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In Dillingen wurde im Geiste von Oswald-von-Nell-Breuning debattiert :Chancen und Risiken der Digitalisierung nicht ganz absehbar

Gegensätzliche Meinungen zur Digitalisierung: spontan sahen bei der Nell-Breuning-Gedenkveranstaltung der KEB in Dillingen zwei Drittel des Publikums mehr Chancen, ein Drittel mehr Risiken...
Im Podium diskutierten (von links): Eugen Roth, Prof. Dr. Bernhard Emunds, Mathias Winters, Anke Rehlinger und Dr. Heino Klingen
Datum:
5. März 2018
Von:
Bischöfliche Pressestelle

Dillingen - Die Meinungs- und Stimmungslage wegen der Digitalisierung ist nicht einheitlich.  Zwei Drittel des Publikums sehen mehr Chancen, ein Drittel mehr Risiken. Das hat eine spontane Befragung des Moderators Mathias Winters (Journalist der Saarbrücker Zeitung) der rund 80 Teilnehmer der Oswald-von-Nell-Breuning-Gedenkveranstaltung der KEB im Kreis Saarlouis in der Dillinger Stadthalle ergeben. Zuvor referierten Professor Dr. Bernhard Emunds und die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger zum von der KEB gewählten Thema: „Wird der Mensch noch gebraucht? Chancen und Risiken der Digitalisierung.“ Der KEB-Vorsitzende Horst Ziegler ermunterte in der Begrüßung zu „Fragen und guten Vorschlägen“ in Sinne Nell-Breunings, welcher einst  forderte, die durch Modernisierung gewonnene Zeit solle in „das Leben mit Sinn erfüllende Zeit“ umgewandelt werden. 

Nach drei Stunden „völlig analog gesprochen“ (Winters), sind einige Positionen deutlicher geworden: Seitens der Arbeitgeber, vertreten durch Dr. Heino Klingen, Hauptgeschäftsführer der IHK Saarland, wird die Digitalisierung als Modernisierungsschub wie andere auch gesehen; diesem fielen „leider“, wie er sagte, einige Arbeitsplätze zum Opfer, dafür entstünden andere. Unternehmen könnten durch die Digitalisierung ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern und die Produktivität erhöhen, das erwirtschaftete Geld könne zum „Re-Investieren“ verwendet werden.  Anke Rehlinger betonte die Wichtigkeit von Weiterbildung, dafür stelle das Saarland Geld und Programme bereit. Eugen Roth, stellvertretender DGB-Vorsitzender Rheinland-Pfalz/Saarland, forderte „ein gesetzlich verbrieftes Recht auf Weiterbildung“ und hob die Rolle der Betriebsräte und Tarifpartner hervor. Roths Einschätzung nach birgt die mit der Digitalisierung verbundene Steigerung der Produktivität auch die Gefahr, dass die Beschäftigten überfordert und sogar krank würden. Im Übrigen wies er darauf hin, dass nicht nur bestausgebildete Menschen gebraucht würden, sondern auch solche, die Lebenserfahrung mitbrächten.

Bernhard Emunds, Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt und Leiter des Nell-Breuning-Instituts, präsentierte in seinem Vortrag das Schlagwort „Industrie 4.0“ als eine Strategie der Öffentlichkeitsarbeit der Wirtschaft. Mit der digitalen Vernetzung sei mehr Flexibilität der Mitarbeitenden verbunden, diese komme aber weniger den Menschen und ihren Familien zugute als – je nach Bedarf - den Unternehmen. Unsere demokratische Gesellschaft setze sich aber zusammen aus Freien und Gleichen. Dies gehe aber nur, wenn die Arbeitszeit begrenzt sei. Ständige Verfügbarkeit oder gar „der gläserne Mitarbeiter“ über dessen Aufenthalt und Tätigkeit die Firma jederzeit informiert sei, gefährdeten dies.  Außerdem drohe durch die Digitalisierung eine Aufspaltung in „hochtechnisierte Top-Ingenieure“ und „Jobs für Geringqualifizierte“.  Es könne auch zu immer mehr prekären Arbeitsverhältnissen kommen, demgegenüber  sei eine stabile Demokratie auf eine breite Mittelschicht mit auskömmlichem Einkommen angewiesen. In der durch Erwerbsarbeit geprägten Gesellschaft strebe  der Einzelne nach Anerkennung als Gleichberechtigter, sein Selbstwertgefühl hänge davon ab, dass er Arbeit habe, von der er leben könne.

Wenn durch Digitalisierung ein Mensch in einer Arbeitsstunde mehr produzieren könne, das Wirtschaftswachstum insgesamt aber nur schwach sei, drohe der Verlust von Arbeitsplätzen.  Darin sähen einige die Chance, die Arbeitsgesellschaft zu überwinden. Ob jedoch ein bedingungsloses Grundeinkommen die richtige Antwort sei, ließ Professor Emunds offen. Die Skepsis teilten die anderen im Podium. Ausdrücklich erwähnte Emunds, dass im Rahmen der katholischen Soziallehre die „Beteiligungsgerechtigkeit“ darin bestehe, dass jeder etwas zur Gesellschaft beitragen könne, das von den anderen wertgeschätzt werde. Insofern bestehe ein „ethisches Recht auf Erwerbsarbeit“. Oswald von Nell-Breuning habe angesichts der steigenden Arbeitsproduktivität  bereits 1985 die Acht-Stunden-Woche gefordert, gleichzeitig aber die Grenzen des Wachstums erkannt und vor einer Überfülle der Produkte gewarnt. Die Verkürzung der Arbeitszeit sollte nach Empfehlung Nell-Breunings mehr Zeit für sinnvolle Tätigkeiten und für Zuwendung lassen. Dies dürfe nicht nur den „Honoratioren“ zukommen, sondern daran sollten möglichst alle gemäß ihrer Menschenwürde teilhaben.

Außerdem machte Emunds deutlich, dass der Anstieg der Arbeitsproduktivität durch Digitalisierung nicht in allen Bereichen der Arbeitswelt gleich sei. In den Bereichen Pflege, Gesundheit, Bildung und Soziale Arbeit  komme es auf faire Arbeitsverhältnisse an, so dass sich die Dienstleister selbst auch Dienstleistungen kaufen könnten. Dazu sei in bestimmten Bereichen, wie haushaltsnahen Dienstleistungen, auch eine staatliche Förderung nötig. Und es ei eine öffentliche Debatte über die Gestaltung der Digitalisierung zu führen, wobei die Kirchen mit den Gewerkschaften zusammen arbeiten sollten, befand Emunds.

Auf Einladung der  KEB wurde nun in Dillingen diese Debatte geführt. Sie hat Anstöße zur Reflexion über die Chancen und Risiken der Digitalisierung gegeben. Aber es bleiben viele Fragen offen – wie die nach den Chancen der Digitalisierung für diejenigen, die jetzt schon schlecht qualifiziert sind und keine Arbeit haben. Da konnte der Eindruck entstehen, als hätten sich die meisten schon damit arrangiert, dass die Gesellschaft in die Reichen und Gutsituierten auf der einen und die Armen und Chancenlosen andererseits geteilt ist.  An dieser Spaltung würde auch eine sowohl von Emunds, Rehlinger und Roth geforderte höhere Steuer auf die großen Vermögen kaum etwas ändern. Die Debatte muss also weitergehen.

(red)