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Hannah Lillig berichtet von ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr in einer Förderschule :„Jeder Tag ist wie eine Wundertüte“

Ein Jahr komplett raus, etwas ganz anderes machen, arbeiten: Hannah Lillig berichtet von ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr in einer Förderschule.
Hannah Lillig
Datum:
1. Sept. 2020
Von:
Bischöfliche Pressestelle

Trier – „In der Förderschule ist jeder Tag und jedes Kind wie eine Wundertüte: Du weißt nicht, was dich als nächstes erwartet“, lacht Hannah Lillig. Die schlanke junge Frau mit den blonden Locken gerät ins Schwärmen, wenn sie von ihrem Freiwilligendienst an der Porta-Nigra-Schule in Trier erzählt, einer Förderschule für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung. Mit ihrem Abitur in der Tasche entschied sich Lillig, nicht wie viele ihrer Mitschüler ins Ausland zu gehen oder sofort ein Studium zu beginnen, sondern ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) zu absolvieren – begleitet von dem katholischen Träger „Soziale Lerndienste im Bistum Trier“. Und das, obwohl sie ihren Berufswunsch seit ihrer Kindheit fest vor Augen hat: Medizin studieren und Ärztin werden.

„Ich wollte ein Jahr komplett raus, etwas ganz anderes machen, arbeiten“, erklärt die 18-Jährige ihre Motivation für ein FSJ. Ihre Entscheidung für die Porta-Nigra-Schule fiel schnell: „Ich hatte schon recht viel Vorerfahrung in der Arbeit mit Kindern und wusste, dass mir das unheimlich viel Freude bereitet. Von daher war von Anfang an klar, dass es der pädagogische Bereich werden sollte. Da ich aber vor allem auch ganz neue Erfahrungen sammeln wollte und das Konzept einer Förderschule zuvor noch nicht kennengelernt hatte, entschied ich mich für die Porta-Nigra-Schule.“ Direkt nach ihrer letzten Abi-Prüfung hospitierte sie eine Woche lang an der Trierer Förderschule und war sofort begeistert: „Das pädagogische Konzept ist einfach toll und das Kollegium super nett. Ich wurde sehr herzlich aufgenommen und es sind auch richtige Freundschaften außerhalb der Arbeit entstanden.“

„Ich konnte sehr viel selbstständig machen und eigene Ideen einbringen“

Über einen langweiligen oder monotonen Arbeitsalltag konnte sich Lillig in den nächsten Monaten nicht beklagen: Sie arbeitete in einer Klasse mit sieben jüngeren Kindern, darunter Kinder mit Autismusspektrumsstörung, Entwicklungsverzögerung oder Trisomie 21. „Die Kinder waren zwischen acht und neun Jahre alt und hatten alle sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Fähigkeiten. Man muss einfach spontan schauen, was die Kinder einem anbieten oder brauchen“, berichtet Lillig. Grob strukturiert sehe der Tagesablauf so aus: „Morgens um viertel nach acht werden die Kinder mit Bussen zur Schule gebracht und um halb vier wieder abgeholt. Jeden Morgen haben wir einen Morgenkreis gemacht, bei dem ich viele eigene Ideen einbringen konnte. Dann wurde gefrühstückt und wir waren mit den Kindern auf dem Schulhof. Neben dem Erlernen von Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben haben wir viel Zeit mit Projekten verbracht. Zum Beispiel haben die Kinder das Buch ‚Elmar, der karierte Elefant‘ als Theaterstück gespielt und passend dazu viel zum Sachthema Elefanten gelernt.“ Außerdem gebe es verschiedene Therapien wie Schwimmen oder Reiten, so die 18-Jährige. „Wir haben auch Mobilitätstraining mit den Schülern gemacht – etwa, wie ich mich im Straßenverkehr bewege, Bus fahre oder einkaufen gehe.“ Auch unterstützte Kommunikation, wie zum Beispiel Gebärden, und vor allem auch das Musizieren spielen im Alltag eine große Rolle: „Es ist faszinierend, wenn Kinder, die sonst im Alltag kaum sprechen, beispielsweise ganze Texte auswendig mitsingen.“

Freude über jeden Erfolg der Kinder

Jeder Schüler, so betont Lillig, lerne in seinem eigenen Tempo und im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten – Vergleiche und Schulnoten gebe es nicht. „Man freut sich über alles, was das Kind schafft, über jeden kleinen Fortschritt. Und sei es, dass ich ein halbes Jahr lang mit einem Kind geübt habe, bis zehn zu zählen. Immer hat es die drei vergessen – und nach einem halben Jahr hat es dann geklappt und die Freude war riesig.“ Von Anfang an habe sie vieles selbst machen dürfen, ihr sei großes Vertrauen entgegen gebracht worden, erzählt Lillig. Wenn sie unsicher war oder Sorgen hatte, konnte sie sich immer an ihre Kolleginnen wenden. Gerade zu Anfang habe sie manchmal vor ungewohnten Situationen gestanden, wenn Kinder „bockig“ waren oder Wutanfälle bekamen. Mit der Zeit habe sie dann für jedes Kind individuelle, kreative Lösungen im Umgang entwickelt – jeden Tag neu. „Aber als schwieriger habe ich es empfunden, wenn es Kindern nicht gut ging und ich ihnen nicht helfen konnte, etwa, wenn ein Kind mit einer Sprachstörung mir von etwas erzählen wollte, ich es nicht verstanden habe und gemerkt habe, dass das Kind immer mehr verzweifelt. Gerade weil man in so einer kleinen Gruppe ein sehr enges Verhältnis zu den Kindern bekommt und sie einem so sehr ans Herz wachsen.“ Doch abgesehen von solchen Ausnahmen, sei es für sie überraschend gewesen, wie schnell sie die Behinderung der Kinder nicht mehr wirklich wahrgenommen habe. „Ich hatte erwartet, dass die Behinderungen insgesamt im Alltag präsenter sind. Ich habe noch nie zuvor eine Schule erlebt, an der jeder Tag von so viel Lebensfreude und Herzlichkeit geprägt ist. Das hat mich sehr berührt. “

Erfüllende Arbeit, die Selbstbewusstsein fördert

Nach einem knappen Dreivierteljahr kam dann für Lillig eine große Zäsur in ihrem FSJ: Der Corona-Shutdown betraf auch die Porta-Nigra-Schule. Von jetzt auf gleich war die Schule geschlossen, später im Notbetrieb. „Ich bin freiwillig weiterhin zur Schule gegangen, weil ich die Zeit dort sehr genossen habe. Da ich schon gut eingearbeitet war, konnten sie mich einsetzen und ältere oder gefährdete Kollegen eher mal zuhause bleiben.“ In den letzten Monaten half Lillig dabei, Materialien für die Kinder vorzubereiten, führte ein Schulblog, baute eine „Matschküche“ auf dem Schulhof und bemalte selbigen. Obwohl sie nicht mehr alle ‚ihre‘ Kinder sehen konnte, feierte sie einen kleinen Abschied mit einigen Kindern und dem Kollegium, bevor es für sie in ein Krankenpflegepraktikum im Brüderkrankenhaus ging: „Mein Herz hängt noch immer an der Medizin, aber dadurch, dass das Jahr so schön war, sind zwischendurch auch Zweifel gekommen, ob ich nicht doch Sonderpädagogik studieren soll. Aber ich möchte einfach später Medizin mit diesem Bereich verbinden – vielleicht als Kinderärztin“, sagt Lillig.

Was sie aus ihrem FSJ mitnimmt? „Ich habe mich persönlich weiterentwickelt, habe mehr Selbstbewusstsein und obwohl ich sonst ein „Planer“ bin, habe ich bemerkt, wie schön es auch sein kann, in Situationen ganz intuitiv zu handeln. Ganz oft habe ich den Standardsatz von Leuten gehört ‚ich könnte das aber nicht, an einer Förderschule arbeiten‘. Das finde ich total schade, denn die Leute wissen gar nicht, was sie verpassen. Auch wenn es sich kitschig anhört – die Kinder geben einem so viel zurück und es ist eine wahnsinnig erfüllende Arbeit.

Wenn ein Kind, das sehr scheu ist, sich nach einem halben Jahr plötzlich beim Essen auf deinen Schoß setzt – solch besondere Momente werde ich nie vergessen.“

Weitere Informationen zum Freiwilligendienst gibt es bei den Sozialen Lerndiensten, Jesuitenstraße 13, 54290 Trier oder online: https://www.soziale-lerndienste.de/  und auf      www.facebook.com/soziale.lerndienste oder unter Tel.: 0651-993796-300.

(sb)