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Erinnerungsgang durch Saarbrücken:Steine schleppen wider das Vergessen

Im Saarbrücker Schloss gibt es ein neues Mahnmal für die saarländischen Opfer des Holocaust. Entstanden ist es durch eine Aktion der Jugendkirche eli.ja.
Rund 80 Menschen trugen die Steine mit den Namen der Opfer von der Jugendkirche zum Schloss.
Datum:
2. Apr. 2024
Von:
Anja Kernig
Erinnerungsgang durch Saarbrücken.

Saarbrücken – In Beuteln und Rucksäcken, im Kinderwagen oder auf dem Fahrrad, im Einkaufskorb oder Eimer, in der Jackentasche oder einfach in der Hand: So wurden am Karsamstag 2015 Steine quer durch Saarbrücken getragen. Wobei es geschleppt besser ausdrückt. Immerhin handelte es sich um rund eine Tonne Gewicht, die sich auf 80 kleine und große Menschen verteilte, was rein rechnerisch 12,5 Kilo pro Person bedeutete.

Wofür dieser Aufwand? „Wir möchten damit an die saarländischen Opfer des Holocaust erinnern“, erklärte Jugendpfarrer Thomas Hufschmidt. „Jeder, der mitgeht, setzt ein Zeichen. Nie wieder ist Jetzt!“ Bei dem vom Bündnis „Bunt statt Braun“ unterstützten Erinnerungsgang handelte es sich um die Fortführung einer Aktion vom Jahresbeginn. Schüler hatten die Geburts- und Sterbedaten und -orte ermordeter jüdischer Saarländer recherchiert und damit am 27. Januar die Steine beschriftet. An dem Tag, an dem 1945 das Vernichtungslager Auschwitz befreit wurde und an dem jährlich der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird. „Das waren alles Menschen, die unter uns gelebt haben. Wir wollen, dass das nicht vergessen wird“, betonte Hufschmidt in seiner kleinen Ansprache. „Es ist wichtig, sich zu erinnern“, gerade wenn die Stimmung kippt wie gerade und „es manche nicht wahrhaben wollen“.

Bisher unbekannte Schicksale entdeckt

Seit dem 27. Januar lagen die beschrifteten Steine in der Jugendkirche.

Ein Historiker hatte die jungen Geschichtsforscher bei ihrer Recherche unterstützt. Dank der Möglichkeiten moderner elektronischer Datenverarbeitung konnten einige bisher nicht bekannte Schicksale entdeckt werden. Besonders nah ging es den Jugendlichen, wenn es sich um ihre vertrauten Wohnorte handelte: „Als sie feststellen, der Mann kommt aus Sulzbach oder die Frau aus Dudweiler, also dort, wo ich lebe, lebten sie auch“, war das ein großer Aha-Moment für viele, berichtete Patrick Wilhelmy von der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft des Saarlandes (CJAS) von bewegenden Momenten.

Am Samstagvormittag traf man sich nun, um die Steine an einen angemessenen, dauerhaften Ort in der Öffentlichkeit zu überführen. Treffpunkt war die Kirche der Jugend eli.ja in der Hellwigstraße, wo die Steine auf dem Boden unterhalb des an die Wand projizierten Bildnisses des Widerstandskämpfers Willi Graf in Sternform ausgelegt waren. Es dauert einige Zeit, bis die Teilnehmer alle Gedenksteine verstaut hatten. Die meisten wanderten in schwarze eli.ja-Stoffbeutel, die sich auf dem Marsch hinunter an den Staden, zum Staatstheater und rüber auf die andere Saarseite als sehr robust und strapazierfähig erwiesen. Angeführt wurde der Tross von Transparentträgerinnen. „Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung“, dieses Zitat Grafs, der zur Widerstandsgruppe Weiße Rose gehört hatte, leuchtete in großen Lettern auf der pinkfarbenen Fläche zwischen ihnen. Begleitet und gesichert wurde der Erinnerungsgang durch die Einsatzkräfte der Polizei.

Steine bilden nun dauerhaftes Mahnmal

Ein neues Mahnmal erinnert im Saarbrücker Schloss an die ermordeten saarländischen Jüdinnen und Juden.

Am Saarbrücker Schloss fand der Marsch dann sein Ende. In der ersten Etage wurde ein vorbereitetes Metallgitter-Gestell in Form eines Davidsterns gefüllt. Mit Würde, frei von Hektik, platzierten junge Gemeindemitglieder Stein für Stein, die Lebensdaten sichtbar noch oben gedreht, darunter einer für Hugo Herrmann, geboren am 14. März 1889 in St. Wendel, gestorben am 22. Oktober 1941 in Lodz oder Ruth Michel, die aus Illingen stammte und noch vor ihrem 34. Geburtstag in Auschwitz ermordet wurde. „Unsere Steine sind nun ein dauerhaftes Mahnmal“, freute sich Hufschmidt und dankte dem Regionalverband für diesen „ästhetisch sehr passenden“, zentralen Ort. Hier sollen die Steine mit dafür sorgen, „dass so etwas wie damals nie wieder passiert“.

Unter die Aktiven hatte sich auch Familie Gimmler gemischt. „Das ist eine sehr schöne, wichtige Aktion“, meinte Esther Gimmler. An ihrer Seite gingen Frieda (14), Veronica (11) und Pflegesohn Emil. Der Neunjährige leidet unter einer leichten Behinderung. „Auch deshalb war uns wichtig, mitzulaufen“, betonte die Mutter. „Damit so eine Zeit wie unter den Nationalsozialisten nicht wieder kommt. Damals wäre er auch unter den Opfern gewesen.“ „Erinnern ist wichtig“, findet Guido Vogel-Latz, und dass man „Worten Taten folgen lässt, statt nur zu postulieren“. Die Initiative der Jugendkirche sei ein gutes Beispiel für einen „machbaren, leistbaren“ Beitrag jedes Einzelnen. „Das ist zu wuppen.“ Auch, wenn es zwischendurch ganz schön anstrengend war.