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Bischof Jorge Herbas Balderrama über das Gesundheitssystem in Bolivien und die Hilfe der Kirche:„Es sterben Menschen, weil sie keinen Zugang zum Krankenhaus haben“

Der bolivianische Bischof Jorge Herbas Balderrama spricht im Interview über das Gesundheitssystem in Bolivien, die Hilfe der Kirche und die Bedeutung der Gesundheitspastoral.
Bischof Jorge Herbas Balderrama aus Aquile/Bolivien war zu Besuch in Völklingen. Foto: Ute Kirch
Datum:
3. Dez. 2022
Von:
Bischöfliche Pressestelle

Herr Bischof, in Deutschland gibt es eine gesetzliche Krankenversicherung, in der alle Beschäftigten versichert sind. Wie sieht es in Bolivien aus? Wie würden Sie den Zustand des staatlichen Gesundheitssystems in Bolivien beschreiben?

Bischof Herbas Balderrama: „Der bolivianische Staat versorgt zwar einen größeren Teil der Bevölkerung – etwa mit der Versicherung SUS (sistema sistema única de salud), zu der alle Zugang haben und zudem noch mit einer weiteren Versicherung speziell für Mütter, Frauen während der Schwangerschaft und Kinder. Aber das System deckt nicht alle Krankheiten und gesundheitlichen Probleme ab. Das private Versicherungssystem bietet mehr Vorteile, die Kosten dafür kann sich aber nicht jeder leisten. Das große Problem ist, dass zwar die allgemeine Versicherung alle umfasst, es auf dem Land aber keine Krankenhäuser oder medizinische Zentren gibt. Manchmal sterben Menschen, weil sie keinen Zugang zu einem Krankenhaus haben. Aber die Situation verbessert sich: Mit der Regierung von Evo Morales erhöhte sich die Zahl der Krankenhäuser, sodass sich auch die Versorgung der ländlichen Bevölkerung verbessert hat. Aber in den entlegensten Gebieten gibt es manchmal keine Transportmittel und die Kranken müssen sich auf Pferden oder Maultieren auf den Weg machen. Manchmal müssen sie sogar zu Fuß getragen werden. Es kann zwei Stunden dauern, es kann einen halben Tag dauern; es gibt Orte, von denen man den ganzen Tag laufen muss, um ein Krankenhaus zu erreichen. Nicht jeder hat Zugang zu allen gesundheitlichen Leistungen: In Bolivien muss man den Arzt bezahlen und auch alles andere wie Medikamente und Untersuchungen. Das sind sehr hohe Kosten. Menschen mit geringem Einkommen können sich das nicht leisten – viele müssen deswegen sterben. Wir als Kirche versuchen zu helfen – das gelingt aber nicht immer.“

Mit welchen Angeboten setzt sich die Katholische Kirche in Bolivien für den Gesundheitsdienst ein?

Bischof Herbas Balderrama: „In Bolivien hat die Kirche im Gesundheitswesen Einrichtungen wie Krankenhäuser, medizinische Zentren und Kliniken, die sich um die Menschen kümmern. Das Thema Gesundheit spielt auch in den kirchlichen Bildungseinrichtungen eine große Rolle. Unser besonderes Augenmerk gilt zum Beispiel den Internaten. Dort lernen die Kinder und Jugendlichen, wie man sich die Zähne putzt, wie man sich reinigt, wie man seine Kleidung wäscht und wie man aufräumt. Die Ordensfrauen, die Verantwortlichen für die Internate, achten sehr darauf, den Kindern beizubringen, auf sich selbst aufzupassen, um nicht krank zu werden; aber auch, sich um andere zu kümmern. Darüber hinaus wird in den Pfarreien über die Bedeutung der Gesundheit der Bevölkerung gesprochen. Als Kirche haben wir verschiedene Projekte für die Versorgung mit sicherem Trinkwasser. Außerdem klären Ärzte und Krankenschwestern die Menschen darüber auf, wie sie durch sauberes Wasser, ihre Hygiene und ihre Ernährung ihre Gesundheit verbessern können.

Krankenwagen Bolivien jf

In Deutschland verstehen wir unter Gesundheitsdienst in erster Linie Fürsorge bei körperlichen oder seelischen Erkrankungen. In Bolivien fassen Sie diesen Begriff weiter. Welche Rolle spielt dabei die traditionelle Medizin?

Bischof Herbas Balderrama: Bei der Gesundheitspastoral geht es nicht nur um die Heilung von Kranken, sondern auch darum, auf die kranken und alten Menschen zu achten. In diesem Sinne wird die Gesundheitspastoral mit Seelsorgern organisiert, die zu den Kranken und alten Menschen gehen. Es geht also auch darum, den Kranken die Kommunion zu bringen. Sie spielt auch eine Rolle, wenn bekannt ist, dass es kranke Menschen gibt, die die Krankensalbung benötigen oder um die Beichte bitten. Es handelt sich also um eine Pastoral, die ein wenig offener ist, nicht nur für die Heilung, sondern auch für die geistliche Betreuung der Kranken.

Wir wissen, dass wir mit allem, was uns umgibt, mit der Natur in Beziehung stehen. Wenn wir uns nicht um die natürlichen Ressourcen kümmern, wirkt sich das auf unsere Gesundheit aus. Wenn wir eine gesunde, ökologische Produktion ohne Schadstoffe, oder mit der geringsten Menge an Pestiziden oder Giften realisieren, dann können wir auch eine bessere Ernährung und damit eine bessere Gesundheit haben.

Die traditionelle Medizin ist für uns in Bolivien wichtig, denn die Armen haben kein Geld, um die chemischen Medikamente der Apotheken zu kaufen. Manchmal führt daran kein Weg vorbei, aber normalerweise heilen sie sich mit traditioneller Medizin wie verschiedenen Kräutern von Krankheiten, die nicht sehr stark sind. Auch wir als Priester und ich als Bischof kennen die Verwendung von Eukalyptus und anderen Heilkräutern zur Heilung von Symptomen. Die Kirche fördert die traditionelle Medizin, aber wenn sie beispielsweise in Alkoholismus ausartet, sind wir nicht einverstanden. Mutter Erde versorgt uns nicht nur mit Nahrung, sondern auch mit Medizin. Und dann müssen wir wissen, wie wir im Einklang mit der Natur, mit der Umwelt leben können. Denn die Umwelt kümmert sich um uns, und wenn wir uns um sie kümmern, haben wir eine bessere Lebensqualität und eine bessere Gesundheit.

Die Fragen stellte Ute Kirch. Übersetzung von Yvonne Uebel.