Zum Inhalt springen

Bundesfreiwillige Selina Dahler unterstützt seit drei Monaten das Pflege-Team im Stift St. Irminen:Perspektivwechsel zur Halbzeit

Selina Dahler unterstützt das Pflege-Team im Alten- und Pflegeheim Stift St. Irminen. Seit sie das tut, hat sich ihr Blick auf die Dinge verändert.
Bundesfreiwillige Selina Dahler
Datum:
8. Juli 2020
Von:
Bischöfliche Pressestelle

Trier/Konz – Vor kurzem hat sie noch fürs Abi gepaukt, jetzt pflegt Selina Dahler (19) im Schichtdienst Seniorinnen und Senioren im Alten- und Pflegeheim Stift St. Irminen. Unterstützt wird sie dabei von den Sozialen Lerndiensten im Bistum Trier. Mit dem sechsmonatigen Bundesfreiwilligendienst bei den Vereinigten Hospitien Trier überbrückt sie sinnvoll die Zeit bis zum Studienbeginn und leistet einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft. Ihr Einstieg fiel genau in die Zeit des Corona-Shutdowns, der Ausnahmefall ist für sie Normalität. Drei Monate sind inzwischen vergangen – und Selina ist um einige Erfahrungen reicher. Eine Zwischenbilanz. 

Keine Gruppenaktivitäten, das Mittagessen wird auf den Zimmern serviert und Besuche müssen zum Schutz vor dem gefährlichen Covid-19-Virus unter strengen Hygieneauflagen erfolgen: Corona stellt das Personal und die Bewohner des Pflegeheims St. Irminen im Herzen der Trierer Innenstadt vor erhebliche Herausforderungen. „Manche Senioren reagieren sehr sensibel auf die Einsamkeit und sind traurig“, erzählt Selina. Anfangs habe sie noch „krampfhaft versucht“, gute Laune zu verbreiten. „Das klappt aber nicht immer. Man stößt an seine Grenzen und es wird einem klar, dass man nicht der Retter der Welt ist.“ Gleichsam freue sie sich jedes Mal aufs Neue, wenn sie es dann doch mal schaffe, jemanden – und sei es nur für kurze Zeit – ein wenig aufzumuntern. „Man bekommt so viele unterschiedliche Schicksale mit und setzt sich mit Themen auseinander, mit denen man vorher noch nie in Berührung gekommen ist, oder die man sogar aktiv ausgeblendet hat“, berichtet sie, und meint damit die Einsamkeit, die manche Senioren verspüren, und den Tod.  

Alltag umgekrempelt – neue Sicht auf die Dinge

Der jungen Frau aus Konz sei wichtig gewesen, vor Beginn ihres Psychologiestudiums im kommenden Herbst herauszufinden, ob sie der Herausforderung gewachsen sei, tagtäglich eng mit Menschen zu arbeiten. Seit sie das tut, hat sich ihr Leben grundlegend verändert. Dabei spielen nicht nur äußere Faktoren wie etwa der Schichtdienst, der den Biorhythmus schnell mal auf den Kopf stellt, eine Rolle. „Ich hab immer gedacht, Schule sei anstrengend“, lacht sie. Manchmal arbeitet sie zwölf Tage am Stück und hat dann vier Tage frei. Auch der Wechsel zwischen Früh- und Spätdienst sei gewöhnungsbedürftig und schlage schon mal aufs Gemüt. „Ich habe wirklich Respekt vor meinen Kolleginnen und Kollegen – den Menschen, die diesen Beruf ein ganzes Arbeitsleben lang ausüben“, betont Selina.

Inzwischen habe sie eine völlig neue Sicht darauf, was Verantwortung bedeutet. „Die eigenen Bedürfnisse sind nicht mehr so wichtig wie vorher in der Schule. Dort ist man für sich selbst verantwortlich, z.B. wenn man keine Lust hat zu lernen: Die Konsequenzen daraus betreffen nur mich. Hier ist es anders. Hier kann ich nicht sagen, ich habe keine Lust, mit einer bestimmten Bewohnerin zur Toilette zu gehen. Schlimmstenfalls versucht sie es dann allein und stürzt. Das wäre unwürdig und hätte weitreichende Konsequenzen. Das wird einem hier bewusst.“ Auch ihre Freizeit gestaltet Selina umsichtiger als zuvor. „In den ersten Wochen habe ich mich wegen Corona komplett abgeschottet“, erzählt die 19-Jährige, die vor ihrem Bundesfreiwilligendienst statt Senioren Kinder auf Ferienfreizeiten betreut hat. „Ich habe weniger Angst, mich selbst anzustecken, als das Corona-Virus in die Einrichtung einzuschleppen und unsere Bewohner zu infizieren.“ Sogenannte Corona-Partys, auf denen Jugendliche und junge Erwachsene zuhauf gegen Hygieneregeln verstoßen, sind für sie ein klares No-Go. Auch ihre Hobbies Klettern und Poetry-Slam stellt die ehemalige Chefredakteurin der AVG-Schülerzeitung zurzeit hintenan.

Wenn der Tod zum ersten Mal ins Leben tritt

Der Dank für ihre Disziplin sind die bewegenden Momente in ihrem Arbeitsalltag. Zu einer 95-jährigen Bewohnerin hatte die Abiturientin von Anfang an einen guten Draht und begleitete sie während der palliativen Behandlung durch die letzten Lebenswochen. „So seltsam das klingt: Es war schön, sie auf ihrem Weg zu begleiten, sie wissen zu lassen, dass ich für sie da bin“, sagt sie und lächelt. „Am Anfang habe ich ihr noch geholfen, Kuchen zu essen; dann haben wir nur noch geredet.“ Als der Patientin auch das Sprechen zu schwer fiel, hätten sie oft einfach nur schweigend beieinander gesessen. Im Mai verstarb die ältere Dame. Die ersten Tage nach deren Tod seien für Selina schwierig gewesen, denn für sie war es die erste Begegnung mit dem Tod in ihrer direkten Umgebung.

Für gewöhnlich seien die Freiwilligen nicht in die unmittelbare Versorgung Sterbender eingebunden. Die Möglichkeit, sich von einem Menschen zu verabschieden, zu dem man eine Beziehung aufgebaut hat, sei aber selbstverständlich gegeben, erklärt die Personalleiterin der Vereinigten Hospitien, Andrea Siemer. Neben dem engen Austausch im Team haben die Freiwilligen täglich die Gelegenheit, Situationen, die sie besonders belasten, anzusprechen. Ergänzend finden regelmäßig Reflexionsgespräche statt. Wer mit einer Psychologin sprechen möchte, finde in den Mitarbeiterinnen der angeschlossenen Gerontologischen Beratungsstelle jederzeit eine Ansprechpartnerin. „Daneben ermutigen wir die Mitarbeitenden auch, eine seelsorgerische Begleitung anzunehmen“, so Siemer. Auch das Team der Sozialen Lerndienste im Bistum Trier steht den Freiwilligen bei Fragen oder Problemen stets zur Seite. Selina hat den Verlust inzwischen verarbeitet. Nun sei sie einfach dankbar, dass sie diese intensive Zeit mit der älteren Dame verbringen durfte.

Pudding im Gulasch

Oft gehe es auch sehr heiter zu in dem Pflegeheim und auch an kuriosen Situationen mangele es nicht. Als sie zum ersten Mal eine Kaffeekanne in der Kloschlüssel vorgefunden habe, sei sie schon verwundert gewesen, erzählt Selina. Das müsse man dann einfach mit Humor nehmen. Die Bewohner leiden mitunter an Demenz, können also etwa nicht mehr selbst beurteilen, ob der Pudding nun auf den Löffel oder ins Gulasch gehöre. „Da muss man schon dahinter sein“, erzählt Selina. Der körperliche Kontakt in der Assistenz beim Waschen oder „Zähne anziehen“ sei für sie schnell ganz selbstverständlich geworden, obwohl sie keinerlei Pflege-Erfahrung vorzuweisen hatte. „Man denkt gar nicht mehr darüber nach, wenn man es erst mal macht. Da sind Leute und die brauchen Hilfe. Punkt“, sagt sie über ihren Job, der ein Höchstmaß an Geduld erfordere und bei dem man persönliche Befindlichkeiten auch mal zurückstellen müsse.

Was sich in der Pflege ändern muss

Zur aktuellen Debatte um eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen für Pflegepersonal, die durch den Ausbruch des Corona-Virus an Fahrt aufgenommen hat, hat sie daher eine klare Meinung: „Sie kommt zu spät! Die Debatte ist wichtig und muss geführt werden. Doch ich frage mich, was nach der Corona-Zeit davon hängen bleibt. Werden dann einfach Prämien gezahlt und das war’s dann? Natürlich freuen sich die Kollegen über einen Bonus, aber das reicht nicht.“ Das Pflege-Team in St. Irminen, das aus 74 Mitarbeitenden besteht, sei sehr gut aufgestellt, so Selinas Eindruck, es müsse aber generell über die Arbeitsbedingungen in der Pflege gesprochen werden. „Ich würde mir von Gesellschaft und Politik wünschen, dass man die deutschlandweite Respekt-Debatte weniger mit Applaus auf dem Balkon führen würde, und stattdessen Tatsachen sprechen ließe“, womit sie einen höheren Personalschlüssel und die Aufstockung finanzieller Mittel meint. „Eine Entlastung des Personals würde ja vor allem auch den Bewohnern zugutekommen.“

Denn am Schönsten sei es, Zeit für einzelne Bewohner zu haben. Einige der zurzeit 168 Bewohnerinnen und Bewohner sind ihr jetzt schon sehr ans Herz gewachsen, gesteht Selina. „Manche hab ich echt lieb und ich werde sie sicherlich vermissen, wenn mein Dienst hier beendet ist.“

Weitere Informationen zum Bundesfreiwilligendienst gibt es auf www.soziale-lerndienste.de. Weitere Informationen zum Alten- und Pflegeheim Stift St. Irminen und den Vereinigten Hospitien gibt es hier: www.vereinigtehospitien.de  

(ih)