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Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Fokus des IPA-„Kamingesprächs“:Unabhängigkeit, Partizipation und Transparenz

Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt stand im Fokus des IPA-„Kamingesprächs", an dem auch Bischof Ackermann teilnahm.
Datum:
12. März 2021
Von:
Bischöfliche Pressestelle

Lantershofen – Unabhängigkeit, Partizipation der Betroffenen und Transparenz – diese drei Punkte bilden den Kern der Gemeinsamen Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig. Das Dokument hat auch im Zentrum des digitalen „Kamingesprächs“ des Instituts für Prävention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt (IPA) mit Sitz in Lantershofen gestanden. Der Frage „Wie kann institutionelle Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch gelingen?“ widmeten sich am 10. März der Trierer Bischof und Beauftragte der DBK für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs im kirchlichen Bereich und für Fragen des Kinder- und Jugendschutzes, Dr. Stephan Ackermann, Prof.in Dr. Sabine Andresen als Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs und der österreichische Theologe, Prof. Dr. Wolfgang Treitler. Er gab als Betroffener einen persönlichen Einblick in die kirchliche Aufarbeitung.

„Durch den Missbrauch werden soziale Kontakte massiv gestört, man wird isoliert“, lautet die Erfahrung von Treitler. Als Betroffener erhofft sich der Professor für Fundamentaltheologie und theologische Grundlagenforschung (Wien), dass sexualisierte Gewalt in der Gesellschaft thematisiert wird. „Damals fand man niemanden, der einem Gehör schenkte – das ist heute anders“, nannte er einen Fortschritt durch den Aufarbeitungsprozess. „Aufarbeitung schafft eine gesellschaftliche Anerkennung des Themas in seiner kriminellen Form und eine Vernetzung, die nicht gefährdet.“ Sabine Andresen unterstrich dieses Empfinden: „Ein zentraler Sinn der Aufarbeitung ist für Betroffene, nicht alleine zu bleiben, daher sind Dialog und Austausch wichtig.“

Dabei stellt sich die Frage, ob die Kirche die Aufarbeitung ihrer eigenen Fälle überhaupt allein leisten kann. „Bei dieser Aufgabe brauchen wir Hilfe. Daher haben wir als DBK den Kontakt zum Unabhängigen Beauftragten gesucht“, erläuterte Ackermann. Deshalb wurde die „Gemeinsame Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland“ erarbeitet. Das Ziel sei die Aufklärung der systemischen sexualisierten Gewalt, betonte Ackermann. Darin eingeflossen seien auch die Kriterien der Unabhängigen Kommission, erinnerte Andresen. Diese orientierten sich an den Rechten der Betroffenen und den Pflichten für Verantwortliche in den Institutionen. Diese Aufgabe liegt nun bei den (teilweise noch zu gründenden) unabhängigen Aufarbeitungs-Kommissionen in den (Erz-)Bistümern. Täterstrategien sollen demnach von ihnen benannt und die Frage „Was hat dazu geführt, dass Fälle versteckt, vertuscht und Kindern nicht geglaubt wurde?“ bearbeitet werden, so Andresen. „Ich bin überzeugt von der gemeinsamen Erklärung“, betonte Ackermann und griff damit eine Forderung von Johannes-Wilhelm Rörig auf, der als Gesprächsteilnehmer dafür warb, dieses Dokument noch bekannter zu machen.

Zwar gibt laut der Erklärung der jeweilige Bischof den Anstoß zur Gründung einer Kommission in seinem Bistum, doch anschließend soll  er die Aufklärung in die Hände der Kommissionsmitglieder geben. Sie seien frei in der Gestaltung ihrer Arbeit, und seien auch für die Veröffentlichung der Ergebnisse zuständig, betonte Ackermann. In diesem Zusammenhang nannte er den Austausch der Kommissionen untereinander, die Standards zur Dokumentation und die Pflicht zur Berichtslegung als wichtige Kriterien. Mehr denn je sei er von der Notwendigkeit überzeugt, dass sich die Kommissionen multiprofessionell zusammensetzen müssen– was ein durchaus aufwendiges Findungsverfahren voraussetze.

Andresen stellte eine große Heterogenität der (Erz-)Bistümer fest; daher sei „kein Gleichschritt in den deutschen Diözesen“ möglich. „Aufarbeitung braucht gute Strukturen“, betonte sie. Diese könnten dann eine Art Leitplanke sein für einen verantwortungsvollen Prozess. Für das Bistum Trier gab Bischof Ackermann einen Einblick: „Alle Expertinnen und Experten für die Kommission sind benannt, darunter sind Juristen, Historiker und Psychologen.“ Im nächsten Schritt solle der Betroffenenbeirat, für den aktuell die Auswahlgespräche liefen, Mitglieder für die Aufarbeitungskommission benennen.

Derzeit könne es noch keine feste Definition geben, was Aufarbeitung genau bedeute, resümierte Andresen am Ende der digitalen Veranstaltung mit rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die von Birgit Wilke, Hauptstadtkorrespondentin der Katholischen Nachrichten Agentur (KNA), moderiert wurde. Aufarbeitung sei nicht nur Vergangenheitsbewältigung, sondern auch eine aus der Gegenwart kommende Hinwendung zu erlittenem Unrecht. Aus diesem Grund sei es auch bei allen Schritten überaus wichtig, alles dafür zu tun, dass „mit der Aufarbeitung nicht etwas in Gang gesetzt wird, das Betroffenen zum Schaden gereicht“.

Die Initiative zu der Einrichtung des IPA ging von 2019 von Bischof Ackermann aus. Das Institut will Partner für kirchliche wie nicht-kirchliche Institutionen und Gruppen sein, Erkenntnisse im Bereich von Aufarbeitung und Prävention systematisieren und Multiplikatoren vernetzen und in Austausch bringen.

Mit der Gründung eines Trägervereins und der finanziellen Unabhängigkeit, die durch eine Familienstiftung gewährleistet ist, will die Leiterin Mary Hallay-Witte das IPA weiterentwickeln und ausbauen. Projektbegleitung, etwa beim Erstellen von institutionellen Schutzkonzepten oder die Identifizierung von Forschungsfragen stehen ganz oben auf ihrer Agenda. Weitere Informationen zur Arbeit des IPA gibt es auf www.ipa-kirche.de und unter Tel.: 02641-9175510.

(jf)