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Ministerpräsidentin predigt über Marie Juchacz:Zuversicht, dass sich alles zum Guten wendet

Ministerpräsidentin Anke Rehlinger predigte im Rahmen der Neunkircher Hoffnungsgottesdienste über Awo-Gründerin Marie Juchacz.
Ministerpräsidentin Anke Rehlinger predigte im Rahmen der Neunkircher Hoffnungsgottesdienste über Awo-Gründerin Marie Juchacz.
Datum:
27. Feb. 2024
Von:
Anja Kernig

Neunkirchen-Furpach – Wenn das kein hoffnungsvoller Auftakt war: Mit sage und schreibe 20 Messdienerinnen und Messdienern zog Pfarrer Clemens Kiefer beim ersten von insgesamt drei Hoffnungsgottesdiensten in der Kirche St. Josef ein, wo sich rund 60 Besucher eingefunden hatten – unter der Woche, an einem ganz normalen Donnerstagabend. Wie in der Einladung zu lesen war, sei zwischen Karneval und Ostern ein guter Zeitraum, um nach Hoffnungsmomenten Ausschau zu halten. In diesem Jahr stellt die Gemeinde St. Josef - St. Johannes ihre sogenannten Hoffnungsgottesdienste unter das Motto „Starke Frauen predigen über starke Frauen”. Wofür ihr gleich zu Beginn ein kleiner Coup glückte. Eröffnete doch mit Ministerpräsidentin Anke Rehlinger eine sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne starke Frau die Reihe. So hält die SPD-Landesvorsitzende den Saarland-Rekord im Kugelstoßen von 16,03 Metern.

„Wir leben in einer Welt, die Hoffnung braucht“, führte Kiefer nach der Begrüßung ins Thema ein. „Unser Geschlecht bekleckert sich da nicht mit Ruhm.“ Man denke nur allein an den russischen Aggressor Wladimir Putin, der ein wahrer „Zukunftsvernichter“ sei. Mehr Weiblichkeit täte dem politischen Diskurs und der Weltpolitik gut. Nach Fürbitten und der von Anke Rehlinger übernommenen Lesung (Matthäus 25,40: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.), stieg die Ministerpräsidentin ins Thema ein.

„Meine Herren und Damen“, hob Rehlinger an: eine Reminiszenz an die historische Ansprache Marie Juchacz' im Reichstag am 19. Februar 1919. Mit dieser Umkehrung der traditionellen Höflichkeitsformel löste die SPD-Abgeordnete damals einige Heiterkeit im Saal aus. „Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf“ – aber nichts, wofür frau dankbar sein müsse. Habe die Regierung doch „den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist“ und wofür Marie als eine der führenden Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit lange gekämpft hatte. „Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“, zitierte Rehlinger den französischen Schriftsteller Victor Hugo. „Marie Juchacz steht sogar für zwei solcher Ideen.“ Zum einen die Gleichberechtigung der Frauen und zum andern die Würde aller Menschen, insbesondere die der sozial benachteiligten. „Ihr Kampf dafür begann vor mehr als hundert Jahren und ist bis heute nicht ausgekämpft. Nicht bei uns in Deutschland, nicht in den westlichen Demokratien und schon gar nicht weltweit.“

 

Konfrontiert mit Armut und Armenpflege im Ersten Weltkrieg

Marie Juchacz wurde am 15. März 1879 in Landsberg an der Warthe als Tochter des Zimmermanns Theodor Gohlke geboren. Nach der Volksschule arbeitete sie als Dienstmädchen, später als Pflegerin in der Provinzial-Landes-Irrenanstalt. Ihre Ehe mit Schneidermeister Bernhard Juchacz hielt nicht lange. Marie zog nach Berlin, lebte dort von Näharbeiten in Heimarbeit und politisierte sich mehr und mehr. 1913 stellte sie der Parteibezirk Obere Rheinprovinz in Köln als bezahlte Frauensekretärin ein. „Von da ab“, bilanzierte Rehlinger, „widmete Marie Juchacz ihr Leben ganz und gar der Politik.“ In den Jahren des Ersten Weltkriegs unmittelbar mit Armut und den Herausforderungen der Armenpflege konfrontiert, gründete sie 1919 die Arbeiterwohlfahrt. Vor den Nazis floh sie 1933 zunächst ins Saargebiet und schließlich nach New York, wo sie eine Arbeiterwohlfahrt für die Opfer des Nationalsozialismus aufbaute. Nach ihrer Rückkehr wurde Marie Juchacz Awo-Ehrenvorsitzende und starb am 28. Januar 1956 in Düsseldorf.

„Wenn wir heute über Krisen und Bedrohungen klagen, wenn wir uns vor aggressiven und menschenverachtenden Kräften fürchten, wenn wir nach Lichtblicken und Hoffnungsschimmern suchen, dann schauen wir auf Menschen wie Marie Juchacz“, schloss die Ministerpräsidentin. „Aus ihrem Wirken schöpfen wir Kraft, Leidenschaft und Zuversicht, um alles doch zum Guten zu wenden.“ Pfarrer Kiefer bedankte sich im Namen aller Anwesenden für den Vortrag, „der uns und mir wirklich Hoffnung geschenkt hat. Ich glaube, auch wir aus der Kirche müssen noch viel, viel lernen, wie man mit Frauen umgeht, was die Stellung der Frau anbelangt.“ Wofür er, wie zuvor Anke Rehlinger, lebhaften Beifall erntete. Die Kollekte an diesem Abend kommt der Neunkircher Tafel zugute. Was ganz im Sinne von Marie Juchacz sein dürfte.

Weiter geht es am 19. März. Dann wird Krankenhauspfarrerin Britt Goedeking über einen Abschnitt im Markusevangelium predigen, in dem Jesus eine erkrankte Frau heilt, weil sie sich nicht abweisen lässt. Die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Rosa Parks steht am 25. März im Fokus, worüber Bürgermeisterin Lisa Hensler sprechen wird. Beginn der Hoffnungsgottesdienste in der Kirche St. Josef, Karcherstraße 49 in Furpach, ist jeweils um 18 Uhr.