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Abschluss von "Lebenswirklichkeiten 2023" im Saarland:„Eine Erfahrung, die nachhaltig beschäftigt“

Perspektivwechsel durch Begegnungen auf Augenhöhe: Das ermöglichte das Exposure-Programm Entscheidungsträgern aus Kirche, Politik und Wirtschaft im Saarland.
Gruppenfoto der Teilnehmenden und Gastgebenden von Lebenswirklichkeiten 2023.
Datum:
27. Nov. 2023
Von:
Ute Kirch

Saarbrücken – Das gewohnte soziale Milieu verlassen, sich fremd fühlen – und bei Besuchen in sozialen Einrichtungen einen Tag lang erfahren, wie Geflüchtete, Wohnungslose, Arbeitssuchende, Sexarbeiterinnen oder Süchtige im Saarland leben: Das war das Ziel des im Juli gestarteten Exposure-Programm „Lebenswirklichkeiten“. Zum Abschluss des gemeinsamen Programms des Diözesan-Caritasverbandes Trier, des Bistums Trier und der Exposure- und Dialogprogramme e.V. (EDP) waren am 24. November rund 60 Personen der Einladung ins Theaterschiff Maria-Helena nach Saarbrücken gefolgt.

"Programm hilft, Berührungsängste abzubauen."

Bischof Stephan Ackermann

„Mir wurde noch einmal deutlich, wie sehr Begegnungen prägen und verändern können. Dabei kommt es nicht auf die Länge oder die Häufigkeit von Begegnung an, sondern auf die Qualität“, sagte Bischof Dr. Stephan Ackermann, der selbst an dem Programm teilgenommen und einen Tag bei der Beratungsstelle ALDONA verbracht hatte. „Ich zehre von den Erfahrungen der Exposure-Programme bis heute. Es hilft, Berührungsängste abzubauen.“ Er dankte allen, „die bereit waren, ihre Lebenswirklichkeit zu öffnen und unverwechselbare Begegnungen ermöglichten“. Der Dank gelte sowohl den Menschen, die Einblicke in ihre Leben ermöglicht hätten als auch den Aktiven, die in den verschiedenen sozialen Diensten arbeiten. „Sie setzen sich ein für Menschen am Rande der Gesellschaft. Das ist ein Dienst an der Gesellschaft, den man gar nicht hoch genug einschätzen kann.“

„Lebenswirklichkeiten“ ist ein Programm für mehr gesellschaftliche Teilhabe. Es geht darum, Verantwortlichen aus Politik, Kirche und Gesellschaft Einblicke in Lebenswirklichkeiten von Menschen zu geben, mit denen diese im Alltag wenig oder gar keine Kontaktpunkte haben. Im Saarland öffneten sich sechs Organisationen und ermöglichten intensive Kontakte: die Fachberatungsstelle ALDONA e.V. - Prostitution, Menschenhandel und Gewalt, der Initiativkreis Wärmestube Saarbrücken e.V., das Bruder-Konrad-Haus des Caritasverbandes Saarbrücken e.V., die Caritaseinrichtungen in der Landesaufnahmestelle Lebach, die Erwerbslosen-Selbsthilfe Püttlingen e.V. und die Dillinger Tafel des Caritasverbandes Saar-Hochwald e.V..

38 Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft und Kirche

Landtagspräsidentin Heike Becker

38 Führungskräfte und Entscheidungsträger*innen hatten zwischen von September und November als Gäste am Exposure teilgenommen. Unter den Teilnehmenden waren zwölf Landtagsabgeordnete, darunter Landtagspräsidentin Heike Becker (SPD) und die stellvertretende Landtagspräsidentin Dagmar Heib (CDU) sowie die Saarbrücker Bundestagsabgeordnete Josephine Ortleb (SPD). Neben Bischof Ackermann nahmen auch Weihbischof Franz Josef Gebert, Generalvikar Dr. Ulrich Graf von Plettenberg und die Vorsitzende des Vorstands der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland der Bundesagentur für Arbeit Heidrun Schulz teil.

„Das Erlebte war eine sehr intensive Erfahrung, die mich nachhaltig beschäftigt. Ich glaube, sie hat mich auch wieder ein stückweit geerdet“, sagte Landtagspräsidentin Becker, die einen Tag im Bruder-Konrad-Haus mitarbeitete, in der Küche Gemüse schnippelte, bei der Essensausgabe half und beim gemeinsamen Essen mit Gästen ins Gespräch kam. Dabei habe sie viel über Lebensbiografien und Schicksalsschläge gehört. „Ich war sehr angetan von der großen Offenheit und dem Vertrauen, das mir entgegengebracht wurde. Das macht etwas mit einem“, gestand sie. Die Begegnungen hätten nicht nur einen einseitigen Mehrwert für die Exposure-Teilnehmenden: „Ich wünsche mir, dass auch die Besuchten sich besser gesehen, geachtet und gehört fühlen, wenn sie merken, die Politik vergisst sie nicht. Ihre Sorgen und Nöte werden auch ernst genommen.“ Natürlich besuche sie als Politikerin soziale Einrichtungen. Aber es mache einen Unterschied, einen ganzen Tag lang auf Augenhöhe dabei zu sein und nicht für einen kurzen Besuch mit Grußwort. Sie appellierte daher an die Verantwortlichen, „Lebenswirklichkeiten“ zu wiederholen: „Es ist so ein wertvolles Programm. Halten Sie daran fest! Es ist für uns alle eine ganz große Bereicherung.“

„Lebenswirklichkeiten“ sollen bistumsweit umgesetzt werden

Domkapitular Benedikt Welter

„Es geht weiter“, versprach der Vorsitzende des Diözesancaritasverbandes Trier, Domkapitular Benedikt Welter. Die Verantwortlichen planten eine bistumsweite Umsetzung von „Lebenswirklichkeiten“. „Es soll zum Standard werden“, kündigte Welter an. Nach den Erfahrungen 2022 in Koblenz und 2023 im Saarland wolle man das kommende Jahr zunächst dazu nutzen, das Programm auszuwerten und weiterzuentwickeln. 2025 soll es wieder Exposures geben. Weiter mit dabei ist auch EDP. „Es ist die individuelle Entscheidung, nach den gemachten Erfahrungen etwas zu ändern. Wir wollen bei den Folgeschritten helfen, denn die Alltagsrealität kann einen auffressen“, sagte Programmreferent Jörg Hilgers von AGIAMONDO/EDP e.V., der das Programm begleitet.

Podcasts geben Einblick in die Exposures

Podiumsdiskussion bei der Abschlussveranstaltung von Lebenswirklichkeiten 2023 im Saarland.

In einer Podiumsdiskussion, moderiert von SR-Journalistin Julia Lehmann, gaben Gäste und Gastgebende Einblicke in die während der Exposures gemachten Erfahrungen. „Es war eine Win-Win-Situation für beide Seiten, aber stellenweise auch anstrengend“, sagte Sabrina Burkhart, die seit 15 Jahren bei ALDONA arbeitet. Sie erhoffe sich, dass durch die Teilnahme die Politik ihren Blick auf die Frauen in der Sexarbeit richte und unterschieden werde zwischen freiwilliger Sexarbeit und Zwangsprostitution. Der Geschäftsführer der Wärmestube Hermann Schell erhofft sich von der Teilnahme ein starkes Netzwerk und Nachhaltigkeit. „Wir wünschen uns, dass der Besuch bei uns sich in der Arbeit der Gäste niederschlägt. Die Orte, die besucht wurden, sind Orte, wo Kirche hin muss. Wir wünschen uns auch, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bistums zu uns kommen.“

Einblick in die unterschiedlichen Lebenswelten gab der Journalist und Storyteller Carsten Tesch, der Gast und Gastgebende bei ALDONA, der Wärmestube und der Erwerbslosenselbsthilfe mit dem Mikrofon begleitet hat. Die daraus entstandenen Podcasts können von allen Interessierten gehört werden unter https://lebenswirklichkeiten.podigee.io/ und überall, wo es Podcasts gibt

Lebenswirklichkeiten 2023:Abschlussveranstaltung auf der Maria-Helena in Saarbrücken

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