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Deutsche Telefonseelsorge wird 60 – TS Nahe-Hunsrück im Portrait:Im Notfall ein offenes Ohr

Sorgen und Ängste, Einsamkeit und Beziehungsprobleme: Die Ehrenamtlichen der Telefonseelsorge Nahe-Hunsrück haben ein offenes Ohr für jeden Anrufer - 24 Stunden am Tag.
Der Leiter der Telefonseelsorge Georg Krämer
Datum:
30. Juni 2016
Von:
Bischöfliche Pressestelle
Bad Kreuznach – Oft bleibt ein warmes Gefühl, wenn er nach einer Nachtschicht nach Hause geht, sagt er. Dabei ist es kein einfaches Ehrenamt, dass sich Jakob Bach (alle Namen der Ehrenamtlichen geändert) ausgesucht hat: Seit über 15 Jahren engagiert sich der 67-Jährige bei der Telefonseelsorge Nahe-Hunsrück und hat ein offenes Ohr für die Sorgen, Ängste und Bedürfnisse der Anrufer. Damit gehört er zu den rund 20 Prozent Männern, die sich ehrenamtlich bei der Telefonseelsorge in Deutschland engagieren – der weitaus größere Teil sind mit 80 Prozent Frauen. Vor 60 Jahren startete die Telefonseelsorge in Berlin durch eine private Initiative engagierter Christen – seitdem hat sich das ökumenische Beratungsangebot mit der Technik und den gesellschaftlichen Veränderungen weiterentwickelt. Zum deutschlandweiten Jubiläum lohnt ein Blick hinter die Kulissen einer Einrichtung, die oft sogar Leben retten kann. Ein offenes Ohr für ihre Gesprächspartner haben die Ehrenamtlichen der Telefonseelsorge rund um die Uhr – 24 Stunden lang. Allein 2015 gab es bei der TS Nahe-Hunsrück über 10.500 Kontakte, davon 6.345 Seelsorge- und Beratungsgespräche. Die restlichen Anrufe entsprachen entweder nicht dem Auftrag der Telefonseelsorge oder waren so genannte „Aufleger“ oder „Schweigeanrufe“. Die Altersgruppe der 40 bis 60-Jährigen ist am häufigsten vertreten, die der unter 20-Jährigen sinkt seit rund 5 Jahren rapide – wohl auch wegen der neuen Möglichkeiten durch Smartphones und Internet, vermutet Georg Krämer. Zusammen mit seiner evangelischen Kollegin Susanne Schmidt leitet der katholische Seelsorger die vom Kirchenkreis an Nahe und Glan und dem Bistum Trier getragene Einrichtung. In Bad Kreuznach engagieren sich derzeit 60 Männer und Frauen, rund 80 würden gebraucht, so Krämer. Nachwuchsprobleme sieht er aber noch nicht – den aktuellen Ausbildungskurs absolvieren neun Personen. Die 120 Stunden umfassende Ausbildung, die bis zu eineinhalb Jahre dauern kann, ist für das verantwortungsvolle Ehrenamt auch nötig, sind sich die Mitarbeitenden der TS einig. Neben der Wissensvermittlung über regionale Besonderheiten, psychologische Krankheitsbilder, Abläufe bei Notfällen und rechtliche Hintergründe stehen wöchentliche Gruppenstunden und „Trainingseinheiten“ auf dem Programm. Ein wichtiger Bestandteil sei außerdem die „Selbsterfahrung“ der Teilnehmer, erklärt Krämer: „Welche „Baustellen“ gibt es in meiner eigenen Biografie, auf welche Erfahrungen baue ich auf? Dieses Wissen ist wichtig, um frei zu sein für die Anrufer. Wir schulen die Fähigkeit, Abstand zu nehmen und trotzdem empathisch zu sein.“ Sich rasch auf das individuelle Problem des Anrufenden einzustellen – dafür brauche man ein wenig Erfahrung, weiß die 70-Jährige Ehrenamtliche Franziska Müller nach fast 20 Jahren bei der Telefonseelsorge. „Wir haben keine bestimmte Klientel – bei uns sind alle Bildungsniveaus vertreten, alle Berufsgruppen; die Themen reichen von Problemen in Beziehung und Familie, Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit über Angst und psychische Krankheiten, bis hin zu Gewalterfahrungen.“ Es gelte, auf die Bedürfnisse des Einzelnen einzugehen, ihn wertzuschätzen und ernst zu nehmen. „Viele trauen sich nicht, mit ihrem Umfeld über Ängste und Probleme zu sprechen, manchmal wollen oder können es Partner und Verwandte vielleicht auch nicht mehr hören. Oft sind wir der letzte Anker für die Anrufer“, sagt sie. Wachsende Isolation und Einsamkeit sieht auch ihre Kollegin Maria Schneider, 51, als Problem. Schneider ist zweifache Mutter und seit zehn Jahren als Ehrenamtliche bei der TS. Rund die Hälfte der Anrufenden sei alleinlebend, und rund 30 Prozent erwähnten psychische Krankheiten – eine Zahl, die wachse. „Ich habe das Gefühl, dass unsere Gesellschaft immer mehr Menschen produziert, die einsam, arm und austherapiert sind. Das ist das große Manko unserer Gesellschaft: Es gibt heute einfach viel zu wenig Leute, die sich noch die Zeit nehmen und wirklich zuhören. Für unsere Anrufer sind wir wichtig, da sie die Erfahrung machen: Da ist jemand, der meine Situation mit mir aushält.“ Gerade bei den Suizidgefährdeten gilt es für Müller, Bach und ihre Kollegen, die konkrete Gefahr abzuwenden, Ruhe in die Situation zu bringen. Jeden zweiten Tag oder vielmehr in der Nacht haben sie es mit solchen Anrufen zu tun. „Nachts scheinen sich die Probleme aufzubauen, ein großer Druck kann entsteht. Die neun Stunden Nachtschicht sind schon so etwas wie die Königsdisziplin“, sagt Bach. Der erste Schritt in den Gesprächen sei immer, eine Beziehung aufzubauen, mitzufühlen, aber sich nicht mitreißen zu lassen. Es gelte, authentisch zu bleiben. „Wir müssen klarmachen: Zum Sterben kann ich dich nicht begleiten, aber zum Leben“. Dann könne der Anrufer nach und nach zur Ruhe kommen, Druck abbauen, selbst eine Perspektive entwickeln. Nach nächtlichen ein- oder zweistündigen Gesprächen sei auch er selbst sehr erschöpft, gibt Bach zu. Trotzdem geht er mit dem warmen Gefühl nach Hause, jemandem geholfen und etwas Sinnvolles getan zu haben. „Mein Hauptmotiv für dieses Engagement ist auch mein Glaube. Die Arbeit hier ist für mich gelebte christliche Nächstenliebe. Ich habe einen großen Erfahrungsschatz gewonnen, der mir auch im eigenen Leben Stabilität gibt.“ Das sehen auch Schneider und Müller so. „Die Gespräche geben ja auch etwas zurück, beispielsweise wenn am Ende des Telefonats der Seufzer der Erleichterung des Anrufers kommt und man weiß – hier konnte ich helfen. Bei schwierigen Themen fühlt man sich auch im eigenen Leben viel weniger hilflos“, sagt Schneider. Und Bach fasst zusammen: „Wir können unsere Anrufer nicht „retten“, aber wir können sagen: Ich bin für dich da, so lange es für dich nötig ist. Und das kann heilsam sein.“ Die Telefonseelsorge Nahe-Hunsrück sucht ständig Verstärkung für ihr Team von Ehrenamtlichen. Informationen gibt es auf www.telefonseelsorge-nahe-hunsrueck.de. Die Nummer der deutschlandweiten Telefonseelsorge lautet 0800-1110111 oder 0800-1110222. Info: 1956 startete die Telefonseelsorge in Deutschland: Nach englischem Vorbild gründeten in Berlin engagierte Christen die erste ökumenische Telefonseelsorge. Seit 1997 kann durch eine Vereinbarung mit der Deutschen Telekom AG jeder die Nummer kostenfrei von jedem Ort in Deutschland wählen und seit 21 Jahren gibt es auch die Beratung im Internet. 80 Prozent der Ehrenamtlichen bei der TS gehören der evangelischen oder katholischen Kirche an, sie durchlaufen eine 120 Stunden umfassende Ausbildung, erhalten Supervisionen und regelmäßige Fortbildungen. Es gibt eine zentrale Nummer für die Anrufer, die jedoch in den meisten Netzen regional verteilt werden.