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40 Jahre Aktion Arbeit :„Persönliche Zuwendung ist der Schlüssel“

Unter dem Motto „Zukunftsfähiger Arbeitsmarkt – Perspektiven und Potentiale“ lud die Aktion Arbeit anlässlich ihres 40-jährigen Bestehens zu einer prominent besetzten Podiumsdiskussion nach Saarbrücken ein.
Bei der Fachtagung diskutierte Stefan Weinert (links) mit Annegret Kramp-Karrenbauer, DIHK-Präsident Peter Adrian, Geschäftsführerin der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit Heidrun Schulz und Domkapitular Hans Günther Ullrich (v.l.)
Datum:
2. Nov. 2023
Von:
Anja Kernig

Saarbrücken/Trier – Es sollte sie eigentlich schon längst nicht mehr geben: Die Aktion Arbeit, 1983 durch den Trierer Bischof Hermann Josef Spital als vorübergehende Initiative gegen steigende Arbeitslosenzahlen gegründet. Ähnlich den Tafeln, deren 30. Jubiläum 2023 nicht wirklich Grund zum Feiern gab, haftet diesem 40. Geburtstag eine bittere Note an. Gleichwohl kann sich die Bilanz sehen lassen: Wurden doch in diesen vier Jahrzehnten 9,5 Millionen Euro Spendengelder in Einzelmaßnahmen, Projekte und Sozialbetriebe investiert. Allein in diesem Jahr fließen 60.000 Euro, trotz rückläufiger Spendeneinnahmen. Das Ziel damals wie heute lautet, Menschen beim Einstieg/ Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit zu helfen. „Hinzu gekommen als Aufgaben sind Bewusstseinsbildung und arbeitsmarktpolitisch einzugreifen“, betonte Bischof Stephan Ackermann. So werden etwa Fachstudien in Auftrag gegeben und finanziert.

Obwohl aktuell in Deutschland 2,6 Millionen Menschen ohne Arbeit sind, davon fast eine Million dauerhaft, verdrängen globale Krisen das Thema (Langzeit)Arbeitslosigkeit fast gänzlich. „Es geht unter im gesellschaftlichen Diskurs“, stellte Johannes Tittel, der die Initiative Aktion Arbeit leitet, fest. „Uns ist es deshalb ein Anliegen, noch mal zu zeigen, dass man besser in Arbeit investiert, als Arbeitslosigkeit zu finanzieren.“

Kurzfristig absagen musste Andrea Nahles. Die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit saß in London fest, wo ihr Flug am Vortag gestrichen worden war. Dankenswerter Weise sprang Heidrun Schulz, Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz und Saarland der Bundesagentur für Arbeit, ein, um die aktuelle Situation am Arbeitsmarkt zu charakterisieren. Probleme liegen nicht nur im demographischen Wandel begründet, betonte Schulz und lenkte die Aufmerksamkeit auf die Duale Ausbildung. Dort gelte es, den Einstieg zu erleichtern. Weitere Potenziale sieht Schulz in der Stärkung der beruflichen Weiterbildung und bei den Frauen, von denen allein im Saarland 110.000 nur in Teilzeit oder in einen Mini-Job arbeiten. Womit sie „ohne eigenständige Alterssicherung“ dastehen.

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) Peter Adrian sprach in seinem Kurzreferat den Fachkräftemangel an. Einer Umfrage zufolge stellt dieser nach der Energiekrise das zweigrößte Geschäftsrisiko dar, Branchen und Regionen übergreifend. Nach längerer Pause in diesem Jahr erstmals wieder in der Öffentlichkeit präsent, nutzte die ehemalige Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Gelegenheit, um für Anschlussmaßnahmen der § 16 SGB II-Maßnahmen zu werben. „Nach fünf Jahren haben die Betroffenen endlich wieder eine Perspektive gefunden.“ Doch ohne Unterstützung finden sie nicht zurück in den ersten Arbeitsmarkt. „Da spielen sich wirklich menschliche Dramen ab“, weiß die frühere Ministerpräsidentin. In Püttlingen führt sie mit der Erwerbslosen-Selbsthilfe einen gemeinnützigen Verein, der Langzeitarbeitslose und benachteiligte Jugendliche in einer Metall- und Holzwerkstatt qualifiziert.

Diesen Gedanken weiter spann Dr. Hans Günther Ullrich, Domkapitular und Bischöflicher Beauftragter für die Aktion Arbeit. Er argumentierte, dass sich ein unbefristeter Zuschuss für Arbeitgeber in Höhe von Zweidritteln des Mindestlohns rechnen würde. „Damit käme des Fiskus fünf bis sechs Milliarden Euro günstiger pro Jahr“ im Vergleich zur Zahlung der Leistungen an die in Arbeitslosigkeit Zurückgefallenen.

Schulische Ausbildung verbessern

DIHK-Präsident Peter Adrian spricht bei der Fachtagung der Aktion Arbeit in Saarbrücken.

In der von Stefan Weinert moderierten Podiumsdiskussion nannte Dr. Ullrich anschließend „persönlicher Zuwendung“ den „Schlüssel für einen zukunftsfähigen Arbeitsmarkt“. Wirtschaftliche Rentabilität dürfe nicht länger das Maß aller Dinge sein. Vielmehr sollte man zu dem zurückkehren, was soziale Marktwirtschaft ursprünglich meinte, nämlich Partizipation, Entfaltung der Persönlichkeit und Solidarität im Alltag. „Es geht um ein gemeinschaftliches Arbeiten von Menschen, wo jede Person in ihrer Individualität ihren Beitrag zum Ganzen leistet“, klinge das auch noch so utopisch oder gar sozialromantisch. Übersetzt in den Arbeitsalltag heißt das, neue Formen von Arbeits- und Aufgabenteilung zu finden. Warum nicht zum Beispiel einfache Tätigkeiten von solchen trennen, für die spezifisches Wissen nötig ist. Nach Meinung des Domkapitulars könnten Menschen mit einem „eingeschränkten Leistungsprofil so einen sinnvollen, wertschöpfenden Beitrag“ leisten und gleichzeitig Mitarbeiter mit einer höheren Qualifizierung entlasten.

Wobei der Wettbewerb nicht aus den Augen verloren werden dürfe, mahnte Kramp-Karrenbauer. Viele Betriebe stünden vor der riesigen Herausforderung, die der Wandel hin zu einem Arbeitnehmermarkt mit sich bringe, Stichpunkt Work-Life-Balance. Laut Adrian stellt sich der Fachkräftemangel für Unternehmen allerdings gerade so gravierend dar, dass sie sich sehr offen gegenüber neuen Ansätzen zur Mitarbeitergewinnung zeigen. Abgesehen davon müssten die Qualität der schulischen Ausbildung zwingend verbessert und Schüler bereits früh beim Thema berufliche Orientierung an die Hand genommen werden.

Wenig zuversichtlich zeigte sich Bischof Ackermann schlussendlich. Er rechne mit einer weiteren Verschärfung der Lage. „Wir werden wohl in zehn Jahren wieder ein Jubiläum feiern. Leider.“