikogruppe gelten Menschen - und hier vor allem Männer - im höheren Alter“.
Ein Erfolg ist es für Stephanie Schneider, wenn sich die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer Arbeit als wirksam erfahren, sich in der Kontaktgestaltung und Gesprächsführung sicher bewegen, die eigene Resonanz auf das Gesagte oder Geschriebene kompetent und wertschätzend dem Anrufenden oder Schreibenden zur Verfügung stellen. Wenn sie sich in der großen Dienstgemeinschaft gesehen und wertgeschätzt fühlen. Erfolg ist auch, diese Dienstgemeinschaft mitzugestalten, damit das gemeinsame Lernen von Menschen mit ganz individuellen Biografien möglich wird, also eine anregende Umwelt für die im Ehrenamt tätigen Kolleginnen und Kollegen bereitzustellen, so dass „der Helfende der Beschenkte ist“. „Qualität, Motivation und Gemeinschaft aller Mitarbeitenden bilden dabei eine wesentliche Einheit und fördern sich wechselseitig.“ Was wünscht sich Stephanie Schneider für ihre Arbeit? „Menschen, die sich gerne selbst erfahren und mitarbeiten wollen, so dass wir in den anrufstarken Zeiten unsere beiden Telefone besetzen können.“ Wichtig wäre auch eine Finanzierung der Dienststelle in Trier, bei der sich die öffentliche Hand an den Kosten für die Fortbildungen beteiligt und die TelefonSeelsorge damit eine Anerkennung für das zivilgesellschaftliche Engagement erhält, auf welches in krisenhaften Zeiten gerne verwiesen wird.
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Die TelefonSeelsorge
Seit 1975 ist Trier eine von 105 Dienststellen der TelefonSeelsorge Deutschland e.V. Die TelefonSeelsorge berät Menschen jeder Nationalität, jedes Geschlechts, jeder Konfession und jedes Alters. Die Beratung ist fachlichen Qualitätsstandards (grundlegende Aus- und Fortbildung, Supervision, Verschwiegenheit, Anonymität) und weltanschaulicher Neutralität verpflichtet. Alle Beratungsangebote sind anonym und kostenfrei. Dank der Unterstützung der Deutschen Telekom sind die Telefonnummern 0800/1110111 und 0800/1110222 seit 1997 gebührenfrei. Mit der kostenlosen App „KrisenKompass“ bietet die TelefonSeelsorge seit 2020 zusätzliche Hilfe bei depressiven Gefühlen und Suizidgedanken für Betroffene und Angehörige.