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Pater Dr. Hengsbach SJ zu Gast im Katholischen Forum Koblenz:Widerstand gegen die Beschleunigung

Sich einige Minuten am Tag Zeit nehmen, um gar nichts zu tun: Der Jesuit Friedhelm Hengsbach plädiert im Katholischen Forum Koblenz für einen entschleunigten Umgang mit der Zeit.
Prof.em. Dr. Friedhelm Hengsbach beim Katholischen Forum Koblenz
Datum:
7. Dez. 2016
Von:
Bischöfliche Pressestelle
Koblenz – „Ich habe keine Zeit“ – die Klage über Zeitmangel ist heutzutage allgegenwärtig. Die Zeit allerdings ist die gleiche wie für Menschen früherer Generationen. Der Jesuit P. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ hat am 5. Dezember im Rahmen der Vortragsreihe Katholisches Forum im bischöflichen Cusanus-Gymnasium in Koblenz darüber referiert, wie man als Einzelner Widerstand leisten könne gegen die Beschleunigung, die unser Leben immer stärker bestimmt. Friedhelm Hengsbach lehrte bis zu seiner Emeritierung 2005 an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt als Professor für christliche Sozialwissenschaft sowie Wirtschafts- und Gesellschaftsethik. Ursache für den beschleunigten Lebenstakt sowie für das Gefühl, immer weniger Zeit zu haben, ist für Friedhelm Hengsbach das Kapital an den internationalen Finanzmärkten. Um die Jahrtausendwende habe da, nicht zuletzt aufgrund gewachsener technischer Möglichkeiten der Telekommunikation, ein Tempo eingesetzt, das auch in alle anderen Lebensbereiche ausstrahle. Die Folgen seien unter anderem: Abbau der sozialen Sicherungssysteme, eine massive Erhöhung der Produktivität innerhalb der Arbeitsprozesse, Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse sowie die Forderung an die Arbeitnehmer, immer flexibler zu sein. Und diese Forderungen beschränkten sich nicht nur auf die Arbeitswelt, sondern weiteten sich ins Privatleben aus, zumal die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer weiter aufgeweicht würden. „Es wird immer mehr erwartet, dass Arbeitnehmer auch am Wochenende mittels Handy oder Smartphone erreichbar sind und sich um Probleme im Betrieb zumindest telefonisch kümmern“, sagte Hengsbach. Um dem gewachsenen Zeitdruck zu entfliehen, riet der 79-Jährige zu verschiedenen Strategien. Insbesondere die ständige Erreichbarkeit, die durch das Handy realisiert werden kann, solle man aufgeben. „Es ist wichtig, dass wir Phasen im Leben haben, in denen wir im Off leben“, erklärte Hengsbach. Aber nicht nur der Ausschalter trage zur Entschleunigung bei, sondern auch eine ganze Reihe anderer Maßnahmen. So empfahl er, sich Zeit für die Ernährung zu nehmen, nicht zuletzt für deren Zubereitung, bei der Wahl der Verkehrsmittel das langsamere zu bevorzugen, besonders wenn die Alternative das aktive Fahren mit dem Auto ist; man solle auch Abschied vom Gedanken der angeblichen Multitasking-Fähigkeit nehmen. „Machen Sie nur eine Sache auf einmal; wenn Sie Radio hören, dann hören Sie beispielsweise Radio und räumen nicht gleichzeitig die Wohnung auf“, riet der Ordensgeistliche. Und auch das Nichtstun habe durchaus seinen Wert. „Nehmen Sie sich ruhig Zeit, am Tag auch ein paar Minuten einmal gar nichts zu machen.“ Bei der Urlaubsplanung solle man einer langsameren Fortbewegung den Vorrang einräumen, indem man beispielsweise wandern geht oder Ausflüge mit dem Rad unternimmt. Allerdings betonte Hengsbach auch, dass der Einzelne oftmals aufgrund seiner Berufstätigkeit eine Entschleunigung nur bedingt erreichen könne. Deshalb plädierte er für ein gesellschaftliches Umdenken, das auf Nachhaltigkeit setze und nicht ständiges Wachstum zum Ziel habe. „Die Angst, dass das Wachstum sinkt, ist völlig unbegründet, vor allem wenn man sich vor Augen hält, welchen Schrott wir alles produzieren.“ Anstatt ständig Wachstum zu predigen, forderte er Politik und Gesellschaft auf, Arbeit im Privatbereich, die nicht zum klassischen Bereich der Erwerbstätigkeit zählt, stärker zu würdigen.