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Kirche ist weiterhin vor Ort / Zuhören, begleiten, da sein:„Die Flut ist noch nicht vorbei“

Auch fast ein Jahr nach der Flut sind viele Menschen im Ahrtal noch weit entfernt von ihrem gewohnten Leben. Nach wie vor bieten Seelsorgende wie Manuela Krämer-Breuer Hilfe und Unterstützung
Begegnungsmöglichkeiten sind für die Menschen im betroffenen Ahrtal wichtig. Gemeindereferentin Manuela Kremer-Breuer packt gerade Spielsteine aus, die zukünftig für unterschiedliche Familienaktionen genutzt werden sollen. Foto: privat
Datum:
30. Juni 2022
Von:
Bischöfliche Pressestelle

Altenahr – „Die Flut ist noch nicht vorbei“, sagt Manuela Kremer-Breuer. Sie ist Gemeindereferentin in der Pfarreiengemeinschaft Altenahr und weiß, dass auch fast ein Jahr nach der Flutkatastrophe viele Menschen im Ahrtal weit entfernt von ihrem gewohnten Leben sind. „In den Herzen ist noch viel Traurigkeit, und auch der Aufbau von Gebäuden und Infrastruktur ist noch lange nicht abgeschlossen.“

Seit 21 Jahren ist Manuela Kremer-Breuer Teil des hauptamtlichen Seelsorge-Teams in Altenahr, wo sie auch selbst mit ihrer Familie lebt. Sie kennt viele Menschen in dem touristisch geprägten Ort und hat ein Gespür dafür, wie es den Frauen, Männern und Kindern hier geht. „Die Erlebnisse und die Bilder werden die Menschen immer begleiten. Doch vielleicht sind sie irgendwann nicht mehr so präsent“, vermutet die Theologin. So vielfältig die Schicksale, so unterschiedlich der Umgang mit dem anstehenden Jahrestag der Flutkatastrophe am 14. Juli: „Manche möchten mit dem Thema abschließen, für andere ist solch ein Tag des kollektiven Gedenkens wichtig.“ Die Seelsorgerin betont, dass es hier kein richtig oder falsch gebe. „Alle Empfindungen sind in Ordnung“, sagt sie und verweist auf die unterschiedlichen Phasen der Trauer, die ein wenig mit der Situation im Ahrtal vergleichbar seien.

Schleppender Wiederaufbau

Manuela Kremer-Breuer kann verstehen, dass Außenstehende denken, dass das Ahrtal doch langsam wieder aufgebaut, alle Schäden beseitigt sein müssten. „Man kann die Situation erst verstehen, wenn man hier ist. Das geht nun mal nicht so schnell wie erhofft und vor allem nicht alles gleichzeitig. Einige konnten schnell zurück, andere wissen noch nicht einmal, ob sie wieder in ihr altes Haus ziehen können.“ Und das nach fast zwölf Monaten. An „Normalität“ sei nicht zu denken. Kremer-Breuer meidet das Wort und macht die Situation lieber an einem Beispiel fest: „Die Kinder haben immer noch einen weiten Weg mit dem Bus zu ihrer Schule, beziehungsweise zu den Gebäuden, in denen ihre Schule provisorisch untergekommen ist.“ Auf der anderen Seite gebe es auch Hoffnungszeichen. „Es ist nicht so, als würde nichts geschehen. Das erste Restaurant im Ort hat wieder geöffnet und im Sommer wird auch ein Hotel wieder Touristinnen und Touristen aufnehmen können.“

Kirche mittendrin

Und die Kirche? War bei alldem mittendrin, erzählt Kremer-Breuer: In der Flutnacht fanden evakuierte Anwohnerinnen und Anwohner sowie Touristen in der Kirche, die aufgrund ihrer erhöhten Lage nicht betroffen war, Obhut und seelsorgliche Betreuung. Bereits zwei Tage nach der Flut wurde die Kirche als Spendenlager genutzt, im Pfarrheim etablierte sich eine „Kaffeebud‘“ für Anwohner, ehrenamtliche Helfer und Einsatzkräfte, die Feldpost siedelte sich nach kurzer Zeit in der Einfahrt des Pfarrhauses an, ein Bankbus stand zur Verfügung, die Apotheke nutzte die Büroräume im Pfarrhaus und in der Katholischen Öffentlichen Bücherei hatten Psychologen ihren Sitz. In der angrenzenden Kita wurde schnell eine ehrenamtliche Betreuung aufgebaut.

Selbstbestimmt leben

Auch nach einem Jahr spürt sie von den Bewohnerinnen und Bewohnern viel Dankbarkeit gegenüber den Helferinnen und Helfern. „Doch es ist auch wichtig, die Menschen vor Ort einzubinden und sie danach zu fragen, was sie sich wünschen. Sie wollen ihr Leben selbst in die Hand nehmen.“ Dies sei ein wichtiges Element im pastoralen Team der Pfarreiengemeinschaft. „Wir wollen begleiten und da sein, aber wir geben nicht vor, was die Leute brauchen.“ Die Erfahrung der vergangenen Monate habe gezeigt, dass die Menschen dankbar für Begegnungsmöglichkeiten seien. „Wir versuchen an unterschiedlichen Orten mit vielfältigen Angeboten diese Räume zum Austausch zu schaffen.“ So gibt es auf dem Parkplatz „Auf den Märkten“ in Pützfeld einen Container, wo Seelsorgerinnen und Seelsorger ein offenes Ohr haben und auch die Pfarrsekretärin an bestimmten Tagen für pfarrliche Angelegenheiten ansprechbar ist. Beim „Feuerabend – Feierabend“ sitzen ganz unterschiedliche Menschen an einem Lagerfeuer beisammen und tauschen sich an wechselnden Orten aus. Mit dabei sind auch immer zwei Seelsorgerinnen. „Es ist einfach gut, da zu sein, falls jemand gezielt mit uns sprechen will“, sagt Manuela Kremer-Breuer, die auch eine Ausbildung als Notfallseelsorgerin und Trauerbegleiterin hat.

Dasein, mit aushalten, Wegbegleiterin sein

Bereits vor der Flut habe sie ihren Beruf mit viel Herzblut gemacht. „Aber die Katastrophe hat mir noch einmal ganz klar den Fokus meiner Arbeit gezeigt: Dasein, mit aushalten, Wegbegleiterin sein.“ Diese Kompetenzen waren insbesondere in der Akutphase gefragt. Inmitten des Chaos hätten sich ihre Aufgaben ergeben, es gab keinen Plan, keine Vorbereitung. So waren anfangs immer Seelsorgerinnen oder Seelsorger aus dem Team vor Ort oder aus dem Bistum dabei, wenn Häuser abgerissen wurden, um den Bewohnerinnen und Bewohner beizustehen. „Es war gut, in einem multiprofessionellen Team zu arbeiten mit anderen Hilfswerken und Einsatzkräften“, erinnert sich Kremer-Breuer. Doch bei allem Engagement sei ihr angesichts der Fülle des Leids schmerzlich bewusst geworden, dass sie nicht überall sein kann. Und noch etwas wurde deutlich: Auch die Seelsorgenden müssen gut auf sich achten, etwa durch gezielte kurze Pausen und professionelle Begleitung, um auch weiter anderen helfen zu können.

Ein Jahr mit der Flut

Ein besonderer Wegpunkt für Manuela Kremer-Breuer nach der Akutphase: „Weihnachten. Das war ein Balanceakt zwischen einem ‚normalen‘ Weihnachtsgottesdienst und der besonderen Situation vor Ort.“ Die Situation der Flut nicht auszublenden und trotzdem die Augen der Kinder zum Leuchten zu bringen – das war die Herausforderung. Auch das Frühjahr war eine besondere Zeit für die Gemeindereferentin. „Wir haben viele Aktionen draußen und in Bewegung gemacht; Formate, die sich mittlerweile etabliert haben.“ Und so wird es auch weiterhin viele Begegnungsmöglichkeiten für unterschiedliche Zielgruppen von Seiten der Pfarreiengemeinschaft geben, um sich über die Ereignisse rund um die Flut, aber auch über die alltäglichen Lebensthemen auszutauschen.

Weitere Informationen zur Flut gibt es auf www.dasein.bistum-trier.de/handeln/hochwasser.  (jf)