Bundespräsident a. D. Joachim Gauck zu Gast in der Wallfahrtskirche Klausen:„Wir brauchen eine kämpferische Toleranz“
Klausen – Seit zehn Jahren gibt es die „Kultur in der Wallfahrtskirche Klausen“. Zu diesem Jubiläum konnte Pater Albert Seul OP am 23. Juni bei seiner Gesprächsreihe einen besonderen Gast begrüßen: Bundespräsident a. D. Joachim Gauck sprach mit Seul über das Thema „Toleranz“, dem er sich auch in seinem neuen Buch gewidmet hat. Das Publikum in der bis auf den letzten Platz besetzten Wallfahrtskirche erlebte einen ehemaligen Bundespräsidenten, der sich nahbar und persönlich zeigte, Anekdoten und Schlaglichter auf ihn prägende Ereignisse in seinem Leben warf und sich politisch klar positionierte.
Auf Seuls Frage, ob wir in einer Gesellschaft lebten, in der der Konsens, das Verstehen des Gegenübers die oberste Maxime geworden sei, antwortete Gauck, ein friedliches und verstehendes Miteinander sei zunächst einmal positiv. Doch Toleranz könne nicht das Wegreden von Unterschieden oder das Anerkennen wirklich jeder Haltung sein. „Wir brauchen eine kämpferische Toleranz. Toleranz ist nicht Gleichgültigkeit, nicht Indifferenz, sondern eine Haltung, die gelernt und geübt werden will.“ Ein gutes Beispiel sei aktuell der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Hier gebe es das berühmte „Schwarz und Weiß“: „Es ist selten so eindeutig, wer der Aggressor und wer das Opfer ist.“ Im Kommunismus gebe es das Mantra, unbedingt an der Macht festhalten zu wollen, und dies werde mit allen Mitteln wie Einschränkung der Bürgerrechte, Ausschaltung freier Medien, einem Geheimapparat und der Bevorzugung derer, die sich Obrigkeitstreu verhielten, auch durchgesetzt, ob in Russland oder in China, oder früher in der DDR. Dies kleinzureden oder Verständnis für Putins Kriegshandlungen zu zeigen, halte er für eine „Verzerrung der Wirklichkeit und für eine falsche Toleranz“, so Gauck, der selbst in der DDR aufwuchs und als Jugendlicher in die Opposition zum SED-Regime ging. „Einen Feind, der sich selbst zum Feind erklärt hat, kann man nicht tolerieren.“ Auch an anderer Stelle gelte es, eine klare Haltung zu zeigen und auch „intolerant“ zu sein – nämlich immer da, wo Menschenrechte, die Würde und die Freiheit in Gefahr seien.
Plädoyer für eine „geregelte Streitkultur“
Deshalb sei auch in der Politik und der Gesellschaft eine geregelte Streitkultur äußerst wichtig – die Verrohung derselben habe ihn auch dazu bewogen, sein neues Buch zu schreiben, aus dem er am Ende des Gesprächs auch vorlas. Eigene Haltungen durchsetzen oder über politische Gegner siegen zu wollen, sei an sich nichts Verwerfliches. „Doch immer nach vorgegebenen Regeln des Rechts, die Würde des Gegners bewahrend und nicht mit dem Ziel der Zerstörung des Gegenübers oder der Demokratie“, unterstrich Gauck. Insofern müsse er die AfD zwar als gewählte Partei akzeptieren, er halte sie aber für „verzichtbar“ und suche selbstverständlich auch die Debatte bei Haltungen, die er nicht hinnehmen könne. Zugleich müsse man auch die Ängste der Menschen in einer zunehmend komplexeren Welt ernst nehmen und dürfe bei aller Kritik an den Wahlergebnissen in Ost-Bundesländern nicht vergessen, dass hier über zwei Generationen unter einer Diktatur lebten und Demokratieprozesse dort nicht über Jahrzehnte wie im Westen Deutschlands wachsen konnten.
Botschaft der christlichen Kirchen ist Schatz
Seul fragte auch nach der Wichtigkeit christlicher Kirchen für eine tolerante Gesellschaft. Gauck, selbst langjähriger evangelischer Pastor, räumte den Bedeutungsverlust der Institution Kirche für viele Menschen ein. Zugleich begegne er aber vielen Menschen durch fast alle Parteien hindurch, die ähnliche Werte und Tugenden teilten, wo sich die Kirchen in unterschiedlichen politischen Feldern mit ihren Themen wiederfänden. „Und darauf kann man doch sehr gut aufbauen“, so Gauck. Bevor es die heutige Demokratie gab, habe es im Christentum Barmherzigkeit und Nächstenliebe gegeben. Natürlich sei die Geschichte des Christentums auch von viel Leid und Unrecht geprägt gewesen, aber die ursprüngliche Botschaft durchziehe die Geschichte als „Angebot eines Lebens füreinander und nicht gegeneinander. Das sind starke Wurzeln für die Autonomie des Einzelnen. Und das ist ein großer Schatz“.
Staatssekretärin Bettina Brück lobte zu Beginn der Veranstaltung in Vertretung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer das große Engagement Pater Albert Seuls und seines ehrenamtlichen Teams um Tobias Marenberg. Über zehn Jahre ehrenamtlich Kulturveranstaltungen auf hohem Niveau zu organisieren und das Format sogar durch die Corona-Krise zu bringen, sei eine riesige Kraftanstrengung. Weitere Gäste aus der Politik waren Verbandsbürgermeister Manuel Follmann und Ortsbürgermeister Alois Meyer. Informationen zum Kulturprogramm in der Wallfahrtskirche gibt es unter: www.wallfahrtskirche-klausen.de/jahresprogramm
(sb)