TelefonSeelsorge Saar stellt Jahresbericht für 2023 vor : Wiederbelebung von Beziehung nötig
Saarbrücken - Beziehungen in allen ihren Facetten sind das große Thema der Menschen, die sich im vergangenen Jahr telefonisch bei der Evangelisch-katholischen TelefonSeelsorge Saar gemeldet haben. Alle Felder menschlicher Beziehungen – Familie, Partnerschaft, Freundeskreis – zusammengenommen, kamen sie in mehr als der Hälfte der Gespräche (51,1 Prozent) zur Sprache. Bei einem Drittel (30,1 Prozent) der Fälle war Einsamkeit der Anlass für einen Anruf. Das geht aus dem Bericht für das Jahr 2023 hervor, den dieEvangelisch-katholische TelefonSeelsorge Saar jetzt vorgestellt hat.
„Wir wollten nicht ein Problem ins Zentrum rücken, sondern auf das setzen, was heilt“, sagt der evangelische Leiter der Einrichtung, Pfarrer Volker Bier zur Auswahl des Jahresthemas. Der Titel des Jahresberichts hat somit eine ambivalente Bedeutung, ist Problemfeld, aber auch Lösungsansatz. „Wir versuchen am Telefon in Beziehung zu treten mit den Anrufenden, nur dann können sich die Probleme verändern“, ist sich der Pfarrer sicher. Oder anders gesagt: Viele benötigten eine „Wiederbelebung“ von Beziehungen. Das können einerseits die älteren Menschen sein, die nicht mehr so mobil sind, den Anschluss an die Gesellschaft verlieren, plötzlich allein sind.
„Beziehungen“ seien aber nicht nur ein Thema der Älteren, sondern auch einer wachsenden Zahl junger Menschen. So stünden Jugendliche vor dem Dilemma, dass viele kaum mehr analog kommunizierten. Wesentliche Fragen aber hätten auch in der digitalen Kommunikation keinen Platz, so Bier. Die Folge: Es werde sich eher zurückgezogen, statt über Belastendes gesprochen. Damit einher gingen ein Abbruch von Beziehungen und Einsamkeit. Dabei hätten „wir Menschen ein großes Bedürfnis an Beziehungen“, sagt Bier. Was passiere, wenn diese wegfallen, habe man während des Lockdowns bemerkt. In diesem Zeitraum habe sich die Zahl der Anrufenden mit Suizidgedanken sprunghaft verdoppelt, inzwischen aber wieder normalisiert (8,8 Prozent). In all diesen Fällen bietet die Telefonseelsorge einen niedrigschwelligen Anknüpfungspunkt.
Telefonseelsorge an der Grenze des Möglichen
Rein quantitativ gebe es „nichts Neues“, nämlich keine wesentlichen Veränderungen im Vergleich zum Vorjahr, sagt Bier, aber „der Druck bei den Leuten hier anzurufen, ist viel, viel größer geworden.“ Dies lasse sich statistisch belegen. Sowohl die Anzahl an Anrufen (11.826), wie auch die der tatsächlich geführten Gespräche (9.556) liegen etwa auf dem Niveau von 2022 (12.051, davon 9.542 Gespräche). Aber eine Anruferin oder ein Anrufer benötige heute deutlich mehr Versuche, um bei der Telefonseelsorge durchzukommen, als in früheren Jahren. Das hänge auch mit der Länge der Telefonate zusammen, wie der katholische Leiter, Diplom-Psychologe Ulrich Monzel, erläutert. Ungefähr 19 Minuten dauere durchschnittlich ein Gespräch, so Monzel. Wird die Leitung freigegeben, kommt unmittelbar der nächste Anruf rein, Tag und Nacht. Die Telefonseelsorge kommt damit an die Grenze ihrer Möglichkeiten. Das zeigt sich insbesondere an der präsentischen Beratung vor Ort, die die Telefonseelsorge ebenfalls anbietet. Eigentlich sei das Angebot auf eine kurzfristige Beratung mit bis zu fünf Terminen ausgelegt, so Monzel, aber „das Problem der fehlenden Therapieplätze schafft eine große Not“, die dazu führe, dass teilweise eine Beratungsreihe weiterlaufe, weil es einfach kein Folgeangebot mehr gebe.
Die Chat-Beratung könne derzeit aufgrund fehlender Ressourcen gar nicht angeboten werden. So ist es vor allem die Beratung via Mail, die von jüngeren Menschen unter 30 Jahren zur Kontaktaufnahme genutzt wird (38,8 Prozent). Wie hoch der Druck auf den Schreibenden lastet, lässt sich daran erkennen, dass fast bei jeder zweiten Mail (44,3 Prozent) Suizidgedanken Thema sind. Ängste (41 Prozent) und Depressive Verstimmung (41,3 Prozent) werden ebenfalls häufig genannt.
Neuer Ausbildungskurs startet im Sommer
Von den Anrufenden waren immerhin ca. 950 (7,9 Prozent) unter 30 Jahren alt. „Dass es bei uns Menschen gibt, die sich Zeit nehmen, ein Thema zu besprechen, ist eine Qualität, die gerade wiederentdeckt wird“, sagt Monzel. Letztlich bliebe die Wirkung der Telefongespräche punktuell, aber dadurch könne für die Anrufenden immerhin eine „Insel für zwischendurch“ geschaffen werden, so der Psychologe. Die meisten Dienste am Telefon übernehmen Ehrenamtliche. 67 Menschen sind derzeit im Team der Telefonseelsorge aktiv, in Kürze werden sieben weitere ihre Ausbildung abgeschlossen haben. „Wir wären gerne bei 90“, verraten Bier und Monzel. Dann könnten sie auch wieder in die Chat-Beratung einsteigen. Wie bereichernd das Ehrenamt sein kann, berichtet Ursula Joussier, Mitglied der Ehrenamtlichenvertretung der Telefonseelsorge. „Wir kommen in Kontakt mit ganz
verschiedenen Menschen.“ Manche Gespräche seien sehr interessant, bei anderen lege man mit dem „guten Gefühl“ auf, vielleicht etwas bewegt zu haben. Sie selbst ist seit 2017 im Team und hat „auch nicht vor, so schnell abzuhauen“. Dafür sind die Leiter der Telefonseelsorge dankbar. Während die Ehrenamtlichen durchschnittlich etwa acht Jahre aktiv sind, ist der „älteste“ sogar seit inzwischen 48 Jahren mit dabei. Joussier und die anderen Ehrenamtlichen würden sich über Zuwachs im Team freuen. Im Sommer soll ein neuer Ausbildungskurs starten, für den sich Interessierte noch anmelden können. Wer sich informieren möchte, ist eingeladen, sich per Mail oder per Telefon an die Telefonseelsorge zu wenden: Mail: bewerbung@telefonseelsorge-saar.de oder Telefon: 0681-9686922 (Anrufbeantworter).