Neffe Willi Grafs, Joachim Baez, erzählt an Willi-Graf-Schulen vom Leben seines Onkels:„Willi hat sich nicht verbiegen müssen“
Saarbrücken – Als Joachim Baez im Mai 1943 geboren wurde, saß sein Onkel Willi Graf, Widerstandskämpfer und Mitglied der Weißen Rose, bereits im Gefängnis. Fünf Monate später, am 12. Oktober, wurde er von den Nationalsozialisten hingerichtet. Das Andenken an Willi Graf an die folgenden Generationen weiterzugeben, ist seinen Angehörigen eine Lebensaufgabe. Zum ersten Mal hat in der vergangenen Woche Joachim Baez die Bischöflichen Willi-Graf-Schulen in Saarbrücken besucht. Den Fünft- und Sechstklässlern der Realschule und des Gymnasiums gab der 79-Jährige an zwei Tagen eine sehr persönliche Geschichtsstunde.
Die Schülerinnen und Schüler wussten bereits Einiges aus dem Leben des 1918 geborenen Willi Grafs zu berichten – etwa, dass er sich weigerte, in die Hitlerjugend einzutreten und damit riskierte, kein Abitur machen zu dürfen. Auch über die Flugblätter der Weißen Rose, an denen Willi Graf mitgeschrieben hat und sein Todesurteil wussten sie Bescheid. „Alle Fünftklässler erfahren bereits in der Einführungswoche vom Leben des Namensgebers unserer Schulen. Erst vor wenigen Tagen haben sie anlässlich des Todestages Willi Grafs Grab auf dem Friedhof in St. Johann besucht und weiße Rosen niedergelegt“, sagt der Schulleiter des Gymnasiums Stefan Kilz. Der Kontakt zu Baez entstand im Frühjahr, als dieser im saarländischen Landtag zu Gast war, als der größte Sitzungssaal nach Willi Graf benannt wurde. „Wir knüpfen damit an eine bewährte Tradition an, früher haben uns Willi Grafs Schwestern Anneliese und Mathilde besucht“, sagt Kilz, „Veranstaltungen wie diese sind für uns wichtig, damit die Erinnerungskultur erhalten bleibt. Willi Graf steht für die Werte, die wir an unseren Schulen leben.“
Gebannt verfolgten die Fünft- und Sechstklässler den Vortrag – mit erschütternden wie traurigen Details aus dem Leben des Widerstandskämpfers. Etwa die Worte aus dem letzten Brief Grafs vor seiner Hinrichtung, mit denen er sich von seiner Familie verabschiedet hat. Anschaulich schilderte Baez, unter welchen Risiken die Weiße Rose im Geheimen ihre Flugblätter hergestellt hat und wie sein Onkel versuchte, auch in anderen Städten, darunter Saarbrücken, neue Mitglieder zu gewinnen. Weil die Nazis hofften, von Graf noch weitere Namen zu erfahren, blieb er Monate lang in der Todeszelle – wo er von den Hinrichtungen seiner Freunde erfuhr. „Viele verdanken Willi ihr Leben, weil er in der Haft keine Namen genannt hat“, berichtete Baez. Selbst seine Schwester Anneliese, mit der in München zusammenwohnte, habe nichts von seinem aktiven Widerstand gewusst. „Das hat ihr das Leben gerettet. Sie wurde nämlich wie er am 18. Februar 1943 verhaftet und vier Monate lang verhört.“
Auch wenn Baez seinen berühmten Onkel nie getroffen hat, wusste er einige Anekdoten aus der Kindheit des Widerstandskämpfers zu berichten, die ihm seine Mutter und seine Tante erzählt haben und so mit Sicherheit in keinem Geschichtsbuch stehen. So habe Willi Graf einmal als Messdiener an Fronleichnam unbedingt das Weihrauchfass während der Prozession schwenken wollen, aber nur das Schiffchen mit den Weihrauchkörnern erhalten. „Aus Trotz soll er das in die Ecke geschmissen haben“, berichtete Baez und fügte an: „Meistens wird er als besonnener und zurückhaltender Mensch beschrieben, der keine Konfrontation wollte und deswegen auch seine Eltern nicht an seinen Gedanken teilhaben ließ. Aber er war auch mal impulsiv.“
Welche Rolle die Erinnerung an Willi Graf im Leben seiner Familie spielt, wollte ein Schüler wissen. „Ich habe erst als Heranwachsender Willis Geschichte nach und nach erfahren“, sagte Baez. Besonders seine Oma, Willis Mutter, habe ihren Sohn immer als Beispiel hervorgehoben. „Seine Schwester Anneliese hat als Mitbegründerin der Weiße-Rose-Stiftung sich Zeit ihres Lebens für die Erforschung seines Lebens und sein Andenken eingesetzt“, sagte Baez. Neben Standhaftigkeit, Mut und Freundschaft bleibe vor allem sein Einsatz für die universellen Menschenrechte in Erinnerung, die von den Nazis außer Kraft gesetzt worden waren.
„Woher hatte Willi Graf den Mut?“, wollte eine Schülerin wissen. „Diese Frage hätte euch nur Willi selbst beantworten können“, räumte Baez ein. Für ihn ist Mut ein Charakterzug, der in seiner Persönlichkeit angelegt ist. „Willi hatte auch Zweifel, das erfährt man aus seinen Tagebüchern, aber er hat dann immer wieder neu Mut gefasst. Willi hat sich nicht verbiegen müssen. Er hat seinen Weg weiter beschritten. Die Mitgliedschaft in der Weißen Rose war für ihn die Vollendung seines Weges.“
(uk)