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Mit SoFiA in Pariser Banlieue:„Ich sehe keine Behinderung mehr, ich sehe nur noch den Menschen“

Sina Westenfelder aus Wadern absolviert einen Freiwilligendienst in einem Wohnheim für Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen in Paris.
Sina Westenfelder beim Gesellschaftsspiel mit zwei Bewohnern.
Datum:
19. Feb. 2024
Von:
Ute Kirch

Paris/Wadern – Als in ihrer ersten Woche ein Bewohner nackt im Treppenhaus herumläuft, hat Sina Westenfelder die Scheu vor ihrer neuen Aufgabe verloren. „Am Anfang war es eine große Umstellung von meinem bisherigen Leben, doch inzwischen habe ich mich eingelebt und die Arbeit macht mir großen Spaß“, sagt die 20-Jährige. In Saint-Rémy-lès-Chevreuse, einer Banlieue im Südwesten von Paris, arbeitet die junge Saarländerin aus Wadern-Buweiler seit Ende August 2023 in einem sogenannten „Foyer de vie“ (deutsch: Wohnheim des Lebens) der Organisation „L’Arche en France“ (Arche Frankreich) mit geistig und körperlich eingeschränkten Menschen im Alter von 50 bis 70 Jahren. Begleitet wird sie während des Freiwilligendienstes von den Sozialen Friedensdiensten im Ausland (SoFiA), einem Verein in Trägerschaft des Bistums Trier und des Diözesan-Caritasverbands, der seit über 30 Jahren jungen Leuten Aufenthalte inner- und außerhalb Europas ermöglicht.

Nach dem Abitur am Hochwald-Gymnasium in Wadern wollte Sina Westenfelder zunächst ins Ausland, bevor sie ins Berufsleben startet. „Mir war klar, dass ich auf jeden Fall etwas Soziales machen möchte, hatte aber noch keine praktischen Erfahrungen und wusste daher nicht, ob es etwas für mich ist.“ Das Auslandsjahr in Paris ist für sie das Eintauchen in die pure Praxis: Westenfelder hilft den Bewohnerinnen und Bewohnern beim Anziehen und Zähneputzen, beim Zimmeraufräumen und fährt sie zu Arztterminen. Daneben gehören auch putzen, kochen und das gemeinsame Einkaufen zu ihrem Alltag. Einmal in der Woche bietet sie mit dem „Salon de beauté“ einen Schönheitssalon an, und macht den Bewohnern Haare, Nägel und Make-up. „Das finden sie ganz toll. Eine Dame will immer knallpinken Lidschatten und ist anschließend so glücklich und sagt, das sei immer der beste Tag in der Woche für sie.“ Nach einem Monat entscheidet sie sich für das sogenannte „Accompagnement“, einer freiwilligen Aufgabe für die Ehrenamtlichen. Dabei hilft sie einer Frau beim Duschen. „Es war nur die ersten Male ein komisches Gefühl für mich, seitdem ist es eine ganz normale Aufgabe“, sagt die junge Frau. Inzwischen steht sie vor der Entscheidung, ob sie auch Männern beim Duschen helfen möchte. Von den Bewohnerinnen und Bewohnern bekomme sie viel Wertschätzung zurück. „Zu meinem Geburtstag bekam ich gemalte Bilder, Gebasteltes und einen Kuchen. Sie haben sich so für mich gefreut – da war ich richtig gerührt.“ Da sie sich im Foyer so wohlfühle, sei es für sie auch nicht schlimm gewesen, zum ersten Mal Weihnachten ohne ihre Familie zu feiern.

Behinderung rückt in den Hintergrund

Sina Westenfelder mit einer Bewohnerin.

Im Foyer leben sowohl Menschen, deren Angehörige sich nicht mehr um sie kümmern können, andere kommen nur tagsüber zum Arbeiten und wohnen bei ihren Familien. „Das Foyer ist eine sehr gute Einrichtung. Die Menschen sind hier unter Gleichgesinnten und fühlen sich wohl. Doch sehe ich auch etwas die Gefahr, dass sie den Kontakt zur Außenwelt verlieren“, sagt Sina Westenfelder. Sie selbst wohnt auch im Foyer und hat dort ein eigenes Zimmer mit Bad – die Küche teilt sie sich mit anderen Freiwilligen und beim gemeinsamen Kochen auch mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. „Ich habe so viele tolle Leute kennengelernt, es sind so ehrliche und liebe Menschen, wie ich sie selten in meinem Leben getroffen habe. Ich habe sie einfach gern! Wer sie nicht mag, hat kein Herz“, ist die 20-Jährige überzeugt. In Deutschland hatte sie so gut wie keinen Kontakt zu Menschen mit Einschränkungen, hier arbeitet sie auch mit Menschen mit Autismus und Schizophrenie. „Nach einem Monat sieht man die Behinderung nicht mehr, sondern sieht nur noch die Person“, so ihre Erfahrung. Mit schwierigen Situationen kann sie inzwischen souverän umgehen: „Natürlich, die Menschen hier machen auch mal Quatsch, aber ich habe gelernt, es ihnen nicht übel zu nehmen. Keiner will hier etwas Böses.“

Besser als erwartet

Abends am Eiffelturm - das gehört auch dazu.

Ihre Entscheidung, mit SoFiA das Abenteuer Ausland zu wagen, hat sie nicht bereut. Sie fühlt sich mit dem Orientierungswochenende und den Seminaren gut auf den Einsatz vorbereitet. „Es ist sogar besser als erwartet“, sagt Sina Westenfelder. Die Angst, sich nicht wohlzufühlen, sei unbegründet gewesen. „Die Arbeit macht mir großen Spaß und auch die Kollegen sind toll. Viele sind kaum älter als ich, da unternehmen wir auch mal gemeinsam etwas.“ Kontakt hat sie auch zu anderen Freiwilligendienstleistenden aus Madagaskar, Ägypten oder den Philippinen. Zu den Highlights zählen für sie eine Motorradtour durch Paris und der Besuch einer Technoparade mit 500.000 Menschen. „Nur das Autofahren in der Großstadt mache ich nicht so gerne – ich wurde schon oft angehupt und angeschrien.“

War ihr Französisch bei ihrer Ankunft im August nach eigener Einschätzung „eher mittelmäßig“, spricht sie es nun fließend. Bis zu ihrer Abreise im August will sie die Zeit auch nutzen, Frankreich besser kennenzulernen. So sind Ausflüge in die Bretagne und nach Monte-Carlo bereits fest geplant. Die Zeit mit SoFiA hat auch Auswirkungen auf ihre Berufspläne. So möchte sich Sina Westenfelder an einer Pariser Universität für ein Studium der Sozialpädagogik bewerben, Plan B ist ein duales Studium der Sozialpädagogik in München oder Psychologie in Luxemburg. „Ich würde jedem empfehlen, so ein Jahr im Ausland zu verbringen, das hier kann einen nur weiterbringen. Ich habe sehr viel über mich selbst gelernt.

Bewerbungen für einen Freiwilligendienst mit SoFiA im August 2024 sind noch bis 23. Februar möglich. Einsatzorte sind Bolivien, Brasilien, Peru, Indien, Jordanien, Rumänien, Litauen, Frankreich, Burkina Faso, Malawi, Ruanda, Uganda und Nigeria.

Kontakt unter Tel. 0651-993796301, per E-Mail: sofia@soziale-lerndienste.de oder unter www.sofia-trier.de