20 Menschen nehmen am Experiment: „Leben mit Bürgergeld“ in der Fastenzeit teil:Wenn zur Halbzeit nur 6 Cent übrig sind

Neunkirchen – Gut, dass das Ganze nur ein Experiment ist – denn sonst hätte Lydia Fried nur noch ganze 6 Cent übrig, um über die nächsten beiden Wochen zu kommen. Bei Hans Funk sieht die Halbzeitbilanz noch schlimmer aus: Seine 563 Euro Bürgergeld sind schon komplett aufgebraucht. „Dabei haben wir uns schon einiges Liebgewonnenes, was ich früher nie als Luxus bezeichnet hätte, verkniffen“, sagt Fried, die als Sozialarbeiterin für den Caritasverband Schaumberg-Blies arbeitet. Gemeinsam mit 20 weiteren Menschen nehmen die beiden am Selbstexperiment „Leben mit Bürgergeld“ teil, das Caritas, Katholische Erwachsenenbildung (KEB) und das „momentum – Kirche am Center“ vom 5. März bis 8. April anbieten.
Die Fastenzeit lade dazu ein, auf Überflüssiges zu verzichten und den Blick auf das Wesentliche zu richten und so bewusster zu leben. „Das Ziel ist nicht nur, das eigene Konsumverhalten zu reflektieren, sondern auch ein tieferes Verständnis für die Lebensrealität von Menschen zu entwickeln, die auf Sozialleistungen angewiesen sind“, sagt KEB-Bildungsreferent Klaus Becker. 20 Menschen zwischen 40 und 90 Jahren aus dem ganzen Saarland haben sich auf den Aufruf Mitte Februar gemeldet. Darunter eine 40 Jahre alte gut situierte Frau, die ressourcenfreundlich leben möchte, oder eine 60-Jährige, die die meiste Zeit ihres Lebens in Teilzeit gearbeitet hat. „Kurz vor der Rente hat sie sich Gedanken gemacht, ob ihre Rente reicht und merkte: Es wird knapp. Besser, sie überprüft bereits jetzt ihre Lebensweise“, erzählt Fried. Dass keine Familie mitmache, sei zwar schade, aber sie könne es gut nachvollziehen: „Das wäre schon eine besonders große Herausforderung.“ Für manche sei die Teilnahme mit bitteren Erkenntnissen verbunden gewesen: „Etwa, dass der Strom bereits in den 563 Euro enthalten ist, auch der Gesundheitssport muss davon bezahlt werden und natürlich auch die Putzfrau“, nennt Fried Beispiele.
Sie selbst sei noch nicht gescheitert, sagt die Sozialarbeiterin, denn Not mache erfinderisch: Kurzerhand haben sie und ihr Mann beschlossen, eines ihrer beiden Autos für die nächsten beiden Wochen fiktiv abzumelden – heruntergerechnet sparen sie dadurch 70 Euro Versicherung für das „abgemeldete“ Auto. Ob sie damit bis zum Ende haushalten können, obwohl nächste Woche Gäste eingeladen sind?
Der 79-jährige Hans Funk aus Heiligenwald wird wohl oder übel die nächsten zwei Wochen eine „Schattenliste“ führen müssen, also die Dinge aufschreiben, die er sich gekauft hat, die er sich unter Echt-Bedingungen nicht hätte erlauben können. „Es wird eng, sehr eng“, meint Funk. Er macht bei dem Experiment mit, weil er ohnehin seine Ausgaben auf den Prüfstand stellen wollte. Damit ihm mehr zum Leben bleibt, will er sich der Witwer nun auch räumlich verkleinern. Die Prospekte der Discounter habe er schon vor dem Experiment nach den günstigsten Angeboten durchforstet. Auf sein Auto möchte er nicht verzichten, denn es ist ihm wichtig, mobil zu bleiben. Schweren Herzens hat er aber seine Mitgliedschaft im Angelsportverein nach mehreren Jahrzehnten gekündigt, auch ein Pay-TV-Abonnement, über das er die Bundesliga verfolgte, ist dem Rotstift zum Opfer gefallen. Nicht verzichten will er auf seine Leidenschaft, die Malerei. „Die hat mir mein Opa beigebracht, da war ich vier Jahre“, sagt der Rentner. Aktuell besucht er einen Malkurs in Acrylmalerei – 120 Euro im Monat ist ihm das Wert – auch während des Experiments. „Man muss auch seiner Seele etwas Gutes tun und auch Hobbys haben“, unterstützt ihn Fried. Ihr Zwischenfazit: „Mit dem Bürgergeld verhungert man nicht, aber es gehört einfach mehr zum Leben dazu.“
Mehrere Teilnehmer würden ihr Zeitungsabo kündigen, wäre das Experiment die Realität, berichtet Becker. Diese Menschen drohten, dann kulturell und politisch aus der Gesellschaft auszusteigen – sie wären nicht mehr über (auch kostenlose) Veranstaltungen in ihrer Stadt informiert und würden womöglich anfälliger für Fake News. Von vielen Klienten hört Lydia Fried in der Sozialberatung von der Panik vor einer ungeplanten Rechnung in der Post. „Das kann ich jetzt nachvollziehen“, sagt sie. Denn sie rechnet jeden Tag damit, dass ein Strafzettel kommt und ihre Planung über den Haufen wirft. Um ein noch realistischeres Bild zu bekommen, überlegt sie, das Experiment über einen Zeitraum von drei Monaten zu wiederholen und zu schauen, ob es wieder heißt: Warum ist am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig.