Zum Inhalt springen

Warum die Caritas auf langfristige und nachrangige Hochwasserhilfe setzt:Wirksame Hilfe braucht Zeit

Die Arbeit der Caritas setzt da an, wo staatliche Hilfen enden, vor allem auch in sozialer, emotionaler und psychischer Hinsicht.
Mario Götz mit einem Foto vom Hochwasser (Foto: privat)
Datum:
13. Nov. 2021
Von:
Bischöfliche Pressestelle

Trier – Langfristig und nachrangig: Diese beiden Worte fallen immer wieder, wenn die Caritas von Fluthilfe spricht. Doch was ist damit genau gemeint? „Wir beginnen, wenn das Blaulicht weg ist.“ So umschreibt Mario Götz seine Arbeit. Seit 20 Jahren arbeitet er beim Diözesan-Caritasverband (DiCV) Passau in unterschiedlichen Bereichen, aber es wird schnell klar, welches sein liebstes Arbeitsfeld ist: die Fluthilfe. So war er 2013 aktiv, als Donau und Inn mit der Ilz über die Ufer getreten waren und rund 2.500 Haushalte teils unbewohnbar gemacht hatten. Bei seinem Einsatz 2016 sei die Lage eher mit der Hochwasser-Katastrophe vom Juli 2021 vergleichbar gewesen: Eine Gewitterzelle hatte zu einem sogenannten Sturzflutereignis geführt; allein im Landkreis Rottal-Inn waren rund 5.000 Haushalte betroffen.

„Mit Abstand die vielfältigste Stelle“ sei die Fluthilfe gewesen, sagt auch Michalina Jonderko. Genau zum Zeitpunkt des Elbe-Hochwassers 2013 wechselte sie als Hochwasserkoordinatorin zur Caritas nach Leipzig ins Bistum Dresden-Meißen. In Grimma südöstlich von Leipzig, wo die in die Elbe mündende Mulde zusammen mit vielen kleinen Nebenflüssen zum Hochwassergebiet wurde, betreute sie über zwei Jahre lang rund 150 Haushalte. Seit 2015 arbeitet sie als sozialpastorale Mitarbeiterin im Bistum Trier und seit Juli auch ehrenamtlich in der Hochwasserhilfe für den DiCV Trier und den Caritasverband im Ahrtal.
 

Michalina Jonderko arbeitet seit Juli ehrenamtlich in der Hochwasserhilfe für den DiCV und den Caritasverband im Ahrtal (Foto: privat)

Einfach da sein

Was im Fachjargon „aufsuchende Sozialarbeit“ heißt, bedeutet konkret: „Vor Ort sein, einfach da sein“, erklärt Jonderko. Wie eine Fall-Managerin müsse sie viele Aspekte auf dem Schirm haben, verschiedene Bereiche „vor- und mitdenken“. Denn in der Regel standen sie und ihr Passauer Kollege vor Menschen, die (fast) alles verloren hatten. Deshalb sei es auch wichtig, für Klarheit zu sorgen, betont Götz: „Der Klient hat so viele Fragen, er steht vor Entscheidungen als ‚Bauherr wider Willen‘. Er ist vielleicht durch erste Erfahrungen vor den Kopf gestoßen, weil Hilfsaktionen nicht hinhauen; er weiß nicht, wie viel Geld er bekommen wird.“ Götz und Jonderko betonen, dass die Arbeit der Caritas da ansetzt, wo staatliche Hilfen enden – nachrangige Hilfe eben, langfristig angelegt. Und da hatten manche Menschen in Sachsen durchaus schlechte Erfahrungen gemacht: Bereits 2002 hatte es ein schreckliches Hochwasser an der Elbe gegeben. Doch weil staatliche Hilfsgelder teils falsch verwendet wurden und dann zurückgezahlt werden mussten und auch weil es Missbrauch mit Hilfsgeldern gab, registrierte Jonderko eine Zurückhaltung gegenüber staatlicher, aber auch karitativer Unterstützung. Doch die „breit aufgestellte Hilfe“ der Caritas konnte 2013 letztlich doch überzeugen. „Aus den Erfahrungen von 2002 hatte die Caritas in Grimma das Christophorus-Büro aufgebaut, in der diverse Fachdienste vertreten waren.“

Aber was passiert mit den Spenden, die die Caritas damals wie heute sehr großzügig von vielen tausenden Menschen erhielt? „Im Grunde genommen erhalten wir unseren Auftrag von den Spenderinnen und Spendern, die uns ihr Geld zur Verfügung stellen“, erklärt Götz mit einem Beispiel: „Da ist jemand, dessen Haus stark zerstört ist, der alles verloren hat. Der Staat zahlt 80 Prozent der Wiederaufbaukosten, die restlichen 20 Prozent muss der Betroffene als Eigenanteil selbst aufbringen. Und oft mangelt es dann an den 20 Prozent – hier können wir dann helfen. Dazu müssen wir solvent sein.“ Wobei das Geld meist nicht das erste Thema gewesen sei, wenn die Caritas-Leute zu den Flutopfern kamen: „Fotos anzuschauen oder einfach zuzuhören war erstmal viel wichtiger!“, sagt Götz. Das bestätigt Jonderko: Von den 150 Haushalten, die sie in zwei Jahren betreute, hatten letztendlich 33 die Wiederaufbauhilfe für das Wohngebäude erhalten. Nicht in jedem Fall habe eine finanzielle Bedürftigkeit vorgelegen. Für viele sei anderes wichtiger gewesen und die finanzielle Unterstützung nur ein Aspekt unter vielen. „Oft war es schon gut, dass wir einfach sagen konnten: Es ist okay, überfordert zu sein.“ Jonderko hat Menschen zu Ämtern begleitet, psychosoziale Begleitung vermittelt oder auch eine Baufachberatung. Selten habe sie eine so große Wirksamkeit von Hilfe erlebt, „gemeinsam mit den Menschen“, erinnert sie sich. Dabei will sie Misserfolge nicht ausblenden. Sie habe auch immer Verständnis gehabt, wenn Menschen aufgrund ihrer Vorerfahrungen misstrauisch waren. Niemandem soll etwas aufgezwungen werden: „Die Menschen haben ja Wahlfreiheit, auch was den Umfang oder die Art der Unterstützung angeht.“

Das Fluthilfeteam des Caritasverbandes Westeifel bietet Hilfe: hier Dr. Alexander Knauf im Gespräch (Foto: Renate Ifland)

Langfristige Hilfe auch in sozialer, emotionaler und psychischer Hinsicht

Und so sind Götz wie Jonderko immer auf Verständnis gestoßen, wenn sie den Klienten erklärten, dass die Caritas nicht auf schnelle finanzielle Soforthilfe, sondern auf langfristige Hilfe beim Wiederaufbau setzt – vor allem auch in sozialer, emotionaler und psychischer Hinsicht. Das funktioniere natürlich nicht allein. Was offiziell „Vernetzung“ heißt, beschreibt Götz so: „Ich kenne da jemanden.“ Mitarbeitende in der Fluthilfe brauchten Profis wie Psychologen, Kinderärztinnen, Verwaltungs- oder Versicherungsfachleute oder Architekten an ihrer Seite. „Man sieht den Bedarf und kennt dann die kurzen Wege: Dann flutscht das“, sagt Götz. „So schnell wie möglich vernetzen“ war daher auch der Rat, den Jonderko ihren Kolleginnen und Kollegen im DiCV Trier angesichts der Flutkatastrophe im Bistum gegeben hat. Eine träger- und verbandsübergreifende Zusammenarbeit rein im Sinne der Betroffenen sei in Leipzig „unfassbar produktiv“ gewesen.

Der Fluthilfe ihrer Trierer Kolleginnen und Kollegen bescheinigen Götz und Jonderko gute Arbeit: „Die waren direkt vor Ort.“ Ihre Kolleginnen und Kollegen konnten die beiden schon beratend unterstützen und ihnen Mut machen: „Hochwasserhilfe ist erfüllend“, sagt Jonderko. Die damals geschmiedeten Netzwerke hielten lange. Mit Blick auf die weitere Arbeit im Bistum Trier geben beide den gleichen Rat: in Personal investieren und auf einen guten Mix aus erfahrenen Caritas-Leuten und Fluthilfe-Expertinnen und -experten setzen. Denn drei bis fünf Jahre werde die begleitende Betreuung schon dauern, bis sich die Lage wieder normalisiere und stabilisiere, schätzen Götz und Jonderko übereinstimmend. Weil ganze Orte betroffen sind, werde das sozialräumliche Arbeiten eine größere Rolle spielen als bei den Hochwasserereignissen an Oder und Donau, vermutet Jonderko. Selbst nach fünf Jahren werden es immer noch Bedarfe geben. Und auch, wenn es nicht immer gelingt, sei das Ziel der Fluthilfe: jemanden zu begleiten bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Person sagen kann: „Die Flut ist für mich überstanden.“

(JR)