Weihbischof Peters tourt durch sein neues Einsatzgebiet und besucht Strafanstalten : Visitation hinter Gittern
Wittlich – Personalausweis abgeben; zur Toilette immer nur eine Person; keine Fotos von Schlüsseln oder anderer Sicherheitstechnik – die könnten findige Kriminelle nachfertigen und hineinschmuggeln: Es sind strenge Regeln, die Besucherinnen und Besucher in der Justizvollzugsanstalt und der benachbarten Jugendstrafanstalt Wittlich erwarten. Weihbischof Peters, der derzeit unterwegs ist, um seinen neuen Visitationsbezirk kennenzulernen, stattete den beiden Gefängnissen für jugendliche und erwachsene Straftäter Mitte September einen Besuch ab. Denn auch im Gefängnis – vielmehr gerade dort – leisten Seelsorger der katholischen und evangelischen Kirche ihren Dienst am Nächsten und kümmern sich um die Inhaftierten. Von ihrer Arbeit und dem Alltagsleben der Gefangenen möchte Peters sich ein Bild machen.
Die älteste Jugendstrafanstalt in Europa
Zuerst geht es für die kleine Gruppe um den Weihbischof mit den Gefängnisseelsorgern Thomas Reichert und Johannes Arnoldi in den Verwaltungstrakt des historischen Gebäudes der Jugendstrafanstalt (JSA) – 1902 erbaut gilt sie als erstes Jugendgefängnis auf europäischem Boden. Junge Straftäter ab 14 Jahren landen hier, der Altersdurchschnitt liegt bei 19 Jahren, fast 90 Prozent haben Erfahrungen mit Suchtmitteln, berichten Leiter Jürgen Thum und seine Stellvertreterin Anna Kohlhaas. Vier Stunden Besuch dürfen die jungen Männer im Monat bekommen – zwei davon auch per Videochat. Eine Neuerung, die vor der Corona-Zeit undenkbar gewesen sei, die sich aber als praktisch erwiesen habe, da viele Verwandte weiter weg wohnen, erklärt Thum. „Natürlich ist während der Gespräche ein Beamter im Raum, der zuhört und versucht, sich ein Bild über die Stimmung und die Zukunftsperspektiven zu machen, die die jungen Männer zu Hause erwarten.“ Die Justizvollzugsbeamten seien immer auch Zuhörer, aber mit professioneller Distanz. Sie müssten beispielsweise rechtlich relevante Aussagen melden.
Gespräche ganz im Vertrauen
Nicht so die Seelsorger. Diakon Reichert verrichtet seit 2010 hier seinen Dienst, Diakon Arnoldi stieß 2017 zum Team – beide Männer strahlen Ruhe und Gelassenheit und jene Verschwiegenheit aus, die für alle Gespräche mit den Inhaftierten gilt. „Zum einen gehen wir aktiv auf die Straftäter hier und drüben in der JVA zu, zum anderen verweisen aber auch die Psycholog*innen auf uns als zusätzliche Gesprächsangebot“, sagt Reichert. In den Unterhaltungen können die Gefangenen alles erzählen, was ihnen auf der Seele liegt. Die Beziehungsarbeit sei aber seit letztem Jahr auf Grund einer politischen Entscheidung schwieriger geworden, sind sich die Mitarbeitenden einig: Damals wurde die JSA zur Aufnahmestelle für ganz Rheinland-Pfalz. Damit kommen zunächst alle Jugendstraftäter für acht bis zehn Wochen nach Wittlich, wo gesundheitliche und psychologische Checks und ein „Vollzugsplan“ erstellt werden. Dann entscheidet sich, ob sie für eine Schul- oder Berufsausbildung geeignet sind und damit in der JSA bleiben können oder ob es nach Schifferstadt geht. Dadurch gebe es weniger Wohngruppen, in denen 12 bis 14 Personen gemeinsam untergerbacht sind und von Bezugspersonen betreut werden. „Es entstehen weniger langfristige Kontakte, und wir haben auch weniger Leute in den Gottesdiensten“, berichtet Reichert. Morgens und abends suche er sich aber Zeitfenster, in denen er auf die jungen Männer zugehe, wenn sie von Ausbildung und Hofgang wieder in die Zellen zurückkehrten. Peters fragt nach, interessiert sich dafür, ob man die Jugendlichen „erreichen kann“ oder ob es viele „Rückfälle“ gebe.
Ausbildung und Ablenkung schaffen Struktur
Dann geht es über den weiten Gefängnishof rüber zu den Werkstätten, wo die Jugendstraftäter eine Ausbildung zum Schreiner, Schlosser oder Maler und Lackierer absolvieren können. In der prallen Sonne liegen die Basketballkörbe, Tischtennisplatten und ein kleiner Bolzplatz verlassen da. Dann eine Mauer, vor der die Gruppe stehen bleibt, um ein buntes Graffiti zu bewundern. Die Worte „Hope“ (Hoffnung) und „Freiheit“ sind dort zu lesen. Diese für die Meisten selbstverständliche Freiheit nicht mehr zu besitzen, sei die eigentliche Strafe, erläutert Thum. Ähnliche Worte findet beim anschließenden Besuch der JVA auch deren Leiter Jörn Patzak. Oft heiße es in Diskussionen, Straftäter seien in deutschen Gefängnissen “zu gut” untergebracht, jedweder Luxus wie Fernseher oder die Sporteinrichtungen seien unnütz, die Strafen zu milde. Dann bittet Patzak die Leute oft, sich einmal vorzustellen, wie das sei: Ankommen, in der Kleiderkammer vom Handy bis zum Schmuck alles abgeben, eine fremde Unterhose und den dunkelroten Jogginganzug anziehen, die vorher schon wer weiß wie viele getragen haben; dann ab in die elf Quadratmeter-Zelle und die Tür schließt sich. “Vielen wird so erst klar, dass das hier kein Urlaub ist. Trotzdem möchten wir die Menschen beschäftigen, möchten ihnen eine Tagesstruktur bieten, die vielen vorher gefehlt hat. Durch die Arbeit können sie etwas Geld verdienen, das sie für das Fernsehen oder Snacks nutzen oder sparen können.” Patzak zitiert dann auch gerne Leo Tolstoi, der einmal sagte: Um einen Staat zu beurteilen, muss man seine Gefängnisse von innen ansehen.” Jeder Cent sei gut ausgegeben, denn die Gefangenen säßen zwar Strafen für schlimme Taten, ab, daran gebe es nichts zu deuteln. Doch eine menschenwürdige Behandlung habe nun mal jeder verdient.
Dank und Respekt für Personal der JVA und JSA
Besonders wichtig seien sinnstiftende Tätigkeiten und eine Tagesroutine für die jungen Straftäter, die noch eine Zukunft vor sich haben, wie Peters in den Werkstätten von den Ausbildern erfährt. Letztere fungieren oft als wichtige Bezugspersonen; ihnen wird Respekt gezollt. Und das sei auch immens wichtig, da gerade in der Schreinerei durchaus mit schweren oder spitzen Werkzeugen gearbeitet werde, die als Waffen eingesetzt werden könnten, gibt Thum zu bedenken. Beim Rundgang durch die Schreinerei sind neben in Auftrag gegebenen Schränken oder Kommoden auch Vogelhäuschen oder Schaukelpferde zu sehen – ein seltsam tragischer und zugleich hoffnungsvoller Anblick. Als der Weihbischof mit einer Auswahl von Mitarbeitenden der JSA – vom Sportcoach bis zu den Psychologinnen, Sozialarbeiterinnen und Justizvollzugsbeamten – und später auch Beamten der JVA zusammentrifft, betonen die immer wieder die tragende Rolle der Seelsorge, nicht nur für die Gefangenen, sondern auch für sie selbst. “Ich fühle mich aufgefangen, weiß, dass ich über schwierige Situationen im System jederzeit sprechen kann”, so ein Justizvollzugsbeamter. Auch bei der Entlassung spielten die Caritas oder die Diakonie als kirchliche Verbände etwa bei der Wohnungssuche einen wichtigen Part, denn die sei, wie man sich vorstellen könne, nicht gerade einfach. Peters zollt den Mitarbeitenden großen Respekt vor ihrer Berufswahl: “Sie stellen sich nicht auf die Seite der Gewinner. Es braucht ein hohes Maß an Motivation, auch die schwierigen Situationen hier auszuhalten, Rückschläge zu ertragen. Dafür gilt Ihnen mein großer Dank.”