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Diskussion mit Kardinal Marx und Wirtschaftsexperte Hüther:Was macht Arbeit lebenswert?

Wirtschaftexperte Hüther und Kardinal Marx diskutierten im Trierer Priesterseminar über das Thema "lebenswerte Arbeit".
Kardinal Marx, Moderator Otterbach und Wirtschaftexperte Hüther (vlnr)
Datum:
15. Apr. 2018
Von:
Bischöfliche Pressestelle

Trier – Globalisierung, Macht des Geldes, Profitgier, Donald Trump, Chinas Wirtschaft, Entwicklungen in Europa, Lage in Afrika: Wer das Thema „lebenswerte Arbeit“ vertieft, betritt zwangsläufig die große weltpolitische Bühne. Das war während der Heilig-Rock-Tage am 14. April in der vollbesetzten Promotionsaula des Bischöflichen Priesterseminars Trier nicht anders. Auf dem Podium wandelten Kardinal Dr. Reinhard Marx und Professor Dr. Michael Hüther auf dem Themenfeld „zwischen Geld und Glück“ und gingen der Frage auf den Grund: „Was macht Arbeit lebenswert?“

Der Ort - eine gute Wahl: Schließlich hatten in der Promotionsaula zwei Trierer „Gewächse“ – Oswald von Nell-Breuning, Nestor der katholischen Soziallehre, und der Philosoph Karl Marx – ihre Abiturzeugnisse erhalten. Das Podium - hochkarätig besetzt: Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising und früherer Bischof von Trier, beschäftigt sich zeitlebens mit dem Thema Arbeit und katholische Soziallehre; Professor Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln und gehörte zum Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den „Fünf Weisen“.

"Unser Fortschritt ist auch auf Kosten anderer erfolgt"

Zumindest auf Deutschland bezogen und im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung zeichnete Hüther nicht einmal ein schlechtes Bild der heutigen Arbeitswelt. Mussten Menschen im 19. Jahrhundert 20 Prozent ihrer Lebenszeit investieren, um die Existenzsicherung zu erreichen, betrage der Anteil heute acht Prozent. „Die Digitalisierung läuft auf Hochtouren, und trotzdem verzeichnen wir einen Anstieg der Beschäftigten. Wir haben so viele Menschen in Arbeit wie noch nie. Und davon waren wir einmal weit entfernt“, sagte der Wirtschaftsexperte. Auch Marx hält nichts davon, „Industriegeschichte nur als schwarze Geschichte zu erzählen“. Seit 1850 gebe es immer Wachstum. „Doch mit Dellen. Man muss genauer hinschauen. Denn es ist auch eine Zeit, in der es Inflation, Kriege, Teilung der Gesellschaft, Entwicklung der Ungleichheit gab.“ Marx: „Unser Fortschritt ist auch auf Kosten anderer erfolgt.“ Er sehe die sozialen, politischen und ökologischen Folgen eines ungebremsten Kapitalismus.

„Wir arbeiten also weniger als unsere Großmütter. Aber glücklicher macht uns das nicht: Stress, ständige Erreichbarkeit; die Arbeit frisst sich ins Privatleben ein. Arbeit und Ruhe sind aus dem Takt geraten“, hakte Moderator Christian Otterbach vom Saarländischen Rundfunk nach. Hüther antwortete mit einem Zitat von „zunehmender Penetranz der negativen Reste“. Wichtig sei, dass der Einzelne seine Chancen zum individuellen Glück tatsächlich ergreift, dass er die Dinge in die Hand nimmt. Natürlich könne das auch zur Überforderung für den Einzelnen werden und zur Suche nach angemessenen Ordnungen. „Ehrlich gesagt: Die Frage nach dem Glück stellt der Ökonom eher selten.“

Lebenswerte Arbeit hat nicht nur etwas mit Selbstverwirklichung zu tun, sondern auch mit gerechtem Lohn. Auch dies wurde im Gespräch deutlich. „Wir haben wenig Debatten über Löhne zum Beispiel in der Industrie“, sagte Hüther. Es klemme aber in den Bereichen, „die öffentlich reguliert und gestaltet werden“. Er nennt das „Dienstleistung um den Einzelnen“, etwa in der Pflege, in der Erziehung, in der Bildung. Laut Marx ist Arbeit, die keine Profite bringt, offensichtlich nichts wert und wird beiseitegeschoben. „Wie können wir Arbeit neu bewerten?“ Er ging in dem Zusammenhang auf das Thema „Ware“ und „Preise“ ein. „Alles hat seinen Preis, da sagen wir nein. Es kann nicht sein, dass der Reiche sich einen guten Lehrer kaufen kann, der Arme nicht. Es kann nicht sein, dass die gute Pflege im Altenheim vom Geldbeutel abhängig ist. Deshalb stellt sich die Frage: Wie ordnen wir soziale Marktwirtschaft?“

Statt marktkonformer Demokratie braucht es demokratiekonforme Wirtschaft

Für Marx gehören der Sozialstaat und die Marktwirtschaft zusammen. Er erinnerte an die Menschen, die trotz hoher Beschäftigungsquote keine Chancen auf Arbeit haben, die einfach rausfallen aus dem System. „Niemand, der in der Gesellschaft lebt, wird aus dem Boot herausgeworfen. Wir lassen niemanden in die Armut absinken: Das ist die katholische Soziallehre. Das wollen wir!“, sagte er bildhaft und bewusst mehrdeutig. Laut Marx können dank des Fortschritts heute viele Leute viel besser leben als früher. „Doch muss man sich fragen: Ist das für alle so?“ Aus Sicht des Wirtschaftsexperten Hüther ist die Welt besser geworden, die Anzahl der Armen ist weniger geworden. Die Ökonomie könne allerdings nicht gegen politische Machtverhältnisse in den Ländern ankommen. Für ihn ist soziale Marktwirtschaft ohne Demokratie nicht denkbar. Man brauche keine marktkonforme Demokratie, sondern eine demokratiekonforme Wirtschaft. „Warum geht das Kapital nicht dorthin, wo es am nötigsten gebraucht wird, warum gibt es keinen Kapitalfluss in die so genannte Dritte Welt? Ganz einfach, weil man verlässliche Institutionen braucht.“

Und da ist Reinhard Marx nicht optimistisch. Menschen hätten das Vertrauen verloren. Trumps Wahl zum Beispiel sei das Ergebnis von Menschen, die sich überflüssig, übersehen, abgehängt fühlten. Er sehe die politischen Folgen eines freien Kapitalismus und wünscht sich angesichts des globalen Kapitalismus eine transnational aufgestellte Ordnungspolitik. „Egal, wo man hinschaut: Die Demokratie ist eher auf dem Rückmarsch. Ich mache mir große Sorgen. Im politischen Raum gibt es eine neue Nationalisierung und Engführung, eine Rückwärtsbewegung zu nationalen Interessen. Eine Spaltung der Gesellschaft.“

Der Blick in die Zukunft? Professor Hüther sieht zunehmende Chancen in einer sich verändernden Arbeitswelt. Kardinal Marx wünscht sich eine Wirtschaft, die sich an den Menschen und seinen Bedürfnissen orientiert und dass es für alle Menschen, nicht nur Deutsche, langfristig bessere Chancen gibt.

Das Podiumsgespräch war Teil der Veranstaltungen des Bistumsprojekts "LebenwertArbeit" zum Karl-Marx-Jahr und ist als Video unter https://de-de.facebook.com/bistumtrier abrufbar.