Zum Inhalt springen

Niklas Kedenburg ist Bundesfreiwilliger bei der Trierer Tonpost:Bufdi mit Behinderung? Trau Dich!

Niklas Kedenburg ist Bundesfreiwilliger bei der Trierischen Tonpost. Er und sein Integrationshelfer Steven Vengut sind ein perfektes Team.
Niklas und sein Betreuer Steven (Fotos: Inge Hülpes/Bistum Trier)
Datum:
17. März 2022
Von:
Bischöfliche Pressestelle

Trier – Niklas Kedenburg (24) ist schwerstbehindert – und leistet seit einem Jahr seinen Dienst als Bundesfreiwilliger (Bufdi) bei der Trierischen Tonpost im Bistum Trier.

Niklas und Steven sind ein Team im Team: Während die übrigen Mitarbeitenden der Arbeitsstelle Medien für Blinde und Sehbehinderte an ihren Schreibtischen arbeiten, sitzen Bufdi Niklas und sein Integrationshelfer Steven Vengud (38) am Tonschnittplatz und erstellen einen Hör-Beitrag für die nächste Ausgabe der Trierischen Tonpost. Niklas führt Regie – Steven bedient das Schnittprogramm. Niklas macht die Ansagen – Steven setzt sie in die Tat um. Währenddessen schallt immer mal wieder herzliches Lachen durch die Korridore im Dachgeschoss des Bischöflichen Generalvikariats. Die beiden sind bestens aufeinander eingespielt, verstehen sich prächtig und haben Spaß bei der Arbeit. Für das Tonpost-Team um Chefin Nadja Merz war ziemlich schnell klar: Niklas und Steven gibt es nur im Doppelpack. Und mit diesem Doppelpack hat Merz sich auch gleich noch eine ordentliche Portion Frohsinn in ihr Team geholt. „Die beiden machen hier wirklich gute Stimmung”, freut sich die 34-Jährige. „Die FSJler und Bufdis sind fest in unsere Arbeitsabläufe eingebunden, müssen natürlich Deadlines einhalten und Prozesse ordentlich abwickeln. Das haben Niklas und Steven schnell verinnerlicht und dazu auch noch neue Ideen eingebracht. Auf die Qualität ihrer Arbeitsergebnisse kann ich mich verlassen”, versichert Merz. 

„Für mich ist es normal, behindert zu sein”

Während Niklas Geburt kam es zu einer Sauerstoff-Unterversorgung. Seitdem hat er eine Spastik und kann seine Hände nur sehr eingeschränkt bewegen. „Bei meiner Geburt sind mehrere Areale im Gehirn abgestorben. Das hat zur Folge, dass meine Nerven die Muskeln nicht mehr richtig ansteuern können. Meine Muskeln verkrampfen sich also, weil sie die Informationen, die vom Hirn gesendet werden, falsch verarbeiten”, erklärt der gebürtige Hamburger sein Krankheitsbild. Deshalb ist der Rollstuhlfahrer im Job wie in der Freizeit auf seine Betreuer angewiesen. Einer davon ist Steven, Student der Erziehungswissenschaften an der Uni Trier. Als Integrationshelfer erledigt er alle anfallenden Handgriffe für Niklas. Ein Segen für den jungen Mann: „Ohne Steven wäre ich aufgeschmissen”, gibt er ohne Umschweife zu, und ergänzt: „Steven ist wirklich ein super toller Mensch.”

Mit seinem Schicksal komme er inzwischen ganz gut zurecht, versichert Niklas. „Ich bin auf dem ersten Arbeitsmarkt integriert und fühle mich damit sehr gut.” Nach seinem Fachabitur ging es für Niklas zunächst an die hiesige Hochschule zum Lebensmitteltechnik-Studium. Nach drei Semestern war allerdings Schluss, der Matheanteil zu kompliziert. Mit höherer Mathematik und dem räumlichen Denken hat Niklas so seine Probleme: „Ich bin halt als Baby nie herum gekrabbelt, daher konnte ich kein richtiges räumliches Vorstellungsvermögen entwickeln.” Liegt auf der Hand. Doch statt den Kopf in den Sand zu stecken, orientierte er sich neu und bewarb sich als Bufdi bei der Tonpost. Es sei die Kombination aus Journalismus und Behindertenhilfe gewesen, die ihn an der Stelle gereizt habe. Ein weiterer Vorteil: Die Räume der Tonpost sind via Fahrstuhl erreichbar, zur Eingangstür des Gebäudes führt eine lange Rampe, der Arbeitsplatz ist also barrierefrei. Hier fühlt er sich wohl, denn er sei von Anfang an problemlos in das Team aufgenommen worden, in dem auch Menschen mit Beeinträchtigung des Sehvermögens arbeiten.

Apropos Behinderung und Beeinträchtigung: Schmerzt es Niklas, wenn er als “Behinderter” bezeichnet wird? Niklas winkt ab: „Ich fang jetzt nicht an zu heulen, wenn mich jemand behindert nennt. Es klingt bestimmt seltsam, aber ich bin gern behindert, denn ich kenne es ja nicht anders. Für mich ist es normal, behindert zu sein.” Was ihn störe, seien allerdings gestelzte Begriffe wie „Menschen mit besonderen Bedürfnissen”. „Da frage ich mich immer: Muss man mich denn noch mehr separieren? Ich hab die gleichen Bedürfnisse wie jeder andere auch.” Er wünsche sich, dass die Leute „nicht so geschwollen” über Menschen mit Behinderung sprechen würden und stattdessen mehr zuhören. „Und vor allem die anderen so leben lassen, wie sie es möchten”, ergänzt er.

Niklas führt Regie und Steven bedient das Schnittprogramm.

Selbstbestimmung braucht Assistenz

Dass hierzulande in Sachen Barrierefreiheit nachgebessert werden muss, kommt auch zur Sprache: „Deutschland tut schon viel für Behinderte. Aber natürlich könnte man da noch an der ein oder anderen Stellschraube drehen.” Damit meint Niklas allerdings nicht nur Rampen und Fahrstühle, sondern vor allem das Recht auf Assistenz im Alltag, um als beeinträchtigter Mensch selbstbestimmt leben zu können. „Es müsste unkomplizierter sein, eine umfassende Betreuung genehmigt zu bekommen.” Denn bevor eine Assistenz bewilligt werde, müsse man sich erst einmal durch eine Menge Papierkram wälzen und sich stets aufs Neue vor unterschiedlichen Ämtern rechtfertigen. Das kostet Energie. „Wenn ich ein normales Leben führen will, ist Betreuung unumgänglich. Und auch mein Freiwilligendienst hier wäre ohne Assistenz gar nicht möglich. Doch da werden einem leider immer wieder Steine in den Weg gelegt.”

Zeit zum Entspannen bleibt Niklas nur selten. Um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, braucht er regelmäßige Therapien: Jede Woche stehen Physio-, Ergo- und Psychotherapie auf dem Plan. „Mit einem so komplexen Behinderungsbild hat man einen ganzen Rattenschwanz an Erledigungen – selbst nach einem langen Arbeitstag.” Da bleibt wenig Spielraum für Hobbies, außer für ein ganz besonders wichtiges. „Fußball ist bei mir heilig. Dafür ist immer Zeit”, schmunzelt der passionierte Bayern-München-Fan, der früher selbst Rollstuhl-Fußball gespielt hat. Und sogar Deutscher Meister wurde. Training und Wettkampf hat Niklas inzwischen jedoch aufgegeben. „Wenn man im Behindertensport aktiv ist, ist das oft mit Trauer verbunden”, berichtet er, und erzählt von diesem einen Jahr, in dem er den Tod von mehreren Teamkollegen verkraften musste. „Das hat mich sehr mitgenommen, deshalb hab ich mich aus dem Sport zurückgezogen. Das ist psychisch so belastend, dass du das irgendwann einfach nicht mehr hinkriegst.”

Im Anschluss an seinen Bundesfreiwilligendienst, also im kommenden Sommer, beginnt Niklas eine Ausbildung zum Bürokaufmann im Bischöflichen Generalvikariat. Was er anderen jungen Leuten empfehlen würde, die beeinträchtigt oder vorerkrankt sind, und überlegen, ob sie sich einen Freiwilligendienst zutrauen? „Die Krankheitsbilder sind so individuell; jeder muss für sich entscheiden, ob er sich kognitiv und im Zusammenspiel mit seiner Behinderung dazu in der Lage fühlt. Ich bin natürlich dafür, dass sich mehr Behinderte trauen, einen Freiwilligendienst zu machen. Deshalb sage ich: Traut euch!”

Weitere Informationen zur „Trierischen Tonpost” gibt es auf www.tonpost.de.

(ih)