Zum Inhalt springen

Willi-Graf-Gedenkjahr:Willi Graf: Katholik, Widerstandskämpfer, Seliger?

Wie stark prägte der katholische Glaube das Handeln des Widerstandskämpfers Willi Graf? Dieser Frageging Dr. Frederik Simon nach. Sein Vortrag eröffnete die Veranstaltungsreihe im Gedenkjahr
Im Festsaal des Saarbrücker Rathauses beschäftigte sich Frederik Simon mit der Frage des Glaubens als Motivation für den Widerstand.
Datum:
6. Sept. 2023
Von:
Ute Kirch

Saarbrücken – Wie prägten die Stadt Saarbrücken und das katholische Milieu zwischen den Weltkriegen den Widerstandskämpfer Willi Graf? Hat sein Glauben ihn getragen und zu seinem Handeln motiviert? Diesen Fragen ist der Theologe Dr. Frederik Simon in seinem Vortrag „Willi Graf: Katholik, Widerstandskämpfer, Seliger?“ im Saarbrücker Rathaus nachgegangen.

Frederik Simon ist Priester im Bistum Trier und gehört zudem der Kommission im Erzbistum München-Freising an, die eine mögliche Seligsprechung Willi Grafs prüft. Sein Vortrag war Auftakt der Veranstaltungsreihe zum Gedenkjahr anlässlich des 80. Todestages und der 20-jährigen Ehrenbürgerschaft von Willi Graf, zu dem auch Grafs Neffe Joachim Baez angereist war. Musikalisch umrahmt wurde der Vortrag von der Rockband der Willi-Graf-Schulen.

„Das katholische Milieu in Saarbrücken war zu dieser Zeit eine Parallelwelt, in der man als Katholik leben konnte, wenn man wollte“, resümierte Simon. Der Aufschwung des Katholizismus begann Mitte des 19. Jahrhunderts, als Arbeiter den Katholizismus in die protestantische Saar-Metropole brachten. Lebten 1873 18.000 Protestanten und 16.000 Katholiken in der Stadt, waren es 1936 56.000 Protestanten auf 70.000 Katholiken. Die leitenden Schlüsselpositionen der Stadt blieben jedoch in protestantischer Hand. Grafs Familie stammte aus dem Rheinland; er selbst kam 1922 als Vierjähriger nach Saarbrücken. Die Eltern waren bäuerlicher Herkunft und orientierten sich an kirchlichen Autoritäten. Die Familie lebte im Johannishof in der Mainzer Straße, der der Pfarrei St. Johann gehörte, wo Graf Messdiener war. „Willi Graf war klassisch katholisch sozialisiert. In den katholischen Jugendverbänden wurde er quasi mit der katholischen Weltanschauung geimpft. Dieses Impfen kann auch zu einer großen Form des Widerstands führen.“

Glauben verstehen und mitgestalten

Referent Dr. Frederik Simon und Joachim Baez, der Neffe Willi Grafs.

Aus Willi Grafs Briefen und Tagebucheintragen werde erkennbar, dass sein Glaube keineswegs ein unreflektierter Kinderglaube war. „Er war in der Reformbewegung engagiert. Er wollte die Liturgie verstehen und mitgestalten“, erklärte Simon. Graf bildete sich durch theologische Schriften unter anderem von Michael Schmaus und Romano Guardini weiter und gehörte – ungewöhnlich für diese Zeit – einem Bibelkreis an, der die Schrift selbst auslegte. „Aus seinen Briefen klingt Begeisterung und gelebter Glaube“, sagte Simon in seinem Vortrag. Aber Willi Graf sei deswegen nicht unkritisch gewesen. Er habe durchaus Kritik am eigenen Elternhaus und an der Amtskirche geübt – diese hätten ihm keine Urteilskraft und eigene Überzeugungen vermittelt. „Der Katholizismus und die Stadt Saarbrücken hätten Graf viel mitgegeben, und ihn dazu befähigt, uns dieses Zeugnis zu geben“, bilanzierte Simon, „es brauchte die Begegnung mit Hans Scholl, damit er in den Widerstand gehen konnte. Aber er brauchte zu mindestens diese gute Sozialisation im Katholizismus, um Scholls Ideenwelt zu verstehen, um mit ihm auf gleicher Gesprächsebene zu bleiben.“

 

Einblick in die Seligsprechungskommission

Dr. Frederik Simon gehört als Priester der Seligsprechungskommission an.

Kurz gewährte Frederik Simon einen Einblick in die Arbeit der Seligsprechungskommission – ohne eine Wertung vorwegzunehmen. „Wir schauen nach verschiedenen Kriterien: Ist er denn ein Seliger oder gibt es etwas, was dagegenspricht? Wir schauen genau hin, es soll keine katholische Übergriffigkeit sein“, betonte der Referent. Die Mitglieder der Kommission sammelten alle Dokumente, die sich zu Willi Graf finden lassen und befragten Zeitzeugen. Da Graf durch die Hinrichtung als Märtyrer gilt, entfalle das Kriterium der Wundertätigkeit. Ferner müsse der „Ruf der Heiligkeit“ geprüft werden, also Grafs Lebensführung hinsichtlich der göttlichen Tugenden (Glaube, Hoffnung, Liebe) und der Kardinalstugenden (Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mut). Bis die Arbeit der Kommission abgeschlossen sei, könnten noch Monate, wenn nicht Jahre vergehen.

Saarbrückens Oberbürgermeister Uwe Conradt sieht in Willi Grafs Handeln eine Verpflichtung für die Menschen heute: „Es ist die Verpflichtung, Zivilcourage zu zeigen. Überall dort, wo Unrecht geschieht, wo Rassismus, Antisemitismus und Menschenrechtsverletzungen geschehen, müssen wir die Stimme erheben und dagegen vorgehen.“ Dies sei womöglich im 80. Gedenkjahr noch wichtiger als vor 20 Jahren, als Willi Graf posthum zum Saarbrücker Ehrenbürger ernannt wurde: „Denn die Zeiten, in denen wir leben, sind Zeiten des Umbruchs, der Unsicherheit. (…) Manche glauben, sich deswegen in Richtung von jenen Kräften wenden zu dürfen, die ein Menschenbild verfolgen wie das der Nationalsozialisten. Die klar und offen nicht nur rechtspopulistisch, sondern rechtsextreme Gedanken verbreiten und die eine große Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung sind.“ Das Gedenkjahr solle daher für alle eine besondere Mahnung sein: „Nicht das Erinnern ist das Eigentliche, sondern die daraus erwachsende Verantwortung, selbst etwas zu tun. Wie sagte Willi Graf: Jeder einzelne trägt die ganze Verantwortung.“