Studienreise des Bistumsprojekts Lokale Kirchentwicklung gibt Impulse für Pfarreien:„Nach Indien gekommen als Lernende“
Trier/Indien – Lebensfreude, Gastfreundschaft, eine tiefe Alltagsfrömmigkeit und noch viel mehr Eindrücke und Impulse haben sie aus Indien mitgebracht: Sieben Frauen und Männer aus dem Bistum Trier, die sich Ende Januar auf die Reise auf den Subkontinent gemacht hatten. Vom 30. Januar bis zum 21. Februar erhielten sie in verschiedenen Teilen des Landes Einblicke in das Leben kleiner christlicher Gemeinschaften. Ziel der Studienreise im Rahmen des Bistumsprojekts „Lokale Kirchenentwicklung: Handeln aus dem Wort Gottes – lokal – mit weltkirchlichen Impulsen“ ist es, Impulse und Ansätze für die eigenen Pfarreien zuhause zu gewinnen.
Für die Ehrenamtliche Beate Zwick aus Heimbach-Weis haben sich durch die Reise neue Perspektiven ergeben, wie sie sagt: „Die kleinen christlichen Gemeinschaften in Indien könnten auch für uns ein Zukunftsmodell sein. Das Bewusstsein der Menschen in Indien, aus dem Evangelium heraus ihren Alltag zu gestalten und darüber hinaus diakonisch unterwegs zu sein, hat mich beeindruckt. Das hat nichts mit unserem Sonntags-Christ-Sein zu tun, das ist gelebtes Taufbewusstsein.“
Warum gerade Indien als Beispielländer für eine der Lernreisen ausgewählt wurde? Hier sei schon vor Jahrzehnten auf eine Stärkung lokaler, netzwerkartiger kleiner Basisgemeinden gesetzt worden, erklären die Organisatoren Tomasz Welke, Referent bei der Diözesanstelle Weltkirche, und Franz Josef Dobelmann, Diakon und Leiter der katholischen Hochschulgemeinde Saarbrücken. In Indien sind nur etwa 2,3 Prozent der über 1,2 Milliarden Einwohner Christen. Aufgrund dieser diaspora-ähnlichen Situation beschloss die Kirche in Indien bereits in den 1980er Jahren, vermehrt auf kleine christliche Gemeinschaften zu setzen. Zudem formulierte 1990 die Föderation der Asiatischen Bischofskonferenz einen bis heute gültigen Plan für die Seelsorge, der ebenfalls auf solche Strukturen aufbaut. Seitdem ist viel passiert: Heute zählt die katholische Kirche in Indien fast 90.000 kleine christliche Gemeinschaften. Eine sogenannte „SCC“ - eine Small Christian Community - setzt sich aus 25 bis 30 „benachbarten“ Familien zusammen, die sich regelmäßig treffen. Die Menschen teilen das Wort Gottes miteinander – das „Gospel sharing“. Ein wichtiges Ziel dieser Treffen sei, dass die Menschen daraus auch ganz konkretes diakonisches Verhalten für ihr tägliches Leben ableiten – also sich in den Dienst ihrer Mitmenschen stellen.
Durch den Aufbau und die Betreuung der vielen kleinen christlichen Gemeinschaften habe die katholische Kirche in Indien den Glauben und die Kirche selbst näher zu den Menschen gebracht, erklärt Dobelmann. Durch die regelmäßigen Treffen in den SCCs wüssten die Menschen mehr voneinander und hätten gelernt, sich gegenseitig zu akzeptieren und zu helfen. So seien vielerorts Gemeinschaften entstanden, in denen Menschen in einer von Wohlwollen und Verständnis geprägten Atmosphäre sich, ihre Probleme und ihre Sorgen zur Sprache bringen könnten.
Während der Lernreise in Indien besuchten die Teilnehmenden das Pastoralzentrum für lokale Kirchenentwicklung in Nagpur. Dort beschäftigten sie sich mit der Theorie und Praxis der „SCCs“, trafen den Bischof des Ortes und besuchten in den Pfarreien kleine christliche Gemeinschaften. Fünf Tage verbrachten die Teilnehmenden zudem in Mangalore und Delhi, wo sie Gemeinden und einzelne Familien besuchten, an Diözesantreffen teilnahmen und mit Bischöfen ins Gespräch kamen, um so einen vertiefenden Einblick in das Leben und die Organisation der kleinen christlichen Gemeinschaften zu erhalten.
Viele indische Christen seien von den SCCs überzeugt und sogar begeistert. Dieser Funke sei auch übergesprungen, wie die Teilnehmenden berichten: „Die Herzlichkeit und Grundfrömmigkeit der Menschen, mit denen wir zusammen trafen, hat mich wirklich überzeugt, sagt Elisabeth Schmitz auf der Pfarreiengemeinschaft Gerolstein. Überrascht habe sie, dass die Bibel ihren festen Platz im Alltag habe und dass auch die Kinder beim Bibelteilen oder Beten fest eingebunden seien. Auch die Teilnahme Andersgläubiger stelle kein Problem dar. „Es war auffallend, dass die Bischöfe hinter dem Projekt der SCC stehen und diese unterstützen und fördern.“ Auch Beate Zwick stimmt ihrer Mitreisenden zu: „Mich hat positiv überrascht, wie schnell man mit hohen Würdenträgern ohne lange Wartezeiten oder Ankündigungen ins Gespräch kommt und wie klar sie dann auch Position beziehen.“ Interessant war für sie und ihren Ehemann Peter Zwick, der ebenfalls teilnahm, auch die Übernahme alter kultureller indischer Riten in christliche Gebräuche. „So haben wir zum Beispiel die Schuhe im Gotteshaus ausgezogen, es gab dort Räucherstäbchen und Blumengirlanden.“ Ihren Mann überzeugte vor allem die gute Gemeinschaft in den SCC trotz großer Altersunterschiede und verschiedener sozialer Schichten der Mitglieder. „Es ist eben aber auch ein anerkanntes, gut gefördertes Modell, Kirche zu sein, das durch Schulungssysteme, geistliche Begleitung und Großveranstaltungen gestützt wird. Nicht zuletzt deshalb ist es ein Erfolgsmodell“, so Beate Zwick. Ob solche Strukturen auch auf Gemeinschaften im Bistum Trier übertragbar sind? In den ersten Tagen habe sie versucht, sich vorzustellen, ihre direkten Nachbarn zu einem „Bibelteilen“ einzuladen, mit der Erkenntnis, dass ich das wohl nicht schaffen würde, die Nachbarn dafür zu gewinnen“, sagt Zwick. Doch sie sei dann erleichtert gewesen, dass auch bei den SCC der Begriff „nachbarschaftlich“ eher auf gleichgesinnte Gruppierungen, Freundes- oder Familienkreise bezogen sei.
Bereichert durch die Begegnungen in Indien haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für ihre Pfarreien Ideen und Perspektiven, Glauben vor Ort zu leben, mitgenommen. Noch bis Ende 2021 wird das Bistumsprojekt zur lokalen Kirchenentwicklung laufen. Ursprünglich stand im Laufe des Projektes im Sommer eine weitere Reise nach Bolivien an, die aber vermutlich wegen der Corona-Krise nicht stattfinden kann. Begleitet werden die Lern- und Begegnungsreisen durch Studien- und Praxistage – stets im Austausch mit anderen Projektteilnehmern und begleitet vom Bistum Trier. Dank der Unterstützung durch die Bischof Stein Stiftung sind die Bildungsreisen für die Projektteilnehmer auch finanziell möglich. „Wir kamen nach Indien als Lernende, da hier schon seit über zwanzig Jahren die SCC erfolgreich laufen“, sagt Welke. „Das Lernen und die kritische Auseinandersetzung mit Glaubensrealität in anderen Kulturen bringt wertvolle Impulse. Begegnung mit „Fremden“ kann helfen, zu sich zu finden.“
(sb)