Bis 7. September steht in Tholey ein Bauwagen als „Ort des Zuhörens“ für Gespräche offen:Ein Ort, sich alles von der Seele zu reden
Tholey – Wer aktuell den Schaumberg in Tholey besucht, kann ihn nicht übersehen: Direkt am Parkplatz unterhalb des Wanderwegs „Herzweg“ hat der Bauwagen seinen Standplatz gefunden. „Ort des Zuhörens“ steht auf dem farbenfrohen Banner, das an der Außenseite angebracht ist. Vor dem Wagen sitzen an einem Vormittag unter der Woche Ute Morbach und Carola Fleck in zwei bequemen Lehnstühlen, vor sich ein mit Blumenvase geschmückter Tisch. Hier kommen täglich viele Spaziergänger und Sportler, Einheimische wie Touristen, vorbei.
Da dauert es nicht lange und sie haben Gesellschaft. „Ich wollte mal fragen, was Sie hier machen“, kommt ein Mann auf sie zu. „Unsere Aufgabe ist es zuzuhören. Jedem, der kommt und der etwas erzählen möchte, egal, was es ist, hören wir zu“, sagt Pastoralreferentin Fleck und erklärt, dass es sich bei dem „Ort des Zuhörens“ um ein ökumenisches Projekt handelt, das die Pfarreiengemeinschaft Am Schaumberg, das Dekanat St. Wendel und die Evangelische Gesamtkirchengemeinde St. Wendel den Sommer über anbieten. Unterstützt werden sie von der Gemeinde Tholey. Und schon sind sie mitten im Gespräch. „Das finde ich gut, dass Sie das machen! Ich bin auch in der Kirche, aber da läuft ja zurzeit einiges schief. Die Kirche macht Fehler, der Papst macht Fehler! Es gehen immer weniger Leute in die Kirche, die Messe läuft noch genauso ab wie vor 40 Jahren“, sagt der Mann, der gerade seine Joggingrunde beendet hat. Ohne dass Fleck in den Redefluss eingreift, wird aus der allgemeinen Kritik ein persönliches Zeugnis – über Elend und Armut, die er als Helfer in Krisengebieten gesehen hat bis hin zur Beerdigung eines Kameraden. „Das hat der Pfarrer wirklich schön gemacht“, lobt er.
„Jemanden zu finden, der einfach zuhört – das ist in unserer Zeit oft nicht leicht“, nennt Fleck die Idee hinter dem Projekt, das 2019 das erste Mal stattfand. „Es handelt sich um ein niedrigschwelliges Angebot für Leute, die einfach mal etwas loswerden wollen, einsam sind und etwas rauslassen müssen“, sagt Fleck. Ganz im Sinne der Bistumssynode wollen sie eine diakonische Kirche sein: „Die Kirche bewegt sich via Bauwagen dorthin, wo die Menschen sind“, so die Pastoralreferentin. In diesem Jahr seien die Corona-Pandemie und ihre Folgen ein häufiges Gesprächsthema. „Viele Menschen haben viel zu bewältigen und haben nicht viele zum Reden. Auch Corona ist bei vielen noch nicht bewältigt, das kommt dann beim Spazierengehen abseits der Hektik des Alltags in ihnen hoch“, sagt Fleck. Da seien sie um das Gesprächsangebot am Parkplatz dankbar.
Die Gespräche sind vertraulich, der Bauwagen soll ein Ort sein, der guttut und für alles und alle offen sein. Hier kann ausgesprochen werden, was bewegt, erfreut, ärgert oder zur Frage geworden ist. Auch wer einfach von seinem Tag erzählen möchte, kann zum Bauwagen kommen. Auf Wunsch können die Gespräche auch im geschlossenen Bauwagen stattfinden. Fleck weiß von einer Frau, die 2019 im Bauwagen erstmals ihre Angst überwunden hat und den Ehrenamtlichen erzählt hat, dass sie häuslicher Gewalt ausgesetzt sei. „Wir sind nicht die Station, die professionelle Therapie anbietet“, streicht Fleck die Grenzen des Angebots hervor. Im Bauwagen liegen daher auch Flyer von Hilfsorganisationen bereit. „Die Hoffnung ist, dass Betroffene sich trauen, Hilfe zu suchen, wenn sie schon einmal den Mut hatten, ihr Herz auszuschütten.“
24 Ehrenamtliche und vier Hauptamtliche teilen sich die Tage über den Sommer auf. „Es ist auch ein herausforderndes Ehrenamt. Zuhören zu können ist gar nicht so einfach“, sagt Fleck. In Schulungen unter anderem mit der Leiterin der Lebensberatung des Bistums Trier in St. Wendel, Theresia Wagner, hätten die 24 Ehrenamtlichen im Alter von 30 bis 70 Jahren, darunter zwei Männer, das aktive Zuhören geübt. Das bedeutet: Das Gehörte nicht bewerten, sondern offene Formulierungen wählen, die die Leute zum Weiterreden einladen.
„Ich merke immer wieder, dass bei allen Menschen viel Redebedarf ist. Die Leute wissen, hier ist extra jemand da, der auch Zeit hat. Das finde ich ein wichtiges und gutes Angebot, das ich gerne unterstütze“, sagt Ute Morbach, die als Alltagshelferin im Theleyer Seniorenheim arbeitet. Die Motivation zu helfen, komme aus ihrem Glauben. Viele Passanten reagierten auch positiv überrascht, dass der „Ort des Zuhörens“ ein kirchliches Angebot ist. „Da macht Kirche mal etwas Vernünftiges“, bekommen die Helfer zugerufen. Sie hören aber auch Kritik an der Kirche – allen voran am Umgang mit dem Missbrauchsskandal. „Auch wir sehen die Missstände“, betonen Fleck und Morbach. Die Kritik gelte es dann auszuhalten: „Jedem tut es gut, auch mal seinem Ärger und Unmut laut Luft zu verschaffen.“
„Ach, Sie sind von der Kirche. Dann ist das hier nichts für mich. Ich bin nämlich ausgetreten“, so habe einmal ein Mann reagiert, erzählt Fleck. Er habe sich aber dennoch hingesetzt und ausführlich seine Gründe für diesen Schritt erläutert. „Am Ende hat er sich bedankt und gewünscht, dass ihm schon früher jemand ein offenes Ohr geschenkt hätte.“ Es gehe bei der „Seelsorge im Bauwagen“ nicht darum, Menschen zu missionieren, stellen Fleck und Morbach klar. Die Ehrenamtliche betont: „Unsere Mission heißt Zuhören. Und wenn die Person auf diese Weise mal wieder etwas Positives mit Kirche verbindet, dann haben wir schon viel erreicht.“
Info: Noch bis 7. September gibt es den „Ort des Zuhörens“ auf dem Herzweg-Parkplatz. Mittwochs bis sonntags, jeweils von 10 bis 12 Uhr und von 16 bis 18 Uhr findet sich dort ein Mensch, der zuhört. Das ökumenische Team unter Leitung von Gemeindereferentin Therese Thewes, Pastoralreferentin Dr. Carola Fleck und Pfarrerin Gabi Kräuter freut sich auf zahlreiche Begegnungen.
(uk)