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Seenotretter Schramm berichtet von den Einsätzen der Sea-Watch im Mittelmeer:„Libyen ist die Hölle für schwarze Menschen“

Lorenz Schramm war bei fünf Missionen der "Sea-Watch" dabei. In Saarlouis hat er über den Alltag und die Probleme bei den Rettungsaktionen berichtet.
Lorenz Schramm war bei fünf Missionen an Bord der Sea-Watch. (Foto: Hans-Georg Schneider)
Datum:
18. Nov. 2019
Von:
Bischöfliche Pressestelle

Saarlouis – „Sea-Watch 3“, der Name dieses Schiffes steht seit dem Sommer für die privat organisierte  Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Dafür sorgte die tagelange mediale Berichterstattung über das Landeverbot für dieses Schiff und die Verhaftung der damaligen Kapitänin Carola Rackete bei der Landung in Lampedusa. Aber was geschieht eigentlich auf diesen Schiffen? Wie geht Rettung von Geflüchteten im Mittelmeer? Lorenz Schramm aus Freiburg war bereits bei fünf Missionen der Sea-Watch dabei. Der 29-jährige Gesundheits- und Krankenpfleger war am 14. November auf Initiative des Willkommensnetzes, der Flüchtlingshilfe im Bistum Trier, in Saarlouis zu Gast um über den Alltag und die Probleme bei den Rettungsaktionen zu berichten. Rund 60 Interessierte waren der Einladung von Caritas und Dekanat gefolgt.

Meist dreieinhalb Wochen dauert eine Mission für die ehrenamtlichen Seenotretter bei Sea-Watch. Aus 20 Leuten besteht eine Crew, darunter auch bezahlte Seeleute, die für die Sicherheit des Schiffes notwendig sind und von den Seefahrtbehörden an Bord verlangt werden. 50 Meter lang ist das Schiff und neun Meter breit. In seinem früheren Leben diente es als Versorgungsschiff für Ölbohrplattformen. „Platz ist für 600 Gäste, dann ist das Boot wirklich mal voll“, erklärt Schramm in Anspielung auf einen fremdenfeindlichen Slogan. „Gäste“ nennt die Besatzung die aus Seenot geretteten Flüchtlinge, die an Bord auf zwei Decks Platz finden. Zur eigentlichen Rettung der Menschen aus ihren nicht seetauglichen Booten hat die Sea-Watch zwei Schnellboote an Bord. Es gibt eine „ganz gut ausgerüstete Krankenstation“, mit der man auch auf medizinische Notfälle vorbereitet ist. So habe man einmal einen Säugling gerettet, der auf einem der völlig überfüllten Gummiboote zur Welt kam. Alltäglich sind bei den Geretteten „Krätze“ wegen der „katastrophalen hygienischen Zustände“ in den „KZ-ähnlichen“ Lagern in Libyen, sagt Schramm. Dazu kommen Kopfschmerzen wegen der regelmäßigen Dehydrierung der Flüchtlinge. Zwei Ärztinnen oder Ärzte sind an Bord, dazu zwei ausgebildete Pflegepersonen, wie er selbst. In der Crew ist jeder zunächst für sein Fachgebiet zuständig, doch darüber hinaus gibt es jede Menge gemeinschaftliche Aufgaben. Die müssen vor jedem Einsatz auch gemeinsam trainiert werden. Da ist einmal das Rettungstraining. „Was können wir dafür tun, dass die Menschen in den Booten ruhig bleiben?“ „Wie bekommen wir sie in unsere Boote?“ „Wie benutzt man die Rettungsanzüge?“ „Wie löschen wir ein Feuer an Bord?“ Das sind wesentliche Trainingsaufgaben. Dazu kommen Übungen, wie man mit Bedrohungen von außen umgehen kann. Ganz vorne steht dabei der Umgang mit der libyschen Küstenwache, die die Retter oft mit Waffengewalt bedrohen.

Die Lage der Flüchtlinge in Libyen und die Rolle der Küstenwache treibt den Seenotretter Schramm besonders an. „Da passieren schlimme Dinge“, sagt er. Die Küstenwache werde von der EU trainiert, Boote zurück zu bringen. Es gebe zahlreiche Belege dafür, dass diese Leute „keine guten Rettungen durchführen.“ Zurück gebracht werden sollen die Flüchtlinge, die fast ausnahmslos schwarze Hautfarbe haben und aus Staaten südlich der Sahara stammen, nach Libyen, wo es einen starken Rassismus gegen diese Menschen gebe, kritisiert Schramm: „Man darf doch niemand an einen Ort bringen, wo systematische Verfolgung droht“. Die Flüchtlingsgefängnisse dort seien völlig überfüllt, Gefangene würden gefoltert, Flüchtlinge, die ihre Schlepper nicht bezahlen können würden gekidnappt um deren Familien noch mehr auszupressen, die Menschen müssten Hungern, es gebe trockene Makkaroni, aber keine Gelegenheit zu kochen, illustriert Schramm die Lage in Libyen. Dabei hätten die Flüchtlinge - mit dem Weg durch die Sahara - bis dorthin schon einen sehr gefährlichen Teil ihrer Flucht hinter sich. „Erste tödliche Grenze zu Europa“ nennt er die Wüste und die hier lauernden Gefahren. „Unfassbar, wie die Menschen dort ihr Leben verlieren: es gehen Autos kaputt und die Flüchtlinge sterben auf ihrem weiteren Weg zu Fuß oder sie geraten sofort in die Hände von Milizen.“ Was die Menschen, die wir retten alles erlebt haben, das reiche für viele Hollywoodfilme. „Aber die Flüchtlinge sind ja nicht weiß, also gibt es diese Filme nicht“, sagt Schramm sarkastisch.

Die Seenotretter wissen von ihren Gästen genau, welche Bedrohungen sie hinter sich haben, vom Hunger und Krieg in ihren Herkunftsländern über die Gefahren unterwegs bis zur Bedrohung auf dem offenen Meer. Das motiviert sie zum Einsatz. Der auch sehr belastend sein kann. Deshalb gibt es nach jeder Mission auch die Möglichkeit mit Fachdiensten diese Belastungen zu bearbeiten, zur Verfügung gestellt etwa von der Erzdiözese München.

Oft werde in Zweifel gezogen, dass die Flüchtlinge in Seenot gewesen seien. Schramm zeigt zu diesem Vorwurf Fotos von völlig überfüllten Booten und benennt einige der Kriterien, die für einen Seenotfall gelten. Dazu gehört etwa, dass es unwahrscheinlich erscheint, dass das Boot sein Ziel erreicht oder es nicht genug Lebensmittel und Wasser bis dahin an Bord hat. Oder, dass die Mittel fehlen, die nötig sind, die Menschen zu retten, wenn das Boot sinkt. „Damit ist jedes Flüchtlingsboot, das den libyschen Strand verlässt in Seenot“, sagt Schramm.

Um die Boote außerhalb einer 24-Meilen-Zone zu entdecken, helfen das Radar der Sea-Watch, oft ein zusätzlichen Flugzeug und vor allem der permanente Ausguck von der Brücke mit dem Fernglas. Sind die Gäste dann erst einmal an Bord, stelle sich die „spannende Frage“ wie die Stimmung unter ihnen ist. Meistens seien die Menschen „völlig platt“, müssten versorgt werden und litten an traumatischen Belastungsstörungen. Deshalb gelte es das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Doch der Aufbau von Vertrauen sei nicht so ganz leicht, weil viele bereits wüssten, dass es gar nicht so leicht werde nach Europa zu kommen. Schramm, an Bord auch zuständig „um die Stimmung zu checken“, wünscht sich bei allen „vorsichtigen Optimismus“. Große Gefahr könne an Bord entstehen, wenn sich Hoffnungslosigkeit durchsetze. „Leider sorgt die EU dafür, dass wir regelmäßig Momente haben, wo die Hoffnung stirbt“, sagt Schramm. Kritische Bemerkungen auch zu dem - zunächst gut gemeinten – Angebot bei Anlandungsverboten  - aus medizinischen Gründen - Kranke oder Kindern vom Schiff zu lassen. Dann überlegten die Menschen, was sie tun müssen, um dazu zu gehören. Ein wenig stolz ist er auf die Zeit des 17-tägigen Wartens vor der Anlandung in Lampedusa: „Da gab es nur einen kleineren Streit an Bord“. Die Crew versucht die Langeweile für die Gäste an Bord zu vertreiben, so gut es geht in dieser Enge. Es gibt Spiele und Musikinstrumente, auch erste Sprachkurse. Und sie hören den Flüchtlingen zu. Auch das stärkt die Motivation der Helferinnen und Helfer. Etwa wenn sie oft hören müssen „Libyen ist die Hölle für schwarze Menschen“.

Mehr über das Engagement von Sea-Watch im Internet: www.sea-watch.org

(red)