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Gedenkveranstaltung in Pachten anlässlich der Reichspogromnacht:„Mit der Vergangenheit wahrhaftig umgehen“

Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht in Dillingen-Pachten: junge und alte Menschen erinnern in vielen Formen...
Landtagspräsident Stephan Toscani sprach über „Erinnerung – warum und wozu?“ (Foto: Gerhard Alt)
Datum:
12. Nov. 2018
Von:
Bischöfliche Pressestelle

Dillingen-Pachten – „Die Grenze zwischen Gut und Böse ist schmal“, hat Stephan Toscani, der Präsident des saarländischen Landtags, zu bedenken gegeben. Weil die Menschen auch zum Bösen fähig seien, hat er den Zweck des Erinnerns darin gesehen, für Menschlichkeit auf einem zivilisatorisch hohen Niveau einzutreten. Toscani war Hauptredner der Gedenkveranstaltung anlässlich „80 Jahre Reichspogromnacht“ im Pfarrheim St. Maximin, Dillingen-Pachten, zu der 130 Zuhörerinnen und Zuhörer kamen.

Eingeladen hatten die Katholische Erwachsenenbildung (KEB) im Kreis Saarlouis e.V. und die Lothar-Kahn-Schule Rehlingen-Siersburg. Schulleiter Friedrich Müller erklärte, die Schule habe sich nach einem jüdischen Mitbürger benannt, der mit seiner Familie nach Amerika floh. Die Schule habe sich die Selbstverpflichtung gegeben, gegen jegliche Form von Diskriminierung und Rassismus einzutreten. In einem Schulprojekt mit dem Adolf-Bender-Zentrum (St. Wendel) entstand der Film „Wir erinnern für die Zukunft“. Angela Ginsbach, Joline Fay, Steven Neustadt und Till Balle stellten den Dokumentarfilm vor. Die 15- und 16-Jährigen hatten in der Gemeinde und im französischen Waldwisse recherchiert und Interviews gemacht. Der Film machte deutlich, wie integriert die Menschen jüdischen Glaubens einst waren. Er zeigte, dass es auch grenzüberschreitende Verbindungen bis hin zu Eheschließungen gab.

Der KEB-Vorsitzende Horst Ziegler wies darauf hin, dass die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, in der über 1400 jüdische Gotteshäuser zerstört, tausende Juden misshandelt und rund 400 getötet wurden, das Signal für die Ermordung der Juden in Europa gewesen sei. Die KEB habe sich selbst verpflichtet, auch in Zukunft daran zu erinnern, was durch Hass, Gewalt und Krieg geschehen sei.

Toscani rief dazu auf, mit der eigenen Vergangenheit wahrhaftig umzugehen. Er skizzierte den Prozess, in dem Juden ausgegrenzt, ihrer Würde beraubt, verbal und körperlich angegriffen wurden bis hin zu ihrer Ermordung. In der Reichspogromnacht habe die Bevölkerung auf die Verrohung und Brutalität von Sturmabteilung (SA) und Schutzstaffel (SS) mit Gleichgültigkeit oder unverhohlener Unterstützung reagiert. Die Reaktionen der Kirchen seien, von einzelnen Aufrechten abgesehen, insgesamt enttäuschend gewesen.

Toscani wies auf aktuelle Veränderungen in der Gesellschaft hin, erwähnte in diesem Zusammenhang, dass es in einigen Herkunftsländern von Migranten Antisemitismus gebe und der Staat Israel abgelehnt werde. „Zivilgesellschaftliche Achtsamkeit und Wachsamkeit“ seien nötig. „Nicht wegschauen! Das ist die Aufgabe der Zivilgesellschaft, des Staates und seiner Repräsentanten und Institutionen“, erklärte Toscani. Deshalb würden in den Bundesländern, auch im Saarland, Antisemitismusbeauftragte eingesetzt. Mit der Erinnerung an die Reichspogromnacht sei die Aufforderung verbunden, sich für den demokratischen Rechtsstaat einzusetzen, sagte Toscani, „weil wir nicht hinnehmen wollen, dass der Hitlergruß auf deutschen Straßen gezeigt wird und Juden in Deutschland Angst haben müssen“.    

Pastor Gerhard Jacob für die Katholische Pfarreiengemeinschaft und Pfarrer Martin Ufer für die Evangelische Kirchengemeinde beteten um Gottes Segen. Oberkantor Gerald Rosenfeld von der jüdischen Gemeinde Thionville las auf Deutsch den Psalm 130, „Aus der Tiefe rufe ich Dich, Herr…“, und sang ihn auf Hebräisch, wie er in den Synagogen gesungen wird und auch in der 1938 zerstörten Dillinger Synagoge gesungen wurde. Das Künstlerduo Oranna Kasper (Gesang) und Thomas Bernardy (Klavier) trug unter anderem Lieder des jüdischen Komponisten Friedrich Hollaender aus den 1930er Jahren vor.

Vor der Gedenkveranstaltung hatten in der Innenstadt am Denkmal auf dem Platz der ehemaligen Synagoge Stephan Toscani und Bürgermeister Franz-Josef Berg einen Kranz niedergelegt. Gertrud Schmidt verlas die Namen der 51 Bürgerinnen und Bürger aus Dillingen, die im Holocaust getötet wurden.

(red)