Forschungsprojekt untersucht Psychiatrieseelsorge – Theologin aus Saarbrücken berichtet:Seelsorge im Spannungsfeld zwischen Patient und Arzt
Saarbrücken – Psychosen, Depressionen, Angststörungen oder Burnout – die Krankheiten ihrer Ratsuchenden sind schwerwiegend und der Leidensweg oft bereits ein sehr langer, bis sie in die SHG-Kliniken Sonnenberg in Saarbrücken – spezialisiert auf Psychiatrie, Neurologie und Geriatrie – gelangen. „Diese Krankheiten können jeden treffen, unabhängig von Alter und sozialem Status“, betont die Psychiatrieseelsorgerin Marion Latz und wehrt sich gegen eine Stigmatisierung: „Das sind Menschen wie Du und ich und nicht ,die anderen‘.“ Seit neun Jahren führt der Weg der Pastoralreferentin und ausgebildeten Gestaltberaterin auf den Sonnenberg. Insgesamt vier Psychiatrieseelsorgerinnen und Psychiatrieseelsorger – drei katholische und ein evangelischer – arbeiten dort. Mit Beziehungsproblemen, Sorgen um die Kinder, Zukunftsängsten und oft auch wegen finanzieller Nöte kommen die Patienten im Alter zwischen 17 und 65 Jahren zu ihr und wissen, dass alles vertraulich behandelt wird.
„Seelsorge in der Psychiatrie stellt ein anspruchsvolles, theologisch wie gesellschaftlich unverzichtbares Engagement der Kirche dar. Erkrankte Menschen zu begleiten, gehört seit jeher zu den Kernaufgaben der Kirche und wird im Evangelium ausdrücklich genannt und gefordert“, betont Esther Braun-Kinnen, zuständig für das Aufgabenfeld der Krankenhausseelsorge im Bischöflichen Generalvikariat Trier. Rund 20 Seelsorgerinnen und Seelsorger im Bistum Trier sind aktuell in psychiatrischen Kliniken oder mit Teilaufträgen in der Seelsorge in psychiatrischen Abteilungen von Krankenhäusern eingesetzt.
Um die Frauen und Männer in ihrem Aufgabengebiet weiter zu stärken, führt die Goethe-Universität Frankfurt gemeinsam mit den Bistümern Limburg und Trier ein Praxisforschungsprojekt zum Thema „Ethik in der Psychiatrieseelsorge“ durch. „Wir wollen unsere Seelsorgerinnen und Seelsorger als ethische Berater ins Gespräch bringen“, erklärt Esther Braun-Kinnen. Sie weiß, dass die Frauen und Männer oft zwischen Patient und behandelndem Arzt stehen. „Sie kommen nicht umhin, zu ethischen Problembereichen in der Psychiatrie Stellung zu beziehen und sich für das Selbstbestimmungsrecht der Erkrankten einzusetzen“, berichtet sie.
Dieses Spannungsfeld erlebt auch Marion Latz, etwa wenn es um die Frage der Fixierung von Patienten geht oder um die Gabe von schweren Beruhigungsmitteln. „Das ist zum Teil sehr heftig und als Seelsorger schwer mit anzusehen“, sagt Latz. Gleichwohl weiß sie, dass eine Therapie oft erst möglich ist, wenn der Patient zur Ruhe gekommen und eine gewisse Stabilität erlangt hat. „Teilweise fühlen wir uns im Klinikalltag außen vor, dabei wären wir gerne Teil eines multiprofessionellen Teams und würden gerne unsere Perspektive einbringen“, sagt sie. Etwa bei Übergabekonferenzen, wo über den Zustand der einzelnen Patienten gesprochen werde. Dies sei bei kirchlichen Klinikträgern der Fall. Hier verbucht es Latz als Erfolg, dass sie im Dezember zum ersten Mal an einer solchen Teambesprechung teilnehmen durfte. „Es gilt von beiden Seiten – den Seelsorgenden und dem medizinischen Personal – Vorurteile abzubauen“, sagt Latz. Sie versteht ihre Arbeit als Ergänzung zu den anderen Gesprächs- und Therapieangeboten der Kliniken. In Gesprächsrunden bietet die Pastoralreferentin Entspannungstechniken, Achtsamkeitstraining und Meditationen an. Gerne geht sie mit der Gruppe dafür auch in den nahegelegenen Wald. Als Impulse bringt sie Texte mit, gerne auch biblische Psalme: „In ihnen findet sich von A bis Z – von Achtsamkeit bis Zorn – alles, auch Freude, Trauer und Hoffnung“, sagt Latz.
Die Pastoralreferentin und ihre Kollegin und Kollegen sind auch Ansprechpartner für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Angehörige der Patienten. Daraus ist vor rund zwei Jahren ein Gesprächskreis für Eltern psychisch kranker Kinder entstanden, den Marion Latz einmal im Monat anbietet. „Die Eltern sind geplagt von Schuldgefühlen und Ohnmacht“, sagt Latz. Mit einem Aufenthalt in der Psychiatrie sei die Krankheit nicht besiegt. „Manche kommen bereits eine Woche nach der Entlassung wieder zurück – da frage ich mich schon, warum diese Person entlassen wurde – zurück in das gleiche Chaos, aus dem sie kam“, sagt Latz. „Ich würde gerne so vieles mehr tun und erlebe hier auch meine eigene Ohnmacht, die ich aushalten muss. Ich frage mich: Wo ist das Rädchen, an dem ich mithelfen kann zu drehen, um den Betroffenen eine neue Lebensperspektive zu geben.“
Vom Frankfurter Praxisforschungsprojekt erhofft sich die Theologin neue Impulse. Ziel des auf drei Jahren angelegten Projektes ist es, bedarfsgerechte Fort- und Weiterbildungsmodule zu entwickeln. „Ein solches Projekt und Qualifikationsvorhaben ist im deutschsprachigen Raum bislang einmalig“, sag Esther Braun-Kinnen. Die Ergebnisse sollen im Juni 2023 vorliegen. „Von diesen können dann Angestellte in anderen Seelsorgebereichen wie in Krankenhäusern, Altenheimen, Behinderteneinrichtungen, aber auch in den Gemeinden, profitieren“, davon geht sie aus.
Weitere Informationen gibt es bei Esther Braun-Kinnen unter Tel. (0651) 7105388 oder per Mail an esther.braun-kinnen(at)bistum-trier.de
(uk)